Das BVerfG erklärte das unbeschränkte Verbot der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen für verfassungsgemäß. Welche Folgen diese wegweisende Entscheidung für die Arbeitswelt mit sich bringt, erläutert Cornelia Marquardt.
Insgesamt sind rund neun Prozent aller abhängig Beschäftigten in Deutschland in einem sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnis tätig. Bei jüngeren Arbeitnehmern zwischen 20 und 30 Jahren steigt diese Quote sogar auf 30 Prozent. Vor allem bei Neueinstellungen wird auf die sachgrundlose Befristung zurückgegriffen. Vor diesem Hintergrund kommt dem am 13. Juni 2018 veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. Juni 2018 erhebliche Bedeutung zu.
Darin erklären die Karlsruher Richter die im Jahr 2001 durch das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) eingeführte Beschränkung von sachgrundlosen Befristungen für verfassungsgemäß. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG erlaubt die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsverhältnisses nur, wenn zwischen den Arbeitsvertragsparteien vorher noch kein Arbeitsverhältnis bestanden hatte. Da diese Regelung die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern einschränkt, legte das Bundesarbeitsgericht (BAG) sie seit 2011 einschränkend dahingehend aus, dass eine frühere Tätigkeit im Unternehmen, seit der mehr als drei Jahre vergangen sind, nicht mehr als Vorbeschäftigung zähle. Nach Ablauf von drei Jahren seit der letzten Beschäftigung durfte ein Arbeitnehmer deshalb wieder auch mit einem sachgrundlos befristeten Vertrag angestellt werden.
Diese Auslegung stieß von Beginn an auf erhebliche Kritik, da der Gesetzeswortlaut eine solche Einschränkung nicht stützt. Unter anderem die Landesarbeitsgerichte Baden-Württemberg und Niedersachsen akzeptierten die zeitliche Begrenzung des Vorbeschäftigungsverbotes nicht. Für die Praxis bedeutete die durch das BAG eingeführte Karenzregelung jedoch eine klar berechenbare Linie für die Zulässigkeit von sachgrundlosen Befristungen trotz Vorbeschäftigung.
BVerfG weist BAG in die Schranken
Diese Klarheit ist nun beseitigt. Der Beschluss des BVerfG, das dem BAG eine unzulässige, weil sich über den Willen des Gesetzgebers hinwegsetzende Rechtsfortbildung vorwirft, erklärt die Drei-Jahres-Frist des BAG für verfassungswidrig. Künftig sind sachgrundlose Befristungen damit wieder – wie auch in den Jahren 2000 bis 2011 – unwirksam, wenn der Arbeitnehmer bei demselben Arbeitgeber früher bereits beschäftigt war.
Die Unwirksamkeit folgt jedoch nicht nur für künftig unter Verstoß gegen das Vorbeschäftigungsverbot abgeschlossene Befristungen. Auch bereits bestehende Befristungen, die im Vertrauen auf die Rechtsprechung des BAG abgeschlossen wurden, sind unwirksam, wenn eine Vorbeschäftigung bestand. Als Konsequenz hieraus können sich etliche Arbeitnehmer, die in den letzten zwei Jahren eine sachgrundlose Befristung eingegangen sind, nun plötzlich in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis wiederfinden. Dies gilt jedenfalls in den allermeisten Fällen.
Ausnahmen sieht das BVerfG dort als geboten an, wo ein unbeschränktes Vorbeschäftigungsverbot unzumutbar wäre, weil es nicht erforderlich ist, um die Gefahr einer Kettenbefristung und die Aufgabe des unbefristeten Arbeitsverhältnisses als Regelbeschäftigungsform zu verhindern. Dies könne, so die Verfassungsrichter, etwa anzunehmen sein, wenn die Vorbeschäftigung sehr lang zurück liege, ganz anders geartet als die neue Tätigkeit oder von sehr kurzer Dauer war. Als relevante Fallbeispiele verweist das BVerfG auf geringfügige Nebenbeschäftigungen während der Schul- und Studien- oder Familienzeit, auf Werkstudierende und studentische Mitarbeiter im Rahmen ihrer Berufsqualifizierung sowie auf Unterbrechungen der Erwerbsbiographie, die mit einer beruflichen Neuorientierung einhergehen.
Kriterien bleiben unscharf
In all diesen Fällen fordert das BVerfG die Arbeitsrichter auf, eine einschränkende Auslegung von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG vorzunehmen und im Einzelfall ggfs. eine Befristung zuzulassen. Für die Praxis sind diese Beispielfälle und die aufgeführten Abgrenzungskriterien jedoch viel zu unscharf, um eine sichere Handhabung von sachgrundlosen Befristungen trotz länger zurückliegender Vorbeschäftigung zu erlauben. Hier wird vernünftig agierenden Arbeitgebern nichts anderes übrigbleiben, als die Entwicklung einer Einzelfallkasuistik abzuwarten, die mehr Klarheit bringt.
Für die Zukunft sind Arbeitgeber gut beraten, wenn sie bei der Besetzung von sachgrundlos befristet zu vergebenden Stellen ein besonderes Augenmerk auf das Aufspüren etwaiger Vorbeschäftigungen der vor ihnen sitzenden Bewerber richten. Für Bewerber mit einer Vorbeschäftigung bedeutet dies einen klaren Nachteil gegenüber nicht vorbeschäftigten Bewerbern, da die Flexibilität ihres künftigen Arbeitgebers zum Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages deutlich eingeschränkt ist.
Datenschutz erschwert Prüfung der Vorbeschäftigung
Eine Erschwernis bei der Prüfung von Vorbeschäftigungen ergibt sich unter Berücksichtigung der neuen Datenschutzgrundverordnung und des neuen Datenschutzgesetzes: Daten und Unterlagen von früheren Arbeitnehmern sind nach einer angemessenen Frist zu löschen, so dass keinem Unternehmen eine lückenlose eigene Dokumentation etwaiger Vorbeschäftigungen über die gesamte Lebenszeit von Bewerbern mehr möglich ist.
Es bleibt Arbeitgebern deshalb nichts anderes übrig, als von ihrem Fragerecht im Einstellungsprozess Gebrauch zu machen und jeden Bewerber für sachgrundlos befristete Stellen nach einer Vorbeschäftigung zu fragen. Die betroffenen Bewerber sind zur wahrheitsgemäßen Auskunft verpflichtet. Wichtig für den Arbeitgeber ist es aber nicht nur, die Frage zu stellen, sondern auch die Antwort des Bewerbers hierauf zu dokumentieren und zu den Personalakten zu nehmen.
Der Beschluss des BVerfG fällt – wohl zufällig – in eine Zeit, in der sachgrundlose Befristungen auch von der Politik verstärkt Widerstand entgegengebracht wird. Insoweit wirkt die Entscheidung wie ein Vorbote künftiger Einschränkungen, die auf sachgrundlose Befristungen noch zukommen können. Im Koalitionsvertrag kündigte die Große Koalition an, sachgrundlose Befristungen künftig nur noch für die Dauer von 18 Monate zulassen zu wollen und sie in Unternehmen mit mehr als 75 Beschäftigten auf 2,5 Prozent der Belegschaft zu beschränken. Anders als bei dem Beschluss des BVerfG werden diese Regelungen aber zumindest keine beim Inkrafttreten bereits bestehenden Verträge mehr unwirksam machen.
Die Autorin Dr. Cornelia Marquardt ist Partnerin bei Norton Rose Fulbright in München und leitet die europäische Arbeitsrechtspraxis der Kanzlei. Sie berät nationale und internationale Unternehmen zu Restrukturierungs-, Rationalisierungs- und Outsourcing-Projekten, einschließlich der Verhandlungen mit Betriebsräten und Gewerkschaften zu Sozialplänen und Tarifverträgen. Zudem ist sie mit arbeitsrechtlichen Aspekten bei Fusionen, Übernahmen und Joint Ventures, einschließlich grenzüberschreitender Transaktionen, befasst. Daneben unterstützt sie laufend Personalleiter und Geschäftsführer deutscher und internationaler Unternehmen in deren tagtäglichem Geschäft bei arbeitsrechtlichen Themen.
BVerfG zum Verbot sachgrundloser Befristungen: . In: Legal Tribune Online, 15.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29187 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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