Das BKartA hat gegen Google, Facebook, Amazon und nun auch Apple Verfahren wegen möglicher Wettbewerbsverletzungen eingeleitet. Die Grundlagen und das Verhältnis zum eigenen Vorgehen der EU-Kommission erklären Marcel Nuys und Jan Siemsen.
Das GAFA-Quartett (Google, Apple, Facebook, Amazon) ist komplett: Nachdem das Bundeskartellamt (BKartA) in den vergangenen Monaten Verfahren gegen Facebook, Amazon und Google eröffnet hatte, folgte nun das Vorgehen gegen Apple.
Die Bonner Behörde nutzt hierfür ihre seit Januar 2021 bestehende Eingriffsbefugnis nach § 19a Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Der Gesetzgeber hat diese Vorschrift geschaffen, um eine effektivere Kontrolle von Digitalkonzernen zu ermöglichen. Im Blick hatte er dabei insbesondere die vier großen US-amerikanischen digitalen Technologieunternehmen, kurz GAFA .
Angesichts des Track-Records des BKartA im Digitalbereich war zu erwarten, dass schnell Taten folgen würden. Gleichwohl überrascht die Geschwindigkeit: Nicht einmal sechs Monate nach In-Kraft-Treten sind Verfahren gegen alle GAFA eingeleitet. Bis zum erstmaligen Einschreiten gegen Facebook dauerte es nur ganze neun Tage.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
In allen Verfahren prüft das BKartA, ob die Unternehmen eine "überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb" haben. Dies ist ein neu geschaffenes, mit erheblichen Rechtsunsicherheiten behaftetes Kriterium, welches das Tor zu den neuen Eingriffsbefugnissen öffnet. Liegt eine solche überragende marktübergreifende Bedeutung vor, darf das BKartA bestimmte, in § 19a Abs. 2 GWB aufgezählte Verhaltensweisen untersagen.
Hier unterscheiden sich die Verfahren:
Gegenüber Facebook prüft das BKartA – parallel zur Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung –, ob möglicherweise eine unzulässige Verknüpfung der Social-Plattform mit der Nutzung seiner neuen Oculus-Brille, einer VR-Brille, vorliegt.
Das Verfahren gegen Google geht der Frage nach, ob Google die Nutzung seiner Dienste von einer Zustimmung zu der Datenverarbeitung abhängig macht, bei der es keine ausreichenden Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der Verarbeitung der Daten gibt.
Gegen Apple und Amazon scheint sich das BKartA demgegenüber derzeit darauf zu beschränken, ob sie überragende marktübergreifende Bedeutung haben. Konkrete Verhaltensweisen könnten kann in einem zweiten Schritt unter die Lupe genommen werden. Auch das ist nach dem Gesetz zulässig, weil es der Behörde freisteht, beide Ebenen des § 19a GWB in einem Verfahren zu kombinieren oder zu trennen.
Uneinigkeit bei internationalen Wettbewerbsbehörden
Das BKartA hat in den vergangenen Jahren zahlreiche High-Profile-Pilotverfahren gegen Digitalunternehmen geführt. Auch international sind solche Verfahren en vogue. In der Vergangenheit waren sich die europäischen Wettbewerbsbehörden allerdings nicht immer einig. Ein gutes Beispiel ist der Umgang mit Meistbegünstigungsklauseln. Diese sind bei Plattformen beliebt und sollen sicherstellen, dass ein Produkt nicht durch einen Dritten günstiger angeboten werden kann.
Das BKartA sieht das Verbot, Produkte auf der eigenen Internetseite günstiger anzubieten (sog. enge Meistbegünstigungsklauseln) sowie das Verbot, auf eigenen und Drittplattformen ein Produkt günstiger anzubieten (weite Meistbegünstigungsklausel), kritisch. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese Sichtweise kürzlich bestätigt (Beschl. v. 18. 05.2021, Az. KVR 54/20). Anders sehen dies die Europäische Kommission und andere Wettbewerbsbehörden in Europa: Zumindest enge Meistbegünstigungsklauseln sollen wegen wettbewerbsfördernder Wirkungen zulässig sein.
Google auch im Fokus der EU-Kommission
Mit Blick auf die aktuelle Welle an Verfahren gegen Digitalunternehmen gibt es Anzeichen, dass die Wettbewerbsbehörden koordinierter vorgehen und mit einer Stimme sprechen wollen. Seit kurzem prüft die Europäische Kommission, ob Google seine eigenen Online-Werbeanzeigen-Technologiedienste zulasten konkurrierender Anbieter wettbewerbswidrig bevorzugt. Die Kommission will insbesondere klären, ob Google den Wettbewerb verfälscht, indem es den Zugang Dritter zu Nutzerdaten für Werbung beschränkt und sich diese Daten vorbehält.
Es mag nicht ausgeschlossen sein, dass gewisse Überschneidungen mit dem Verfahren des BKartA bestehen. Kartellamtspräsident Andreas Mundt stellte aber klar, dass die Behörden arbeitsteilig vorgehen werden. Die Europäische Kommission fokussiere sich darauf, wie Google Daten für Werbezwecke nutze. Das BKartA gehe eher verbrauchergetrieben vor; man prüfe, wie Google Nutzerdaten sammle.
Konfliktpotential dürfte es aber weiterhin reichlich geben, nicht zuletzt durch den europäischen Verordnungsentwurf zum Digital Markets Act (DMA). Der Entwurf spricht der Europäischen Kommission hinsichtlich besonders mächtiger Online-Plattformen weitreichende Regulierungsrechte zu. Völlig ungeklärt ist, in welchem Verhältnis § 19a GWB und DMA stehen werden. Nicht ausgeschlossen scheint, dass § 19a GWB keine Bedeutung mehr haben wird, weil die Mitgliedsstaaten von der Anwendung eigener, nationaler Vorschriften ausgeschlossen wären. Auch dies mag die Emsigkeit des BKartA erklären.
Genug Fingerspitzengefühl beim BKartA?
Gleichwohl sollten Unternehmen die neuen Befugnisse des BKartA sehr ernst nehmen. Die Eingriffsbefugnisse scheinen weitreichend und die Beweislast zu Lasten der Unternehmen verkehrt. Es wäre wünschenswert, dass das BKartA § 19a GWB mit Augenmaß anwendet. Insbesondere darf nicht das von Digitalunternehmen ausgehende Innovationspotenzial verkannt und unnötig ausgebremst werden.
Gleichwohl steht zu befürchten, dass das BKartA zu wenig Fingerspitzengefühl zeigen könnte. Dann wäre es Aufgabe der Gerichte, als Korrektiv zu wirken. Rechtsmittel gegen § 19a GWB-Entscheidungen sind allerdings inzwischen unmittelbar an den BGH zu richten und nicht mehr zunächst an das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf, das nach §§ 73 Abs. 1 und 4, 92 Abs. 1, 91 GWB in Verbindung mit § 2 der Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen über die Bildung gemeinsamer Kartellgerichte und über die gerichtliche Zuständigkeit in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach dem Energiewirtschaftsgesetz für Kartellsachen zuständig ist.
Das Hauptargument für diese Rechtswegverkürzung soll eine Verfahrensbeschleunigung sein, um digitale Geschäftsmodelle angemessen reagieren zu können. Dies überrascht: Verfügungen des BKartA sind grundsätzlich sofort vollziehbar. Nur wenn das (im Kartellrecht hoch spezialisierte und erfahrene) OLG Düsseldorf ernstliche Rechtmäßigkeitszweifel hegt, kann die aufschiebende Wirkung angeordnet werden.
Übernimmt sich das BKartA?
Das BKartA hat nunmehr Verfahren gegen sämtliche GAFA eingeleitet und damit ein Zwischenziel erreicht. Bleibt die Frage, ob sich die Behörde angesichts der Fülle der Verfahren möglicherweise übernommen hat.
Hiervon ist aber nicht auszugehen, zumal es weniger wahrscheinlich ist, dass nun noch eine große Zahl weiterer Unternehmen in den Fokus rücken wird. Das BKartA hat in den vergangenen Jahren personell aufgestockt. Zudem dürften Kapazitäten freigeworden sein: Nach der Erhöhung der Aufgreifschwellen in der Fusionskontrolle, hat sich die Zahl der Fusionskontrollanmeldungen signifikant verringert.
Mit Blick auf Verfahren gegen Digitalunternehmen dürfte daher beim BKartA bis auf weiteres gelten: Weiter, immer weiter.
Dr. Marcel Nuys ist Partner, Jan Siemsen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Herbert Smith Freehills in Düsseldorf.
Mit dem neuen § 19a GWB im Rücken: . In: Legal Tribune Online, 05.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45384 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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