"Großkanzlei? Nein, danke." Diesen Eindruck könnte man gewinnen, wenn man aktuelle Umfragen unter jungen Juristen betrachtet. Doch wie so häufig lohnt ein Blick ins Detail. Es zeigt sich: Ganz so schlimm ist es nicht.
Laut dem am Montag veröffentlichten "Graduate Barometer" des Beratungsinstituts trendence verlieren Großkanzleien in der Gunst der Absolventen - und das schon seit Jahren. Nach einer kurzen Erholung 2014 setzt sich der Abwärtstrend im Jahr 2015 weiter fort, beobachtet trendence. Für das "Graduate Barometer German Law Edition" sind zwischen Mai und Juni 2015 rund 2.300 sogenannte High Potentials der Rechtswissenschaften online zu ihren Karrierevorstellungen und Erwartungen befragt worden. Sie sollten angeben, welche Unternehmen sie attraktiv finden und was ihnen bei der Wahl des ersten Arbeitgebers wichtig ist.
Beliebtester Arbeitgeber für Juristen ist demnach das Auswärtige Amt, das Bundeskriminalamt belegt erstmals Platz 2. Freshfields Bruckhaus Deringer rutscht auf Rang 3 und ist mit einem Minus von 3,1 Prozentpunkten der größte Verlierer im trendence-Ranking, bleibt aber beliebteste Kanzlei. Weiter zählen laut trendence Hengeler Mueller (Rang 6, -1,8 Prozentpunkte) und Clifford Chance (Rang 10, -1,7 Prozentpunkte) zu den größten Verlierern. Noerr hingegen steigt mit einem Plus von 0,9 Prozentpunkten von Rang 13 auf 10.
Dennoch: Wirtschaftskanzleien bleiben beliebt
Ob nun allerdings in den Top-Wirtschaftskanzleien wirklich das große Wehklagen beginnen muss, scheint doch eher zweifelhaft. Denn immerhin befinden sich unter den Top 10 der beliebtesten Arbeitgeber sechs Großkanzleien: CMS liegt hinter der Europäischen Kommission (Rang 4) auf dem fünften Platz, hat sich gegenüber dem Vorjahr jedoch um -1,6 Prozentpunkte verschlechtert. Den sechsten Platz teilen sich Audi und Hengeler Mueller, auf Rang 8 folgt BMW, auf dem neunten Platz liegt Gleiss Lutz und den zehnten Rang teilen sich Noerr und Clifford Chance.
Ein Blick in die Liste der Top 100-Arbeitgeber von trendence zeigt, dass Kanzleien bei den jungen Juristen ungebrochen beliebt sind. Weit mehr als die Hälfte der beliebtesten Arbeitgeber stammt aus der Kanzleiwelt. Neben den großen, internationalen Law Firms sind dies auch mittelständisch ausgerichtete und große Spezialkanzleien.
Auch die mehr als 2.900 Teilnehmer der LTO Young Professionals Survey 2015 möchten mehrheitlich lieber im Staatsdienst als in einer Großkanzlei arbeiten. Auf die Frage "Wo würdest Du nach Deinem Referendariat gerne arbeiten?" antworten 53,3 Prozent mit "Staatsdienst", während bloß 38,5 Prozent eine Großkanzlei als bevorzugten Arbeitgeber angeben. Konzerne landen mit 33,4 Prozent auf dem dritten Platz.
High Potentials bevorzugen Law Firms
Das Bild ändert sich allerdings, wenn man nur die Antworten von Umfrageteilnehmern berücksichtigt, die in mindestens einem Examen mindestens neun Punkte erreicht haben - also die Bewerbergruppe, auf die Großkanzleien nach eigenen Angaben zielen. Auch von diesen sogenannten High Potentials will die Mehrheit (54,1%) zwar am liebsten im Staatsdienst arbeiten. Aber immerhin 42,3 Prozent nennen bei LTO die Law Firm als bevorzugten ersten Arbeitgeber nach dem Referendariat, 3,8 Prozentpunkte mehr als der Durchschnitt aller Umfrageteilnehmer.
"Großkanzlei? Lieber nicht" sagen von den High Potentials unter den Umfrageteilnehmern auch bloß 27,6 Prozent, während es insgesamt betrachtet 31,3 Prozent sind, für die eine Großkanzlei als Arbeitgeber nicht in Frage kommt.
Möglicherweise schließen Juristen, welche die Mindestanforderungen der großen Wirtschaftskanzleien nicht erfüllen, diese Option der Arbeitgeberwahl schon von vorneherein aus. Wenn dem so wäre, müssten sich die Personalverantwortlichen in den Law Firms allerdings auch nicht lange grämen.
Anja Hall, Bewerber-Umfragen: . In: Legal Tribune Online, 25.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16697 (abgerufen am: 06.11.2024 )
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