Mayer Brown hat ein Arbeitszeitmodell, mit dem Mitarbeiter ihren Jahresurlaub auf 50 Tage ausdehnen können. Das klingt gut, wurde aber in sechs Jahren nur zweimal in Anspruch genommen. Ulrich Worm über mögliche Gründe für die Zurückhaltung.
LTO: Herr Worm, vor sechs Jahren hat Ihre Kanzlei Mayer Brown ein Arbeitszeitmodell eingeführt, bei dem Anwälte ihren Urlaub auf bis zu 50 Tage ausdehnen können. Damit waren Sie damals unter den Großkanzleien ein Vorreiter in Sachen Work-Life-Balance. Wie sind Ihre Erfahrungen heute?
Dr. Ulrich Worm: Wir hatten damals viel positive Resonanz erhalten und wir werden auch heute noch häufig von Bewerbern darauf angesprochen. Allerdings war bislang die Resonanz intern geringer als gedacht: Wir hatten eine erhebliche Nachfrage erwartet, das ist aber so nicht eingetreten.
LTO: Stimmen die Gerüchte, wonach bislang noch gar niemand das Angebot angenommen hat?
Worm: Nein, das ist nicht richtig. Bislang haben zwei Kollegen das Urlaubsmodell wahrgenommen. Eine Kollege hat die zusätzlichen Urlaubstage für eine Lehrtätigkeit genommen. Mittlerweile arbeitet er in Teilzeit. Der zweite Kollege, ein Mitarbeiter im Bereich Banking & Finance, hat das Modell genutzt, um seinen LL.M. zu machen.
Lebensplanentscheidung Großkanzlei
LTO: Wie erklären Sie sich die geringe Resonanz?
Worm: Mein Eindruck aus Gesprächen mit Associates ist, dass sich unsere Berufseinsteiger bewusst für eine Großkanzlei entscheiden. Das ist eine Lebensplanentscheidung. Die ersten Jahre verstehen die Associates als Lernphase, in der sie so schnell wie möglich so viel wie möglich mitnehmen wollen. Später sind viele Anwälte auf dem Karriere-Track und wollen sich entsprechend engagieren.
LTO: Dann stimmt es also gar nicht, dass die heutigen Bewerber so stark auf Work-Life-Balance achten?
Worm: Nun, wir haben viele Bewerber, die sich für die Marke Mayer Brown interessieren und ein hohes Karrierebewusstsein haben. Aber es gibt auch eine große Gruppe, die sich ein ordentliches Gehalt und herausfordernde Arbeit wünscht und trotzdem fordert, dass der Arbeitgeber auch einen Ausgleich zum Beruf ermöglichen soll. Für diese Bewerber zählt nicht nur der Job. Das war bis vor einigen Jahren so nicht auf dem Bewerbermarkt zu beobachten. Übrigens ist vielen auch unser gutes Betriebsklima und die angenehme Arbeitsatmosphäre wichtig.
2/2 "Flexibilität sollte keine Einbahnstraße sein"
LTO: Wie genau sind die Konditionen des Modells?
Worm: Normalerweise gewähren wir 28 Tage Urlaub. Das Modell sieht vor, dass die Mitarbeiter 40 oder 50 Tage Urlaub nehmen können - mit einem entsprechenden zeitanteiligen Gehaltsabzug. Die freien Tage sind für alles gedacht: Familie, Urlaub, Hobbies oder eine Qualifizierung. Und - das ist mir wichtig zu betonen - es soll ein dauerhaftes Modell sein. Es ist nicht nur dazu gedacht, um einmal eine Weltreise machen zu können. Es soll langfristig einen guten Ausgleich zum Beruf ermöglichen, nicht nur einmalig.
LTO: Gibt es Bedingungen, beispielsweise wann der Urlaub genommen werden darf?
Worm: Das Modell ist an keine Bedingungen geknüpft. Der Urlaub kann grundsätzlich dann in Absprache mit der betreffenden Praxisgruppe genommen werden, wann der Mitarbeiter es möchte. Wir versuchen, ein flexibler Arbeitgeber zu sein, denn wir erwarten ja auch Flexibilität von unseren Anwälten. Das sollte keine Einbahnstraße sein.
Kanzleien haben ein Eigeninteresse, gute Mitarbeiter zu halten
LTO: Haben Sie schon darüber nachgedacht, das Modell mangels Nachfrage wieder abzuschaffen?
Worm: Ich finde es wichtig, an dem Angebot festzuhalten, denn Lebensplanungen ändern sich. Vor allem für Mitarbeiter, die schon länger für uns arbeiten, ist es gut zu wissen, dass sie ihre Zeit flexibler handhaben können.
Wir tun gut daran, wenn wir unseren Bewerbern und Mitarbeitern solche alternativen Modelle anbieten. Dies ist auch ein Zeichen der Wertschätzung. Es liegt in unserem Eigeninteresse, engagierte Mitarbeiter zu halten. Es wäre bedauerlich, wenn ein Mitarbeiter nach beispielsweise zwei oder drei Jahren die Kanzlei verlässt, weil er sich nicht wertgeschätzt fühlt oder das Gefühl hat, Änderungen in der Lebensplanung vertrügen sich nicht mit einer weiteren Mitarbeit bei uns.
Dr. Ulrich Worm ist Partner im Frankfurter Büro von Mayer Brown und leitet die Praxisgruppe Intellectual Property. Als Recruitment Partner ist er außerdem für Personalthemen verantwortlich.
Die Fragen stellte Anja Hall.
Anja Hall, Alternative Arbeitszeitmodelle: Alle wollen, aber kaum einer macht‘s . In: Legal Tribune Online, 12.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23434/ (abgerufen am: 18.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag