Der Bundestag stellte sich in einem Beschluss klar gegen die BDS-Bewegung, die zum Boykott gegen Israel aufruft. Dagegen wehrten sich drei Palästina-Aktivist:innen. Ihre Klage scheiterte vor dem VG Berlin.
Eigentlich war ziemlich klar, was die Klägerin und die beiden Kläger – Judith Bernstein, Amir Ali und Christoph Glanz – und ihre Unterstützer wollen, die sich, ausgerüstet mit Palästina-Flaggen, am Donnerstagmittag vor dem Verwaltungsgericht (VG) Berlin trafen: Sie wollen sich für die Menschenrechte der Palästinenser einsetzen, gewaltfrei, aber mit einem scharfen Mittel, nämlich dem Aufruf zum Boykott gegen Israel, israelische Waren, Sport- und Kulturveranstaltungen. Sie wollen nicht als antisemitisch gelten. Und sie wollen gegen den Beschluss des Bundestages vorgehen, der 2019 die "Boycott, Divestment and Sanctions" (BDS)-Bewegung scharf verurteilt, die Förderung ihrer Projekte ablehnt und Länder, Städte und Gemeinden auffordert, sich dieser Haltung anzuschließen.
Bernstein, Ali und Glanz nennen sich "Bundestag 3 für Palästina", ihr Ziel ist es, diesen Bundestagsbeschluss aus der Welt zu schaffen. Nur was bedeutet das in einem Verwaltungsgerichtsprozess? Das war eine der entscheidenden Fragen in der Verhandlung, die am Donnerstag vor dem VG Berlin stattfand. Deshalb kündigte die Vorsitzende der 2. Kammer, VG-Präsidentin Erna Viktoria Xalter, an: "Wir reden jetzt erstmal eine halbe Stunde über die Zulässigkeit. Es wird also juristisch – das kann ich leider nicht ändern."
Bernstein, Ali und Glanz, vertreten durch den Berliner Rechtsanwalt Ahmed Abed, sehen in dem Beschluss eine Verletzung ihrer Grundrechte auf Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit und ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dagegen müsse es Rechtsschutz geben, sagte Abed, der Beschluss sei nichtig, jedenfalls aber rechtswidrig, der Bundestag dürfe ihn "nicht weiter verbreiten".
Kann diese Fragen nur Karlsruhe beantworten?
"Aber welche statthafte Klageart der Verwaltungsgerichtsordnung schwebt Ihnen da vor?", fragte Xalter – und das war nicht bloß rhetorisch gemeint. Die Verwaltungsgerichte entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art. Ginge es um das Schreiben eines Bürgermeisters oder die Aussage der Bundeskanzlerin, würde das VG vor keinem größeren Problem stehen, dazu gibt es Rechtsprechung. Doch ein Beschluss des höchsten deutschen Parlaments, das ist etwas Anderes. Dabei stellen sich jede Menge ungeklärte Fragen: Können drei Menschen, die in dem Beschluss gar nicht namentlich genannt sind, dagegen vorgehen? Hat der Bundestag quasi rechtssetzend gehandelt, ohne aber das Gesetzgebungsverfahren einzuhalten? Oder hat er lediglich seine Meinung kundgetan, was unbestritten seine Aufgabe ist? Gibt es aber vielleicht auch dafür verfassungsrechtliche Grenzen?
"Mit allem Respekt vor dem Verwaltungsgericht, wir meinen, das sind Fragen, die vor ein Verfassungsgericht gehören", sagten die Rechtsanwälte der Bundestagsverwaltung, Dr. Christian Mensching und Dr. Christian Johann von der Kanzlei Redeker Sellner Dahs. Und eigentlich wollte da keiner widersprechen, auch Abed nicht. Das VG hätte also sagen können: Es handelt sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, dafür sind wir nicht zuständig.
Tat es aber nicht. "Irgendwer muss ja mal entscheiden", sagte Xalter in der Verhandlung. Zumal der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen (VGH NRW) in einem ähnlich gelagerten Fall, in dem es um einen Anti-BDS-Beschluss des nordrhein-westfälischen Landtags ging, die Verfassungsbeschwerde abgewiesen und auf den Verwaltungsrechtsweg verwiesen hatte. Dementsprechend sagte Abed, er wolle sich in Karlsruhe nicht die nächste Abfuhr holen.
Deshalb also der Weg zum VG Berlin – und das entschied am Donnerstagabend: Die Klage sei zulässig. Der Rechtsstreit sei nicht maßgeblich verfassungsrechtlich geprägt, der Schwerpunkt liege – trotz verfassungsrechtlicher Fragen – im Verwaltungsrecht. Es gebe zwar keine Klageart, um den Beschluss für nichtig zu erklären und auch keine "Normenkontrolle", statthaft sei aber eine Feststellungsklage mit dem Ziel, die Rechtswidrigkeit feststellen zu lassen. Allerdings sei diese Klage unbegründet. Der Beschluss verletze die Kläger nicht in ihren Grundrechten (Urt. v. 7. Oktober 2021, Az.: VG 2 K 79/20).
VG Berlin: "Positionsbestimmung des Deutschen Bundestages in einer kontroversen Debatte"
Bei dem Beschluss des Bundestages handele sich um eine "Positionsbestimmung des Deutschen Bundestages in einer kontroversen Debatte", erklärte die Kammer. Der Bundestag sei befugt, einen solchen Beschluss zu erlassen, das ergebe sich aus seinem allgemeinpolitischen Mandat. Der Beschluss greife nicht in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ein, denn er treffe keine personenbezogenen, sondern nur sachbezogene Aussagen. Auch ein Eingriff in die Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit der Kläger liege nicht vor. Die Anforderungen des Sachlichkeitsgebots seien ebenfalls gewahrt.
Die Kammer behandelte den Beschluss des Bundestags also kurzerhand nach dem gleichen Schema, mit dem die Verwaltungsgerichte etwa Informationen oder Meinungsbekundungen der Exekutive überprüfen. Daran gemessen sei das Handeln des Bundestags rechtmäßig. Ob für den Bundestag womöglich sogar großzügigere Maßstäbe gelten müssten, könne deshalb offenbleiben.
Der Bundestag nennt in seinem Beschluss mehrere konkrete Maßnahmen, um gegen die BDS-Bewegung vorzugehen. Er will BDS-nahen Organisationen keine Räumlichkeiten unter Bundestagsverwaltung zur Verfügung stellen. Organisationen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen, sollen nicht finanziell gefördert werden, ebenso keine Projekte, "die die BDS-Bewegung unterstützen." Außerdem ruft der Bundestag "Länder, Städte und Gemeinden und alle öffentlichen Akteurinnen und Akteure auf", sich dieser Haltung anzuschließen.
Das zeige Wirkung, meinten Bernstein, Ali und Glanz. Seitdem sei es etwa schwierig, Räume für Veranstaltungen zu bekommen, weil Städte und Gemeinden, aber auch andere öffentliche oder private Akteure mit Verweis auf den Bundestagsbeschluss keine BDS-Veranstaltungen unterstützen wollen.
Die Kammer sah jedoch keinen Eingriff und keine eingriffsgleiche Maßnahme in dem Beschluss. Wenn tatsächlich etwa eine Stadt einen öffentlichen Raum nicht zur Verfügung stellen will, sei dagegen Rechtsschutz möglich – und auch schon gewährt worden. Tatsächlich kann Abed auf eine ganze Reihe erfolgreicher Verfahren verweisen, in denen Gerichte zugunsten von Bernstein, Ali, Glanz und anderen BDS-Aktivist:innen entschieden haben – etwa, dass sie sehr wohl bestimmte Räume nutzen durften, trotz des Beschlusses. Abed kritisierte jedoch, dass seine Mandanten damit immer wieder auf den Rechtsweg angewiesen sind: "Es kann doch nicht sein, dass wir jedes Mal erst klagen müssen."
Kläger Glanz: "Der Bundestagsbeschluss schafft ein Klima, das Diskriminierung möglich macht."
Die Kammer betonte, es stehe dem Bundestag auch frei, sich auf eine bestimmte Definition von Antisemitismus zu beziehen. Das war ein Punkt, auf den es Bernstein, Ali und Glanz besonders ankam. Der Bundestag stützt sich auf eine Arbeitsdefinition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken, die allerdings unter zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern umstritten ist. Nach ihrem zentralen Satz ist Antisemitismus eine "bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann." Der Bundestag betont, "auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird", könne " Ziel solcher Angriffe sein".
In dem Beschluss heißt es wörtlich: "Die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung sind antisemitisch". Das sei ein Werturteil, so die Kammer, es stehe jedem frei, dem seine eigene Meinung entgegen zu halten.
Bernstein, Ali und Glanz erklärten in der Verhandlung sehr vehement, dass sie sich "gegen jede Form von Rassismus, auch Antisemitismus" einsetzen. Ein Vergleich mit dem "Deutsche, kauft nicht bei Juden"-Boykott der Nationalsozialisten sei ihr unerträglich, so Bernstein. Es gehe nicht darum, Juden anzufeinden, sondern den Staat Israel zu einer anderen Politik zu zwingen.
Der Antisemitismus-Vorwurf grenze sie aus und führe zu Anfeindungen, betonten alle drei. So berichtet Glanz, er sei erst kürzlich auf einer Demonstration zum Klimawandel von mehreren Personen plötzlich als "Antisemitenschwein" angepöbelt worden, er habe Morddrohungen erhalten und befürchte weitere Angriffe. Vor Gericht sagte er: "Schickt der Bundestag Schlägertrupps? Nein. Wir glauben nicht an Verschwörungstheorien. Aber der Bundestagsbeschluss schafft ein Klima, das solche Ausfälle möglich macht."
Am Ende des Verhandlungstages blieben viele grundsätzliche Fragen offen – das sah das VG ebenfalls so und ließ die Berufung zum Oberverwaltungsgericht zu. Abed kündigte nach der Entscheidung an, auch zum Bundesverfassungsgericht und zum Europäischen Menschengerichtshof in Straßburg zu gehen. Am Ende dürfte es also doch noch zu einer Grundsatzentscheidung kommen, die die verfassungsrechtlichen Fragen des Falles vielleicht besser klären kann.
Klage von Israel-Boykott-Unterstützern abgewiesen: . In: Legal Tribune Online, 08.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46246 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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