Das Land NRW hat in Verfahren wegen Corona-Soforthilfe sehr früh Anwälte mandatiert. Diese Kosten sollte das Land selbst tragen, entschied das VG Düsseldorf. Die zahlreichen darauf folgenden Befangenheitsanträge wies es nun allesamt ab.
"Land NRW will Gerichtsentscheidung zu Coronahilfen nicht akzeptieren", lautete die Überschrift einer Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts (VG) Düsseldorf, die am Montag die Redaktionen erreichte. Ganz treffend ist dieser Titel nicht. Doch den Unmut des Gerichts bildet er deutlich ab.
Das VG Düsseldorf ist – wie viele Verwaltungsgerichte – seit Jahren erheblich mit Verfahren ausgelastet. In ihren Jahrespressegesprächen teilen die Sprecher des Gerichts diese Tatsache mit, erklären, woran es liegt, vielleicht noch, welche Maßnahmen Abhilfe schaffen könnten – und machen ihre Arbeit weiter. Die Verwaltungsgerichte sind es auch, die in Coronazeiten eine Masse an Verfahren und schnell zu entscheidende Eilverfahren zu bearbeiten haben – ihnen obliegt die Zuständigkeit, wenn sich Bürger gegen hoheitliches Handeln prozessual wehren möchten.
Für Klagen gegen Bescheide zu den Coronahilfen ist am VG Düsseldorf nach dem Geschäftsverteilungsplan die 20. Kammer unter Vorsitz der Richterin Dr. Nicola Haderlein zuständig. Haderlein ist auch Pressedezernentin des Gerichts, in einem Team mit dem zweiten Sprecher Norbert Klein. In eigenen Verfahren überlassen die beiden dem bzw. der jeweils anderen die Öffentlichkeitsarbeit. Zu Beschlüssen auf Anhörungsrügen oder Befangenheitsanträge kommen Pressemitteilungen eher selten.
Mit Rügen und Anträgen "überzogen"
Anders in diesem Fall – und die Pressestelle des VG Düsseldorf fand sehr deutliche Worte: "Das Land Nordrhein-Westfalen hat das VG Düsseldorf mit einer Vielzahl von Anhörungsrügen und etlichen Befangenheitsanträgen überzogen, nachdem das Gericht in Corona-Soforthilfeverfahren eine Kostenentscheidung zu Lasten des Landes getroffen hatte". Die Beschlüsse wurden alle zurückgewiesen.
Zuvor hatten rund 200 Kläger:innen, die Corona-Soforthilfen aus einem Programm des Landes NRW erhalten hatten, am VG Düsseldorf um Rechtsschutz gegen das Land NRW nachgesucht. Die überwiegende Zahl dieser Klagen ist nach Auffassung der zuständigen 20. Kammer des Gerichts wegen Besonderheiten in den Fallkonstellationen schon unzulässig. Auf entsprechende gerichtliche Hinweise haben mehr als 100 Kläger:innen ihre Klagen zurückgenommen.
Zu früh mandatiert?
Nach Erteilung der ersten Hinweise dazu durch das Gericht hat sich in diesen Verfahren die Kanzlei Wolter Hoppenberg Rechtsanwälte Partnerschaft mbB mit ihrem Büro aus Münster für das Land NRW, vertreten durch die Bezirksregierung Düsseldorf, als Prozessbevollmächtigte bestellt. Aus Sicht des VG war diese Mandatierung offenbar unnötig. Nach Ansicht der 20. Kammer habe es der Einschaltung von Rechtsanwälten zu diesem Zeitpunkt nicht bedurft.
Üblicherweise trägt der- bzw. diejenige, die einen Rechtsbehelf zurücknimmt, auch alle Kosten des Verfahrens. Von dieser Regel wich das VG allerdings bei allen zurückgenommenen Klagen ab: Die bestellten Rechtsanwälte muss das Land nach der Kostenentscheidung des VG selbst bezahlen. Zur Begründung führten die Richterinnen und Richter aus, dass das Land habe abwarten können, ob es in den unzulässigen Verfahren überhaupt noch zu einer streitigen Auseinandersetzung komme.
Kostenentscheidungen sind nach der Verwaltungsgerichtsordnung unanfechtbar.
Etliche Rügen und Anträge durch Kanzlei
Daraufhin hat das Land, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten, rund 90 sog. Anhörungsrügen gem. § 152a Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eingelegt. Mit solchen Anhörungsrügen kann geltend gemacht werden, das rechtliche Gehör sei verletzt worden. Die Anwält:innen blieben mit den Rügen erfolglos.
Als nächstes "haben die Rechtsanwälte die Berichterstatter der 20. Kammer als befangen abgelehnt", teilte das VG Düsseldorf mit, zwölf Befangenheitsanträge (§ 54 VwGO, §§ 41ff. Zivilprozessordnung) stellten die Anwälte aus Münster. Die beim VG zuständigen Vertretungsrichter haben diese am Montag zurückgewiesen (Beschl. v. 13.12.2021, Az. 20 K 4412/21 u.a.). Eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit sei kein geeignetes Mittel, sich gegen für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters zu wehren, formulierte das VG. Und weiter: Es liege in der Natur der Sache, dass das Gericht mit einer Entscheidung nicht beiden Beteiligten Recht geben könne.
Nach Zurückweisung dieser Anträge sind auch die Anhörungsrügen in den übrigen Verfahren abgelehnt worden.
Land und Kanzlei: gemeinsam besprochen
Die Kanzlei aus Münster, die nach eigenen Angaben schon mehrfach für das Land NRW tätig war, war nach einem Pitch in das Mandat gekommen. Anhörungsrügen und Befangenheitsanträge seien, so teilte die Kanzlei auf Anfrage von LTO unabhängig von diesem Mandat mit, die einzige Möglichkeit zu versuchen zu erreichen, dass das Gericht die eigene Rechtsauffassung überdenke.
Zu den konkreten Verfahren wollte die Kanzlei sich unter Hinweis auf die Schweigepflicht nicht äußern. Sie werde die Pressemitteilung des Gerichts zum Anlass nehmen, die Abläufe auch intern zu hinterfragen.
"Die Kostenentscheidung des VG Düsseldorf in den Einstellungsbeschlüssen hat uns sehr überrascht, weil sie höchstrichterlicher Rechtsprechung und der Entscheidungspraxis der anderen Verwaltungsgerichte in NRW widerspricht", teilte die BR Düsseldorf mit. Die Kosten der Rechtsberatung könnten nicht öffentlich gemacht werden, weil diese das Mandantenverhältnis beträfen.
Die Bezirksregierungen in Nordrhein-Westfalen sind zuständig für die Prüfung und Auszahlung der Corona-Wirtschaftshilfen. Organisatorisch sei diese Aufgabe in der BR Düsseldorf bei dem Dezernat 34 - EU-Förderung-Europäischer Sozialfonds und Europäischer Fonds für regionale Entwicklung, regionale Wirtschaftsförderung, INTERREG – verortet, erklärt die BR. Und weiter: "Wenn sich die Verwaltung juristischer Beistände bedient, dann werden – wie allgemein üblich – regelmäßig Verfahrensfragen gemeinsam besprochen und das weitere Vorgehen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vereinbart. Das war auch hier der Fall."
"Die im Gesetz vorgesehene Ausnahme"
"Die Kostenentscheidung zu Lasten des Landes ist wirklich ungewöhnlich, nämlich die im Gesetz vorgesehene Ausnahme", erklärt Rechtsanwalt Robert Hotstegs aus Düsseldorf. Sie komme äußerst selten zum Tragen. Allerdings gebe es auch im Kostenrecht Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben. "Wenn ich also - als Bezirksregierung - durch den richterlichen Hinweis sehe, dass die Klagen unzulässig sein dürften und voraussichtlich zurückgenommen werden, darf ich die Kosten der Kläger:innen nicht dadurch erhöhen, dass ich sozusagen 'noch auf die Schnelle' eigene Bevollmächtigte beauftrage. Hier hätte die Bezirksregierung also durchaus die Reaktion der Kläger:innen abwarten sollen", so Hotstegs.
Im Übrigen seien die Kostenentscheidungen wohl auch ausgewogen, weil laut Pressemitteilung das Gericht der Bezirksregierung nur die Kosten der eigenen Anwälte auferlegt habe. "Die Kläger zahlen dann ihre eigenen Anwälte, die Gerichtskosten und - hier kommt es auf den genauen Wortlaut der Kostenentscheidung an - evtl. auch die Kosten der Bezirksregierung selbst. Damit könnte das Land immerhin noch die Kostenerstattung für Post- und Telekommunikationskosten und Fotokopien prüfen und beantragen", so Hotstegs.
Aus Bürger:innensicht sei die Kostenregelung sehr zu begrüßen, um Behörden die kurzfristige Kostensteigerung zu Lasten der Kläger:innen zu verwehren. "Die Behörden sind hierdurch ja gerade nicht gehindert, eigene Anwälte zu nutzen und in den weiter anhängigen, streitigen Verfahren auch die Kostenerstattung im Erfolgsfall zu nutzen", sagt der Anwalt.
"Wollen unsere Arbeit machen"
"Selbstverständlich erledigen wir verantwortungsvoll jede Aufgabe, die beim Gericht eingeht, und dazu gehören selbstverständlich auch Anhörungsrügen und Befangenheitsanträge", teilte das VG auf LTO-Anfrage mit. "Außergewöhnlich" sei aber die hohe Anzahl der Rügen und Anträge, die gestellt wurden.
In einem Rechtsstaat sei es üblich, dass Verfahrensbeteiligte unanfechtbare Gerichtsentscheidungen wie die hier in Rede stehenden Kostenentscheidungen akzeptieren. "Dann kann auch die sonstige Sacharbeit so zügig erledigt werden, wie die Rechtsschutzsuchenden es erwarten und erwarten dürfen", teilte das VG auf LTO-Anfrage mit.
In der 20. Kammer warten Dutzende Kläger darauf, dass ihre Klagen zu unterschiedlichen Arten von Coronahilfen in der Sache behandelt werden. Diesen Verfahren möchten die Richter und Richterinnen sich nun widmen.
VG Düsseldorf gegen Land NRW: . In: Legal Tribune Online, 15.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46943 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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