Rechtsberatung für russische Unternehmen ist nun grundsätzlich verboten. In der Anwaltschaft rumort es trotz Ausnahmen. Die BRAK appelliert an den Justizminister. Der Rechtsstaat sei in Gefahr. Doch es geht auch um viel Geld.
Als Reaktion auf die russische Scheinannexion in der Ostukraine hat die Europäische Union ein neues Sanktionspacket verabschiedet, das seit dem 7. Oktober in Kraft ist. Konkret wurde mit der Verordnung EU 2022/1904 des Rates die seit der Krim-Annexion geltende EU-Sanktionsverordnung gegen Russland 833/2014 verändert.
Nun heißt es in Art. 5n Abs. 2 der Sanktionsverordnung: "Es ist verboten, unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen in den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen, Rechtsberatung und IT-Beratung zu erbringen für
a) die Regierung Russlands oder
b) in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen."
Durch die Erstreckung auf "mittelbare" Beratung dürfte auch eine Um-die-Ecke-Beratung anderer Anwälte, die wiederum russische Unternehmen beraten, verboten sein. Nicht erfasst ist allerdings die Beratung von Einzelpersonen, seien es Privatpersonen oder Einzelunternehmer.
Erwägungsgrund 19 der VO 2022/1904 relativiert das zunächst sehr pauschal klingende Verbot weiter. Dort heißt es:
- Hiernach sind "Rechtsberatungsdienstleistungen" nur nichtstreitige Angelegenheiten, einschließlich Handelsgeschäften, bei denen es um die Anwendung oder Auslegung von Rechtsvorschriften geht; die Teilnahme mit oder im Namen von Mandanten an Handelsgeschäften, Verhandlungen und sonstigen Geschäften mit Dritten; die Ausarbeitung, Ausfertigung und Überprüfung von Rechtsdokumenten.
- Explizit ausgenommen, also zulässig, ist die Vertretung, Beratung, Ausarbeitung von Dokumenten oder Überprüfung von Dokumenten im Rahmen von Rechtsvertretungsdienstleistungen, insbesondere in Angelegenheiten oder Verfahren vor Verwaltungsbehörden, Gerichten, anderen ordnungsgemäß eingerichteten offiziellen Gerichten oder in Schieds- oder Mediationsverfahren.
Faustformel: Streitig = zulässig
Nach Einschätzung von Dr. Vera Jungkind, Sanktionsrechtlerin bei Hengeler Mueller, gegenüber dem Anwaltsblatt bleibt auch eine vorgerichtliche Beratung, ob man überhaupt klagen sollte, erlaubt. Faustformel sei: "Immer wenn ein Anspruch streitig ist, bleibt die Rechtsberatung zulässig."
Zudem statuieren Art 5n Abs. 3 bis Abs. 11 EU 2022/1904 eine Vielzahl weiterer Ausnahmen. Dies betrifft die Beendigung von Verträgen (Abs. 3, 4), explizit Verteidigung in Gerichtsverfahren (Abs. 5), Dienstleistungen, die Zugang u.a. zu Gerichts- und Verwaltungsverfahren ermöglichen oder zur Vollstreckung unbedingt erforderlich sind (Abs. 6), Beratung von Unternehmen in Russland, die im Eigentum eines EU-Unternehmens oder eines Unternehmens aus einem Partnerland stehen (Abs. 7), Beratungen zu Notlagen im Bereich Umwelt, Gesundheit, Sicherheit (Abs. 8), bestimmte Softwareaktualisierungen (Abs. 9).
Zudem können bestimmte Tätigkeiten genehmigt werden, etwa wenn sie humanitären, zivilgesellschaftlichen oder diplomatischen Zwecke dienen (Abs. 10) oder zur Sicherstellung von Energieversorgung in der EU, für Menschen bedeutsame Infrastruktur oder Cybersicherheit erforderlich sind (Abs. 11).
BRAK hält Sanktionen für verfassungswidrig
Der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) gehen die Ausnahmen nicht weit genug. In einem Brief wendet sich der Präsident der BRAK, Dr. Ulrich Wessels, an Bundesjustizminister Marco Buschmann und fordert diesen auf, "für die Sicherung von Rechtsstaatlichkeit und uneingeschränkter Berufsausübungsfreiheit der Anwaltschaft einzustehen".
Zwar seien weitere Sanktionen nachvollziehbar, die konkrete Ausgestaltung kritisiert Wessels aber "aufs Schärfste". Das achte EU-Sanktionspaket verstoße gegen rechtsstaatliche Grundsätze und dürfe in Deutschland schon aus verfassungsrechtlichen Gründen keine Anwendung finden. Daran änderten auch die in den Regelungen niedergelegten Ausnahmefälle nichts. Einerseits enthielten diese zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe. Zum anderen sei es nicht hinnehmbar, dass im Grunde genommen verbotene Rechtsberatung im Einzelfall und unter bestimmten Bedingungen von Behörden genehmigt werden könne.
Die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates werde in ihren Grundfesten erschüttert, sollte es bei den nun auf den Weg gebrachten Regelungen bleiben. "Die in der neuen Verordnung vorgesehenen Einschränkungen bei der rechtlichen Beratung müssen angesichts der massiven rechtsstaatlichen und verfassungsrechtlichen Bedenken zwingend wieder rückgängig gemacht werden", meint Wessels. Hintergrund für die Wehklage dürften neben rechtsstaatlichen Bedenken auch die erheblichen wirtschaftlichen Verluste sein, die nun Anwälten mit entsprechenden Beratungstätigkeiten drohen.
Noch keine Reaktion aus dem Bundesjustizministerium
Wie reagiert Bundesjustizminister Marco Buschmann auf die harschen Worte ("aufs Schärfste")? Eine Anfrage von LTO an das Bundesjustizministerium hierzu blieb bislang unbeantwortet.
Ein Verstoß gegen die Sanktionen kann erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen. Entsprechende Honorarverträge sind nichtig, sodass Mandanten auch bezahltes Geld zurückfordern können. Zudem stehen auf Verstöße gemäß § 18 Abs. 1 Außenwirtschaftsgesetz (AWG) bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe.
BRAK scheibt Brandbrief an Bundesjustizminister: . In: Legal Tribune Online, 10.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49840 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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