Bei einer geplanten Fusion nimmt die Käuferseite meist schon im Vorfeld Einfluss auf die Geschäfte des anderen. Entsprechende Vertragsklauseln beäugen die Aufsichtsbehörden immer genauer, zeigen Marcel Nuys und Juliana Penz-Evren.
Aller unguten Dinge sind drei: Zum dritten Mal innerhalb weniger Jahre hat ein europäisches Gericht zum kartellrechtlichen Vollzugsverbot geurteilt. Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Fall Ernst & Young (C-633/16 Urt. v. 31.05.2018) die Position von Unternehmen tendenziell gestärkt hatte, atmete die M&A-Welt etwas auf. Die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichts (EuG) in der Rechtssache Altice (T-425/18 Urt. v. 22.09.2021) belegt, dass Vertragsklauseln, die das Vollzugsverbot untergraben können, zunehmend in den Fokus von Wettbewerbsbehörden rücken und dort durchaus kritisch gesehen werden.
In der Sache Altice ist das EuG zu einem Kernstück des Unternehmenskaufvertrags (Share Purchase Agreement oder kurz: SPA) vorgerückt: Klauseln, die dem Erwerber Vetorechte für den Zeitraum zwischen Signing (Vertragsunterzeichnung) und Closing (Abschluss der Transaktion) einräumen. Zweck solcher Klauseln, auch Pre-Closing Covenants genannt, ist es, den Status Quo des Zielunternehmens bis zum Vollzug der Transaktion zu erhalten. Vor allem bei komplexen Transaktionen, bei denen mehrere Monate zwischen Signing und Closing liegen können, sind sie für den Erwerber von größter Bedeutung.
Der Fall Altice im Detail
Die EU-Kommission hatte im April 2018 zwei Bußgelder in Höhe von jeweils 62,25 Mio Euro gegen das niederländische Telekommunikationsunternehmen Altice im Zusammenhang mit der geplanten Übernahme des portugiesischen Wettbewerbers PT Portugal verhängt. Das SPA enthielt eine Reihe von Klauseln, die Altice im Zusammenhang mit bestimmten Geschäftstätigkeiten von PT Portugal Genehmigungsvorbehalte bis zum Abschluss der Transaktion einräumten. So musste sich PT Portugal etwa Veränderungen im Senior Management, Änderungen in der Preispolitik oder den Abschluss, die Änderung oder Kündigung von wesentlichen Verträgen von Altice schriftlich genehmigen lassen. PT Portugal hatte einige Male bei Altice eine entsprechende Genehmigung angefragt, und Altice gab in diesem Zusammenhang auch teilweise konkrete Anweisungen.
Für die EU-Kommission stand damit fest: Altice hatte sowohl gegen das kartellrechtliche Vollzugsverbot als auch gegen die Anmeldepflicht unter der Fusionskontrollverordnung (FKVO) verstoßen. Die Kommission erkannte zwar an, dass es üblich und angemessen sei, in einem SPA Klauseln aufzunehmen, die darauf abzielen, den Wert des zu erwerbenden Unternehmens zwischen Signing und Closing zu schützen. Gerechtfertigt sei dies aber nur, wenn die Klauseln sich strikt auf das beschränkten, was notwendig sei, um den Wert des Zielunternehmens zu bewahren. Sie dürften dem Erwerber nicht die Möglichkeit einräumen, bestimmenden Einfluss über das Zielunternehmen auszuüben und dabei den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb oder die Geschäftspolitik zu beeinflussen. Eben dies habe das SPA Altice aber ermöglicht.
Wie bereits im Fall Marine Harvest verhängte die EU-Kommission zwei separate Bußgelder: einmal wegen Vollziehung des Zusammenschlusses vor Freigabe durch die Kommission und einmal wegen Verstoßes gegen die Pflicht den Zusammenschluss vor dessen Vollzug bei der EU-Kommission anzumelden.
EuG bestätigt Entscheidung der Kommission
Das EuG bestätigte die Entscheidung der EU-Kommission im Wesentlichen. Das Gericht stützte sich zunächst auf die Ausführungen des EuGH im Fall Marine Harvest (C-10/18 P Urt. v. 04.03.2020), wonach sowohl ein Verstoß gegen die Anmeldepflicht nach Art. 4 Abs. 1 FKVO als auch gegen das Vollzugsverbot nach Art. 7 Abs.1 FKVO vorliegen kann. Beide Vorschriften verfolgten unterschiedliche Ziele. Zudem beinhalte Art. 4 Abs. 1 FKVO einen sofortigen Verstoß, wohingegen Art. 7 Abs. 1 FKVO einen dauerhaften Verstoß darstelle.
Das EuG folgte der EU-Kommission auch in ihrer Beurteilung, dass Vetorechte von Altice nach dem SPA über ein Interesse am Werterhalt des Zielunternehmens hinausgingen. Zudem habe Altice bereits mit Signing des SPA bestimmenden Einfluss ausüben können, da die Pre Closing Covenants unmittelbar anwendbar waren.
Nach Auffassung des Gerichts hätte Altice die EU-Kommission konsultieren sollen, sofern das Unternehmen Zweifel an der Vereinbarkeit der Klauseln mit Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 FKVO gehabt haben sollte. Dem Einwand von Altice, dass einzelne Eingriffe vor dem Hintergrund des ungewöhnlichen Charakters dieser Vorgänge gerechtfertigt waren, trat das EuG mit dem Hinweis entgegen, das Unternehmen hätte bei der EU-Kommission um eine Ausnahme von dem Vollzugsverbot ersuchen sollen. Auch die Höhe des Bußgeldes bestätigte das EuG im Wesentlichen.
Mehr Klarheit für die Praxis?
Nachdem die EU-Kommission, aber auch viele nationale Wettbewerbsbehörden mögliche Verstöße gegen das Vollzugsverbot lange Jahre nicht oder allenfalls vereinzelt aufgegriffen haben, herrscht in diesem Bereich nun eine auffällige Betriebsamkeit. Der Fall Altice bestätigt diesen Trend ebenso wie die Entscheidung der EU-Kommission in der Rechtssache Canon (M.8179 Entscheidung v. 27.06.2019).
Beachtenswert aus M&A-Sicht ist, dass es im Fall Altice noch zu gar keiner strukturellen Veränderung gekommen war, es wurden beispielsweise keine Anteile übertragen. Vielmehr werteten EU-Kommission und EuG allein die Vetorechte zwischen Signing und Closing nach dem SPA sowie den damit verbundenen Informationsaustausch als Handlungen, die zu einem Verstoß gegen das Vollzugsverbot führten.
Für die Praxis lässt die Entscheidung des EuG mehr Fragen offen als sie beantwortet. Sie wird daher kaum zu mehr Rechtssicherheit beitragen. Pre-Closing Covenants sind in zahlreichen M&A-Verträgen Standard. Erwerber haben ein berechtigtes Interesse, gewisse Vetorechte bei Vertragsschluss zu erhalten. Weder EU-Kommission noch Gerichte bezweifeln dies. Dennoch scheint das Gericht bereits im Signing eines SPA, das zu weit gehende Klauseln enthält, einen Verstoß zu sehen.
Der Ansatz des EuG, bei Zweifeln über die Zulässigkeit einer SPA-Klausel die EU-Kommission zu kontaktieren, scheint in der Praxis wenig praktikabel zu sein. Die EU-Kommission müsste dann praktisch schon vor der Vertragsunterzeichnung kontaktiert werden, was schon aus Gründen der Vertraulichkeit oftmals problematisch sein dürfte. Zudem zeigt die Erfahrung, dass sich Wettbewerbsbehörden insbesondere vor dem Signing allenfalls sehr zurückhaltend gegenüber den Parteien äußern.
Angesichts der hohen praktischen Bedeutung von SPA-Klauseln entsteht mit der Entscheidung des EuG kein idealer Zustand. Den Parteien einer M&A-Transaktion kann daher bis auf weiteres nur zur Vorsicht geraten werden: Die Gewährung von Pre Closing Covenants sollten sie sorgsam abwägen und auf die Besonderheiten des Einzelfalls abstimmen.
Der Autor Dr. Marcel Nuys ist Rechtsanwalt und Partner im Düsseldorfer Büro von Herbert Smith Freehills und berät regelmäßig Unternehmen im Kartell- und Wettbewerbsrecht. Die Autorin Juliana Penz-Evren ist Senior Associate im Brüsseler Büro der Kanzlei.
EuG bestätigt Bußgeld gegen Altice: . In: Legal Tribune Online, 08.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46264 (abgerufen am: 20.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag