Notare müssen nicht deutsch sein
Das deutsche Notarsystem, das ausländischen Staatsangehörigen die Zulassung als Notar verweigert, wurde von der Kommission im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens einer Prüfung daraufhin unterzogen, ob es "europarechtskonform" ist. Die am Dienstag veröffentlichten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) lehnen überraschend die Einstufung des Notars als Träger eines öffentlichen Amtes ab. Die Gründe der Entscheidung zeigen, dass der Spagat zwischen öffentlichen Amt und Freiberuflichkeit seine Grenzen hat. Der Präsident der Notarkammer, Dr. Tilman Götte, hob noch beim Festakt zum fünfzigjährigen Bestehen der Bundesnotarkammer am 12. April dieses Jahres die Stellung des Notars in Europa hervor. Ob er über die Ohrfeige aus Brüssel nun glücklich ist, ist fraglich – auch wenn er im Anschluss an die Entscheidungen bereits verlauten ließ, die Urteile rührten nicht an den Strukturmerkmalen des Notarberufs und die deutsche Notariatsverfassung sei bis auf den Staatsangehörigkeitsvorbehalt EU-konform. Tatsächlich folgen die Europarichter aber der Ansicht von Generalanwalt Cruz Villalón, dass Deutschland ebenso wie fünf weitere Mitgliedstaaten gegen europäisches Recht verstoßen habe, indem es den Notarberuf auf deutsche Staatsangehörige beschränkte. Dies diskriminiere Angehörige anderer europäischer Staaten ohne hinreichenden Grund, so die Große Kammer in ihren Entscheidungen vom Dienstag (Urt. v. 24.05.2011, Az. C 47/08, C 50/08, C 51/08, C 53/08, C 54/08, C 61/08 und C 52/08).
Freiberufler mit deutscher Staatsangehörigkeit?
Deutschland muss deshalb § 5 Bundesnotarordnung (BNotO) entsprechend ändern, wie auch die Bundesnotarkammer schon unmittelbar nach der Verkündung des Urteils verlauten ließ. Nach dieser Vorschrift darf zum Notar nur ein deutscher Staatsangehöriger bestellt werden. Dies wurde bisher damit begründet, dass der deutsche Notar als staatlicher Hoheitsträger ebenso wie der deutsche Richter oder Beamte die Gewähr bieten müsse, jederzeit die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu wahren. Im Beamtenrecht allerdings hat der Gesetzgeber längst korrigiert. In das Beamtenverhältnis kann berufen werden, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzt und die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten (§ 7 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz). Die Notare haben sich der längst überfälligen Anpassung bisher widersetzt, weil § 9 des Deutschen Richtergesetz für die Berufung in das Richterverhältnis weiterhin an dieser Voraussetzung festhält. Dabei haben Notare anders als Richter einen freien Beruf. Sie erhalten keine feste Besoldung vom Staat, sondern werden ähnlich wie Rechtsanwälte von den Mandanten bezahlt. Die Gebühren sind staatlich festgelegt, Gebührenvereinbarungen dürfen die Notare nichtabschließen. Die Überwachung der Einhaltung dieser Bestimmungen müsste jedoch durch die Rechtsaufsicht auch effizient überwacht werden.Öffentliches Amt oder freier Beruf?
Anders als der Generalanwalt Villalón gehen die Luxemburger Richter davon aus, dass die Tätigkeit der Notare nicht mit einer unmittelbaren und spezifischen Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden ist. Die Bindung der Notare an das Allgemeininteresse, die Gewährleistung der Rechtssicherheit durch die vorsorgende Rechtspflege und die erhöhte Beweiskraft notarieller Urkunden genügen nicht, um die notarielle Tätigkeit als Ausübung öffentlicher Gewalt einzustufen. Nur die Ausübung öffentlicher Gewalt aber hätte die Abschottung der Notare gegenüber der Niederlassungsfreiheit des Art. 49 AEUV rechtfertigen können. Art. 45 EG-Vertrag (jetzt Art. 51 AEU-Vertrag) sieht nämlich vor, dass die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit keine Anwendung finden auf Tätigkeiten, die dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind. Notare üben ihre Tätigkeit unter Wettbewerbsbedingungen aus, das ist das entscheidende Argument der Großen Kammer, mit dem sie die Ausübung öffentlicher Gewalt durch die Notare ablehnt. Der Staat hafte auch nicht für ein Fehlverhalten der Juristen. Damit ist die Bereichsausnahme für die Niederlassungsfreiheit nicht anwendbar. Nur unter Bezugnahme auf die besonderen Umstände des Rechtssetzungsverfahrens verneint der EuGH eine Vertragsverletzung hinsichtlich der Umsetzung der Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen.Das Ende des freiberuflichen Mitternachtsnotars mit Leseschwäche
Die Konsequenzen der EuGH- Entscheidung für das deutsche Notariat sind derzeit noch nicht absehbar. Zwar haben die Luxemburger Richter festgestellt, dass ihre Entscheidung "weder den Status und die Organisation des Notariats in der deutschen Rechtsordnung betrifft noch die Voraussetzungen, die neben der Staatsangehörigkeit für den Zugang zum Beruf des Notars in diesem Mitgliedstaat bestehen." Das ändert aber nichts daran, dass das Bundesverfassungsgericht davon ausgeht, dass der Notar Träger eines öffentlichen Amtes ist. Insofern müssen die Notare nun sehr wohl einen Spagat bewerkstelligen, den nämlich zwischen nationalen und europäischen Anforderungen. Die in anderen Berufen geführte und bei den Notaren längst überfällige Standortdiskussion dürfte durch die Entscheidung des EuGH einen weiteren Anstoß erhalten. Fällt die notarielle Tätigkeit unter die Personenverkehrsfreiheiten und ist die Bereichsausnahme der hoheitlichen Tätigkeit nicht anwendbar, kann die Sonderstellung der Notare des lateinischen Notariats, dem auch die deutschen Notare angehören, nur noch durch zwingende Gemeinwohlerfordernisse gerechtfertigt werden. Hierzu bedarf es europarechtlich der längst überfälligen Anerkennung des Verbraucherschutzes als Gemeinwohlbelang. Umgekehrt müssen die Notare bei ihrer Amtsausübung besonders korrekt ihre – wie dies der frühere Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem formuliert hat – Funktion als "Treuhänder der Allgemeinheit" wahrnehmen. Sie dürfen nicht nur als Treuhänder gegenüber einer, erst recht nicht der wirtschaftlich stärkeren Partei tätig werden. Insofern sind auch Bestrebungen in Hamburg, wieder 10-er Sozietäten zu etablieren, kontraproduktiv. Bei der Besetzung von Notarstellen muss nämlich auch der Eindruck vermieden werden, ein öffentliches Amt sei käuflich. Die Lehre aus Brüssel kann für das deutsche Notariat nur lauten: Stärkung des öffentlichen Amtes im Gemeinwohlinteresse. Der freiberufliche Dienstleistungsnotar, der Mitternachtsbeurkundungen für Strukturvertriebe vornimmt, Verbraucherschutzvorschriften großzügig handhabt und zugunsten von Bauträgern stets an die Grenze des gerade noch Zulässigen geht, sich aber gleichzeitig hinter seinen Privilegien verschanzt, hat spätestens seit der heutigen Entscheidung des EuGH keine Zukunft mehr. Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen und u.a. Mitglied des Vorstands des Instituts für Notarrecht an der Universität Würzburg und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Notarinstituts Fachbereich öffentliches Recht. Er ist Verfasser zahlreicher Fachpublikationen. Anmerkung der Redaktion: Aus Gründen der Klarstellung wurde die Überschrift des Artikels nachträglich geändert. Wir bitten hierfür um Verständnis. Mehr auf LTO.de: Übertragung von Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare: (Teil-) Privatisierung der Justiz? TV Legal: Deutschland sucht den Fernsehnotar Notarielle Beurkundungen: Zum Kostensparen in die SchweizAuf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2011 M05 24
Notare
Verwandte Themen:- Notare
Teilen