Automatisierte Verträge: Sven Otto führt beim Chemiekonzern BASF ein Contract Management System ein. Warum das Mammutprojekt ihn schon seit Jahren beschäftigt und welche Vorbehalte er dabei ausräumen muss, berichtet er im Interview.
LTO: Herr Otto, Sie sind bei BASF für die Einführung eines sogenannten Contract Management Systems verantwortlich und haben am Donnerstag über Ihre Arbeit auf der Herbsttagung des Bucerius CLP berichtet. Was genau soll dieses System können?
Sven Otto: Das System wird den ganzen Vertragslebenszyklus abbilden. Am Anfang steht die Entscheidung eines Mitarbeiters: Ich brauche einen Vertrag mit einem unserer Kunden. Dann geht es los: Über das Tool stellen wir ihm Templates zur Verfügung und unterstützen bei der Verhandlung des Vertragsdokuments.
In Zukunft soll das Tool Alternativen für einzelne Vertragsklauseln mit einer kleinen Bewertung anzeigen: Der Mitarbeiter kann erkennen, ob die Klausel eher für uns oder für die externe Vertragspartei vorteilhaft ist oder ob sie neutral zu bewerten ist. Hier sind wir aber noch in der Entwicklungsphase. Die Templates werden auch an das jeweils geltende Recht angepasst, wenn beispielsweise Recht des Vereinigten Königreichs vereinbart werden soll, werden andere Klauseln eingefügt als bei Verträgen nach deutschem Recht.
Auch der BASF-interne Prüf- und Freigabeprozess wird über das System abgebildet. Am Ende steht die Ablage in der Datenbank und die Ablage des physischen Dokuments. Dann folgt alles, was mit der Vertragspflege zu tun hat, etwa Verlängerung oder Kündigung.
Parallel dazu erfassen wir über das Tool Daten zu den Verträgen und können so zum Beispiel uns alle Verträge mit einer Change-of-Control-Klausel anzeigen lassen – oder noch genauer: alle Verträge mit einem bestimmten Kunden, die eine solche Klausel beinhalten. Das war früher nahezu unmöglich.
Wahrnehmung der Rechtsabteilung verbessert sich
Warum sind solche Abfragen interessant?
Aus den Geschäftsbereichen kommen solche Fragen immer wieder, etwa wenn bekannt wird, dass ein Unternehmen, mit dem wir Geschäftsbeziehungen haben, verkauft werden soll. Wenn dann vorsichtig gefragt wird, ob wir in zwei Wochen eine solche Auswertung liefern können, kann ich diese durch das Contract Management System sehr viel schneller als erwartet zur Verfügung stellen.
Dass wir eine solche Anfrage innerhalb von wenigen Sekunden beantworten können, führt immer wieder zu positiver Resonanz bei den Kolleginnen und Kollegen. Und das verstärkt natürlich die Wahrnehmung der Rechtsabteilung im Unternehmen als kompetenter Ansprechpartner.
Für ein Unternehmen ist es auch interessant zu wissen, wie viele Vertragserstellungsprozesse begonnen und wie viele von diesen an welchen Prozessschritten abgebrochen wurden. Was ist, wenn 30 Vertragsverhandlungen nur zu zehn Verträgen führen? Das sind Informationen, die für Vertriebsmitarbeiter interessant sind.
Wer hat alles Zugriff auf das Tool?
Grundsätzlich alle, die Bedarf haben, können auf das Tool zugreifen. Insgesamt arbeiten über 117.000 Menschen weltweit bei BASF, davon nutzen derzeit etwa 17.000 das Tool.
Mitarbeiter sollen informiert entscheiden
Interesse haben viele Bereiche, zum einen das Controlling, zum anderen der Vertrieb. Wenn die Mitarbeiter hier weitreichende Informationen haben, wo in der Vergangenheit welche Verträge geschlossen wurden, können sie eine gut informierte Entscheidung treffen, wenn sie neue Verträge verhandeln.
Wie lief das Vertragsmanagement bei BASF früher ab?
Wir hatten mehrere Datenbanken zur Ablage von unterschriebenen Verträgen. Es gab auch erhebliche Unterschiede, wie in den einzelnen Geschäftseinheiten und Regionen der Vertragsprüf- und -freigabeprozess gelebt wurde. Auf der einen Seite waren die Prozesse sehr schlank, auf der anderen Seite gab es auch Einheiten, die einen sehr elaborierten Prozess aufgebaut hatten.
Wir wollten einheitliche und verbindliche Mindeststandards einführen, und zwar systemgestützt. Dadurch erhöhen wir auch den Compliance-Grad. Und es war zwar nicht unser erster Gedanke, aber er kam dann schnell auf und hat an Wichtigkeit zugenommen: Wir wollen die Daten in den Verträgen nutzen.
Sie arbeiten bereits seit 2017 an dem Projekt. Warum dauert das so lange?
Wir haben einen schrittweisen Prozess gewählt. Als Vertragsspeicher nutzen wir das System schon seit zwei Jahren weltweit. Einzelne weitergehende Anwendungen werden aber zunächst bei ausgewählten Nutzergruppen eingeführt und dann nach und nach unternehmensweit ausgerollt. Zudem gab es anfänglich ein paar technische Probleme, sowohl bei uns als auch bei unserem Softwareanbieter.
Rückblickend hat sich gezeigt: Ein Team, das ein solches Projekt stemmen möchte, sollte möglichst aus Kollegen mit unterschiedlichem fachlichem Hintergrund bestehen: Natürlich Juristen, aber auch IT-Experten und Betriebswirte sind für eine erfolgreiche Umsetzung wichtig.
Trainings für die Nutzer
Welche Probleme sind aufgetaucht?
Der Organisation, die ein solches System einführt, muss klar sein, wie viel juristisches Wissen ein Mitarbeiter, der das System nutzen soll, hat – und wieviel Wissen er haben sollte. Hier kann es eine Lücke geben, und dann stellt sich die Frage, wie dieses Delta gefüllt werden kann. Darüber sollte man sich relativ früh Gedanken machen, ansonsten kann es zu unerwünschten Überraschungen kommen. Um diesen vorzubeugen, haben wir zusammen mit den Kollegen aus der Rechtsabteilung zum Beispiel bestimmte juristische Fragestellungen im Rahmen der Tooltrainings mit vermitteln.
Gab es Schwierigkeiten, die Sie nicht erwartet haben?
Bei den nicht-juristischen Kollegen war die Sorge relativ verbreitet, gravierende juristische Fehler bei der Vertragserstellung zu machen, indem man etwas Falsches anklickt. Damit hatte ich nicht in diesem Umfang gerechnet.
Dies erwies sich letztlich aber als großer Hebel, mit dem das Projektteam den positiven Nutzen des Tools erläutern konnte. Ich sage: "Ich verstehe die Sorge, aber das Tool ist ja genau dazu da, diese Sorge zu nehmen." Denn alle Entscheidungsmöglichkeiten, die dort auswählbar sind, sind aus Sicht von BASF akzeptabel – wenn nicht sogar gut oder sehr gut. Und bei kritischen Konstellationen poppt ein Fenster auf, in dem steht, dass der Mitarbeiter sich an die Rechtsabteilung wenden muss.
Weniger Standardaufgaben in der Rechtsabteilung
Deshalb werden sich in der Rechtsabteilung auch Aufgabenbereiche durch das Contract Management System verschieben: Weg von der Erstellung von Standardverträgen, hin zu mehr Compliance- und Risiko-Management und zu einer vorausschauenden Beratung.
Ein derartiges Riesenprojekt lohnt sich für einen Konzern mit der Größe von BASF. Aber auch für ein kleines Unternehmen?
Das kommt darauf an, wie viele Verträge das Unternehmen innerhalb einer Kategorie hat und wie viel Individualisierung es zulassen will. Für einen kleinen Mittelständler, der viel Business-to-Consumer-Geschäft macht, lohnt es sich wohl eher nicht. Aber eine etwas größere Firma mit viel Business-to-Business-Geschäft kann profitieren.
Auch für kleinere Firmen kann sich Automatisierung lohnen
Die Frage ist allerdings, wie variantenreich die Vertragslandschaft ist. Habe ich also fünf deutsche Verträge, drei rumänische und zwei norwegische, dann mag es wenig Sinn machen, alles zu automatisieren. Aber wenn ich 400 deutsche Verträge habe, sieht die Sache anders aus. Dann kann es sich lohnen, den Prozess zu automatisieren. Die übrigen drei rumänischen und zwei norwegischen Verträge können dann weiterhin manuell bearbeitet werden.
Was machen Sie, wenn das Projekt abgeschlossen ist? Was planen Sie für die Zukunft?
Nun, ein nächster Schritt ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz, um die Vertragsverhandlung besser unterstützen zu können. Eine weitere Idee ist es, die Prüfung von Verträgen, die wir von Dritten gestellt bekommen, zu (teil-)automatisieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Sven Otto ist seit 2017 der globale Projektleiter für das Contract Lifecycle Management bei BASF.
Organisation der Rechtsabteilung: . In: Legal Tribune Online, 20.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43492 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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