Wenn ein anderer Betrieb übernimmt, stehen oft Boni und andere Vergütungsansprüche der übernommenen Mitarbeiter auf dem Spiel. Die betriebliche Altersversorgung ist aber nach einem Urteil des BAG ziemlich sicher, erklärt Tobias Neufeld.
Betriebsübergänge sind arbeitsrechtliche Minenfelder. Ob überhaupt ein Betriebsübergang vorliegt, ob die betroffenen Mitarbeiter ordnungsgemäß unterrichtet wurden und welche Folgen der Übergang für deren Arbeitsbedingungen hat, ist häufig unsicher und wird oftmals erst nach Jahren durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) geklärt. Das gilt umso mehr, wenn kollektive Regelungen wie Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge auf bestehende kollektive Regelungen beim Betriebserwerber treffen.
So auch in einem nun vom BAG entschiedenen Fall, in dem ein ehemaliger Angestellter gegen die Herabsetzung seiner monatlichen Betriebsrente klagte. Dem Mann war bei seinem ursprünglichen Arbeitgeber eine betriebliche Altersversorgung nach einer Betriebsvereinbarung zugesagt worden. Es kam sodann zu einem Betriebsübergang auf die Beklagte, bei der ebenfalls Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung (bAV) existierten, jedoch mit schlechteren Konditionen. Auf dieser Basis zahlte das neue Unternehmen dann die niedrigere Betriebsrente aus.
Das BAG gab dem Mann entgegen den Vorinstanzen nun recht und stellte klar, dass Altersversorgungen bei einem Betriebsübergang nur unter strengen Voraussetzungen durch Versorgungsregelungen des Betriebserwerbers reduziert werden dürfen (Urt. v. 22.10.2019, Az. 3 AZR 200/18). Dabei berief es sich auf seine Drei-Stufen-Theorie, die es schon vor Jahrzehnten im Zusammenhang mit der Ablösung von Betriebsvereinbarungen außerhalb von Betriebsübergangen entwickelt hatte.
Eingriffe in kollektive Betriebsrentensysteme – drei Stufen zur Wirksamkeit
Nach § 613a Abs. 1 S. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gelten Betriebsvereinbarungen des übernehmenden Unternehmens, die sich auf denselben Gegenstand beziehen, auch für die übernommenen Arbeitnehmer – statt den bislang in der alten Firma gültigen Abreden. Das bietet den Beteiligten einiges an Gestaltungspotential im Hinblick auf die Beschäftigungsbedingungen für die neuen Angestellten und ist vom BAG auch so akzeptiert.
Können aber Betriebsvereinbarungen (oder Tarifverträge) über eine bAV ebenso leicht abgelöst und - so häufig das Interesse von Arbeitgebern - ggf. sogar verschlechtert werden?
Betriebsvereinbarungen über Altersversorgung unterscheiden sich von anderen, die etwa Gratifikationen oder Überstundenzuschläge betreffen. Denn sie räumen den begünstigten Arbeitnehmern langfristig Ansprüche auf Rentenleistungen ein, die spätestens nach drei Jahren nicht mehr verfallen können und damit grundsätzlich vor Eingriffen des Arbeitgebers geschützt sind.
Damit der Arbeitgeber eine bAV nicht einfach durch eine nachfolgende, verschlechternde Vereinbarung ablöst, was nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zulässig wäre, hat das BAG in ständiger Rechtsprechung (vgl. BAG 11.07.2017 – 3 AZR 513/16) einen materiellen Kündigungs- und Veränderungsschutz für solche Versorgungsordnungen etabliert: die Drei-Stufen-Theorie. Danach ist zu ermitteln, welchen Besitzstand die erfassten Mitarbeiter unter der bisherigen Versorgungsordnung haben, ob und wie stark der Arbeitgeber durch die Ablösung in diese Rechte eingreift und ob dieser Eingriff schließlich gerechtfertigt ist.
Im Vertrauen auf die Versorgungsordnung bereits erworbene Besitzstände dürfen nach der Drei-Stufen-Theorie nur in sehr seltenen Ausnahmenfällen bei Vorliegen zwingender Gründe entzogen werden (1. Stufe). Eingriffe in noch nicht erworbene, künftige Zuwachsraten sind hingegen bereits bei Vorliegen sachlich-proportionaler Gründe (3. Stufe) möglich.
Drei-Stufe-Theorie gilt nun auch bei Betriebsübergängen
Ob die Drei-Stufen-Theorie auch für Ablösungen von bAV-Betriebsvereinbarungen bei Betriebsübergängen gilt, war bislang nicht klar. Instanzgerichtliche Rechtsprechung und Literatur waren hier uneins. Immerhin hat der Gesetzgeber in § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB das Harmonisierungs- und Ordnungsinteresse des Betriebserwerbers grundsätzlich anerkannt und diesen gegenüber den Interessen der Arbeitnehmer an der Beibehaltung der bisherigen Regelungen Vorrang eingeräumt, wenn die neue Betriebsvereinbarung im neuen Arbeitsverhältnis zwingend anzuwenden ist.
Grundlegend hatte das BAG dazu bereits mit Urteil vom 24.07.2001 (Az. 3 AZR 660/00) entschieden, dass der von Arbeitnehmern zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs erworbene Betriebsrentenbesitzstand auch vom Betriebsübernehmer aufrecht erhalten werden muss (Besitzstandsrechtsprechung). Dieser Schutz ist gut, bleibt jedoch oftmals hinter dem Schutzstandard der Drei-Stufe-Theorie zurück. Das gilt insbesondere für den auf der zweiten Stufe geschützten Besitzstand, der auch als erdiente Dynamik bezeichnet wird und den das BAG erstmals 1985 anerkannt hat. Diese Besitzstandsstufe bezeichnet dienstzeitunabhängige künftige Steigerungen in einer Versorgungsordnung, z.B. wenn sich die Betriebsrente nach dem Endgehalt des Arbeitnehmers vor Eintritt in den Ruhestand berechnet. Hier bedarf es nach der Drei-Stufen-Theorie "triftiger Gründe" für einen Eingriff, die in der Praxis häufig nicht vorliegen, auch bei Betriebsübergängen nicht.
Die Diskussion ist nunmehr beendet. Das BAG erklärt in seinem Urteil vom Dienstag die Drei-Stufen-Theorie auch bei Ablösungen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB für anwendbar, also wenn bei einem Betriebsübergang die beim Veräußerer geltende Versorgungsordnung durch eine beim Erwerber bereits geltende Betriebsvereinbarung abgelöst wird. Dies hatte das BAG – nahezu unbemerkt – bereits in seinem Urteil vom 12. Juni 2019 (Az. 1 AZR 154/17) festgestellt, allerdings nicht in den Leitsätzen. Übrigens hatte auch die Vorinstanz (Landesarbeitsgericht Niedersachsen, 3 Sa 1272/16 B) im aktuellen Verfahren die Drei-Stufen-Theorie angewendet, war jedoch zum gegenteiligen Ergebnis gelangt, dass dagegen kein Verstoß vorlag. Auf die Urteilsgründe des BAG darf man daher gespannt sein.
Künftig werden die Parteien eines Betriebsübergangs Ablösungs- und Harmonisierungsszenarien für Versorgungsordnungen deutlich aufwändiger auf der Basis der Drei-Stufe-Theorie prüfen müssen. Die Vorgaben des BAG in diesem Bereich sind dabei keinesfalls klar, womit jede bAV-Harmonisierung bei Betriebsübergängen fehler- und streitanfällig ist. Leider wird das der dringend notwendigen weiteren Verbreitung der bAV nicht helfen.
Tobias Neufeld, LL.M. ist Fachanwalt für Arbeitsrecht, Datenschutzspezialist (CIPP/E, CIPM) und Gründer von neufeld Recht. Beratung. in Düsseldorf, einer Spezialkanzlei für den Bereich Human Resources. Er berät nationale und internationale Unternehmen an den Schnittstellen von Arbeitsrecht, Betrieblicher Altersversorgung und Datenschutzrecht.
BAG zur Altersversorgung bei Betriebsübergang: . In: Legal Tribune Online, 24.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38351 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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