Zwei Jahre NetzDG – wie schlägt es sich und was hat es gebracht? Nicht gut und nicht viel, meint Ingo Bott. Es sorge für Verwirrung, hadere mit unklaren Abgrenzungsfällen und sei vor allem ein Hybrid – nämlich aus Allem und Nichts.
"Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz sieht vor, dass strafbare Hassbotschaften im Netz von den sozialen Netzwerken gelöscht werden müssen. Bis Ende des Jahres werden wir hierzu weitere Vorschläge unterbreiten. Gleichzeitig brauchen wir eine konsequente Strafverfolgung durch Polizei und Justiz." Das sagte nicht irgendwer, sondern Bundesjustizministerin Lambrecht im Spiegel vom 31. August dieses Jahres.
Am 9. September, nur neun Tage später, sorgte das Landgericht Berlin für Aufsehen, als es gegenüber der Grünen-Politikerin Renate Künast den Zugang zu Daten eines Facebook-Kommentators verweigert, der sie (u.a.) als "Drecksfotze" bezeichnet hatte. Allein im Regen verbleibt der Rechtsanwender und fragt zu Recht: Ja was denn nun?
Klare Ambivalenz von Politik und Recht
Deutlicher als zwischen "Drecksfotze" und Hardliner-Botschaften kann die Zerrissenheit zwischen Rechtsbestimmung und Rechtsprechung kaum ausfallen. Seit der Gesetzgeber zum 1. Oktober 2017 das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG) in die Welt brachte, tobt die Diskussion über Sinn und Unsinn der Regelung.
Auf den ersten Blick mag das befremdlich wirken, richtet sich das "Facebook-Gesetz" doch an keine zwei Dutzend Adressaten, sondern nur an Anbieter sozialer Netzwerke mit mindestens zwei Millionen registrierten Nutzern. Es hat allerdings auch Folgen für Millionen von Nutzern im täglichen Spannungsverhältnis von Netiquette und grobem Draufhauen. Wo bislang jedoch Hate-Speech-Hater und Meinungsfreiheitsverfechter über den schmalen Grat des schon bzw. noch Zulässigen streiten konnten, hat das Landgericht Berlin für verstörende Ruhe gesorgt. Die Grenze, was man (nicht) mehr frei im Internet sagen, meinen oder schreiben darf, ist damit quasi pulverisiert. Dasselbe gilt spätestens jetzt auch für den Anwendungsbereich des NetzDG.
Viele Verbotsquellen, doch keine klaren Konturen
Die Anknüpfung der durch das NetzDG benannten "rechtswidrigen Inhalte" an über zwanzig (!) Straftatbestände aus zehn Abschnitten des Strafgesetzbuchs sorgt bei Rechtstheorie und -praxis nachhaltig für Irritation. Wie ist zu bestimmen, ob einzelne Tweets diesem Regelungsbereich unterfallen? Und vor allem: Durch wen?
Die Entscheidung des Landgerichts Berlin zeigt deutlich auf, dass die durch das Gesetz angestrebte, politisch sicher auch gut gemeinte Netzhygiene an den Realitäten der Auslegungsfragen im Einzelnen scheitert. Dabei ist das Berliner Verdikt nur die Spitze des Eisbergs. Denn wo "Drecksfotzen"-Sprüche (eigentlich) rechtlich noch klar einzuordnen sein dürften, gibt es es noch wesentlich komplexere Abgrenzungsfragen, wenn es zum Beispiel um die sämtlich durch das NetzDG erfassten Straftatbestände der Volksverhetzung, der Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen oder aber, besonders kryptisch, etwa der landesverräterischen Fälschung geht.
Unternehmen sollen prüfen, verantworten – und bezahlen
Mit der Frage, ob, wie und warum eine Äußerung in einem sozialen Netzwerk unter das NetzDG fällt, lassen Politik und Rechtsprechung die Anbieter allerdings weitgehend allein. Klar ist nur: Wer gegen die kodifizierte Compliance-Regelung des NetzDG verstößt, hat zu bezahlen – und das nicht zu knapp. Über eine ordnunsgwidrigkeitsrechtliche Verweisung ist für Unternehmen sogar ein Bußgeld von bis zu fünfzig Millionen Euro denkbar. Damit nicht genug: Im Spiegel-Gespräch stellte die Bundesjustizministerin klar: "Wenn die Anbieter nicht mit der Justiz kooperieren, wird das künftig harte Konsequenzen haben, dann drohen hohe Bußgelder."
Wie aber eine solche Kooperation mit der Justiz aussehen soll, wenn diese, wie nun einmal mehr geschehen, mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt, bleibt in einer Welt, die sich jenseits politischer Powersätze mit den Realitäten der Rechtsanwendung zu befassen hat, schleierhaft.
Ebenso unklar ist, wie der Erziehungseffekt des NetzDG tatsächlich wirken soll, wenn etwa eine Zwei-Millionen-Euro-Geldbuße gegen Facebook wegen Verstoßes gegen Berichtspflichten sowohl hinsichtlich des Betrags als auch der angestrebten Präventionswirkung weitgehend aus der Luft gegriffen scheint. Ob und wie eine solche Sanktion die durch das NetzDG erfassten Unternehmen überhaupt faktisch trifft, ihnen also wirklich "weh tut", steht erst recht auf einem ganz anderen Blatt.
Das NetzDG als Hybrid aus Allem und Nichts
Schlussendlich hat der Gesetzgeber mit dem NetzDG einen Hybriden geschaffen, der vieles will und nichts erreicht. Es ist zwar ein löbliches Anliegen, Anstand und Souveränität im zwischenmenschlichen Austausch über soziale Netzwerke anzustreben. Zum einen gewährleisten die Anbieter sozialer Netzwerke hier in der Praxis allerdings bereits einen wirkungsvollen Filter durch die eigenen sogenannten Community Standards. Zum anderen vermag das normative Verweisungetüm des NetzDG nicht weitere Klarheit zu schaffen - erst recht nicht dann, wenn online andere Maßstäbe an Meinungsäußerungen gelegt werden, als das offline der Fall ist.
Unterm Strich stellt der Gesetzgeber der Empörungskultur damit ein Empörungsgesetz in den Weg, das zwar dazu geeignet sein mag, ein paar Handvoll Netzwerkanbieter bei (teils willkürlich anmutenden) Compliance-Verstößen zu sanktionieren und viele Anwälte auf unsicherem Terrain mit eigentlich originär strafrechtlich zu bewertenden Prüfaufträgen zu versorgen. Mehr leistet das Gesetz in der bestehenden Form allerdings faktisch nicht.
Mehr Strafrecht wagen?
Das Monopol des Strafens liegt in den Händen des Staates. Auch das NetzDG ändert daran nichts, verschiebt aber die Grenzen der Auslegungshoheit oder jedenfalls -aufgabe, indem es Privaten die Verantwortung dafür überträgt, strafrechtlich relevante Inhalte aussieben zu müssen. Eine Pflicht zur Strafanzeige geht damit zwar nicht einher. Allein aus Gründen der eigenen Absicherung kann Netzwerkbetreibern allerdings nur zu empfehlen sein, alle Zweifelsfälle auch den Strafverfolgungsbehörden zu kommunizieren. Die Arbeitsbelastung dürfte dort durch das neu geschaffene Rechtsgut "Netzwerkhygiene" nicht kleiner werden.
Es klingt dabei mehr wie eine Drohung in Richtung Rechtssicherheit denn wie ein Lichtblick, wenn die Bundesjustizministerin ankündigt: "Bis Ende des Jahres werden wir hierzu weitere Vorschläge unterbreiten. Gleichzeitig brauchen wir eine konsequente Strafverfolgung durch Polizei und Justiz." Wie dies in Zeiten zu gewährleisten sein soll, in denen Rechtssprüche wie jener aus Berlin das Meinungsklima definieren, bleibt unbeantwortet, ebenso wie die schnelle Löschentscheidung des sozialen Netzwerks (auch zivilrechtlich) einzustufen ist, wenn die deutlich langsamere Bewertung durch den Staat am Ende anders ausfällt.
Insgesamt bleibt mit Blick auf das NetzDG vieles rätselhaft. Dem Rechtsanwender wird es dabei nicht viel anders gehen können als bei Bertold Brechts Gutem Menschen von Sezuan: Wir stehen selbst enttäuscht und betroffen. Den Vorhang zu; und alle Fragen offen.
Der Autor Dr. Ingo Bott ist Rechtsanwalt und Partner bei Plan A – Kanzlei für Strafrecht. Die Kanzlei ist spezialisiert auf Wirtschaftsstrafrecht und berät regelmäßig Unternehmen im "Grünen Bereich".
Sein Beitrag geht zurück auf ein Streitgespräch mit Richter Dr. Christoph Buchert (dessen Contra-Position schon bald auf LTO erscheinen wird) auf dem "Forum zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)" der Arbeitsgemeinschaft Geistiges Eigentum und Medien im DAV vom vergangenen September in Berlin.
Pro und Contra NetzDG: . In: Legal Tribune Online, 25.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38381 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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