SPD und Union haben sich beim Whistleblower-Gesetz verkracht. Dabei bleibt nicht mehr viel Zeit, um die EU-Richtlinie zum Hinweisgeberschutz umzusetzen – notfalls könnten sich Beschäftigte sogar direkt darauf berufen.
Dass Deutschland bessere Regeln für den Schutz von Whistleblowern schaffen muss, ist eigentlich längst klar. Vor allem muss die EU-Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (EU-Richtlinie 2019/1937 vom 23.10.2019, kurz: Whistleblower-Richtlinie) bis zum 17. Dezember dieses Jahres umgesetzt werden.
Aber auch die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten haben sich 2019 in Osaka für einen umfassenden Schutz von Hinweisgebern ausgesprochen. Ein Jahr zuvor hatte die OECD-Arbeitsgruppe für Bestechungsfragen in einem Evaluierungsbericht Deutschland empfohlen, ein Whistleblower-Gesetz auf den Weg zu bringen. Das Ministerkomitee des Europarates stellte schon 2014 Grundsätze für nationale Regelungen zum Hinweisgeberschutz auf und auch das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption, das Deutschland 2014 ratifiziert hat, fordert die Mitgliedstaaten auf, Maßnahmen jedenfalls zu prüfen. Kurz: Der internationale Druck ist hoch, Whistleblower effektiv zu schützen, sollte zum Standard gehören.
Doch in Deutschland fehlen klare Vorgaben dazu, wer sich unter welchen Umständen an welche Stellen wenden darf – und dann vor Repressalien oder einer Kündigung geschützt ist. Bisher ist der Hinweisgeberschutz weitgehend Sache der Gerichte. Das Bundesjustizministerium (BMJV) hat zwar einen Gesetzentwurf vorgelegt, doch der hat es nicht ins Kabinett geschafft. Union und SPD können sich nicht einigen. Umstritten ist vor allem ein Punkt: Sollen Whistleblower nur geschützt werden, wenn es um Verstöße gegen EU-Recht geht oder auch bei Verstößen gegen deutsches Recht?
Schießt der BMJV-Entwurf über das Ziel hinaus?
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte, sie wolle Whistleblower unabhängig davon schützen, ob sie Verstöße gegen europäisches oder gegen deutsches Recht offenlegen: "Denn sonst wäre geschützt, wer einen Verstoß gegen europäische Datenschutzvorschriften meldet, aber nicht geschützt, wer auf Schmiergeldzahlungen, Steuerhinterziehung oder auf Verstöße gegen deutsche Umweltschutz- oder Arbeitsschutzbestimmungen hinweist."
Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag Dr. Jan-Marco Luczak erklärte, die Union stehe zwar "voll hinter dem Ziel der Whistleblower-Richtlinie", die EU-Vorgaben dürften aber nicht überschießend umgesetzt werden. "Viele Unternehmen kämpfen in der aktuellen Pandemie um ihre Existenz", so Luczak, "Ihnen dürfen wir durch weitere Bürokratie und Regulierungen keine zusätzlichen Steine in den Weg legen."
Die Whistleblower-Richtlinie sieht vor, dass Personen geschützt werden, die Verstöße gegen das Unionsrecht in bestimmten Bereichen melden – etwa wenn es um öffentliche Aufträge, Finanzdienstleistungen, Produktsicherheit, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, Lebensmittel, öffentliche Gesundheit, Verbraucher- und Datenschutz geht. Der Gesetzentwurf aus dem BMJV weitet das nun auf korrespondierendes nationales Recht aus. Insbesondere sollen auch Hinweise zu Strafrechtsverstößen und Ordnungswidrigkeiten vom Whistleblower-Gesetz erfasst werden.
Begibt sich Deutschland damit in einen Bereich, der von der EU-Richtlinie nicht mehr gedeckt ist? Diese legt lediglich einen Mindeststandard fest. Aus dem BMJV heißt es, eine Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs auf nationales Recht sei in der Richtlinie angelegt und werde in vielen Mitgliedstaaten angestrebt. Nur so lasse sich ein effektives Hinweisgeberschutzsystem etablieren. "Ansonsten käme es zu eklatanten Schutzlücken und rechtlichen Unwägbarkeiten für hinweisgebende Personen, die das Hinweisgeberschutzsystem weitgehend aushöhlen würden", so ein BMJV-Sprecher.
Auch Dr. Maximilian Degenhart, Rechtsanwalt und Compliance Officer bei der Kanzlei Beiten Burkhardt in München hält es für "überhaupt nicht praktikabel", den Hinweisgeberschutz nur auf Verstöße gegen Unionsrecht zu begrenzen: "Soll der Hinweisgeber vielleicht vorher einen Anwalt anrufen und fragen, ob es nun um einen Verstoß gegen Europarecht oder gegen deutsches Recht geht?"
"Die Union tut Unternehmen und Kommunen keinen Gefallen"
Degenhart, der Unternehmen und Kommunen berät, kritisiert, dass es nun vorerst zu keiner Neuregelung kommt: "Die Union tut Unternehmen und Kommunen mit ihrer Blockadehaltung keinen Gefallen. Wenn die Whistleblower-Richtlinie nicht mit klaren Regelungen ins deutsche Recht umgesetzt wird, herrscht weiter Unsicherheit." Zudem lasse die große Koalition damit die Möglichkeit verstreichen, Erleichterungen für mittelständische Unternehmen zu regeln, so Degenhart: "Die Richtlinie gibt den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, solche Erleichterungen für einen Übergangszeitraum festzulegen."
Die Whistleblower-Richtlinie gilt sowohl für den öffentlichen Bereich wie auch für private Unternehmen. Sie sieht vor, dass Behörden und Unternehmen interne Meldestellen schaffen müssen. Die Mitgliedstaaten können aber Unternehmen mit weniger als fünfzig Beschäftigten und Kommunen mit weniger als 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern davon ausnehmen. Zudem soll der Bund eine externe Meldestelle einrichten, auch die Länder können eigene externe Meldestellen schaffen. Wer einen Hinweis geben will, kann sich sowohl an die interne, wie auch an die externe Stelle wenden. Zudem wird geregelt, in welchen Fällen es zulässig ist, Informationen an die Öffentlichkeit zu geben.
Degenhart empfiehlt Unternehmen und Kommunen deshalb jetzt schon ein gutes Hinweisgeberschutzsystem einzurichten: "Wer unzufrieden ist und einen Verstoß melden will, wird das tun – und wenn es dafür keine internen Anlaufstellen gibt, dann geht derjenige eben woanders hin, zum Beispiel zu so genannten externen Hinweisgeberstellen von Behörden." Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sollten damit nicht warten, bis das Whistleblower-Gesetz da ist, so Degenhart.
Whistleblower könnten sich auch direkt auf die EU-Richtlinie berufen
Tatsächlich ist damit zu rechnen, dass das Whistleblower-Gesetz bald kommt – wenn nicht mehr in dieser Legislaturperiode, dann wohl sehr schnell zu Beginn der nächsten, immerhin droht ansonsten ein Vertragsverletzungsverfahren.
Sollte die Umsetzungsfrist ablaufen, ohne dass ein entsprechendes Gesetz vorliegt, könnten sich Beschäftigte aber auch direkt auf die EU-Richtlinie berufen. "Das gilt für Hinweisgeber in Behörden, aber auch gegenüber Unternehmen kann die Richtlinie unter Umständen Wirkung entfalten", so Degenhart. "Wenn es etwa um eine Kündigung nach einem Hinweis geht, könnten sich Beschäftigte auf die EU-Richtlinie als Schutzgesetz berufen - und die Kündigung wäre unter Umständen rechtswidrig."
Solche Fälle hatten die deutschen Gerichte immer wieder zu entscheiden. Zuletzt sorgte etwa der Fall einer Arbeitnehmerin für Aufsehen, die ein Video aus der Kantine des Schlachtbetriebs Tönnies zeigte, bei dem Menschen dicht an dicht beim Mittagessen saßen – mitten in der Coronapandemie. Die Frau wehrte sich gegen ihre fristlose Kündigung vor dem Arbeitsgericht Bielefeld, es kam aber schließlich zu einem Vergleich. Künftig könnten die Gerichte womöglich eher zugunsten der Hinweisgeber entscheiden – zumal sie das deutsche Recht so auslegen müssen, dass EU-Recht möglichst effektiv umgesetzt wird.
Das BMJV wollte sich nicht dazu äußern, welche Folgen es hat, wenn die Richtlinie nicht rechtzeitig umgesetzt wird: "Wir setzen darauf, dass die EU-Richtlinie rechtzeitig umgesetzt wird", so ein Sprecher. Auch von der Union heißt es, Ziel sei es weiterhin, ein entsprechendes Hinweisgebergesetz noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Eine Einigung ist aktuell allerdings nicht in Sicht.
Union und SPD streiten über Umsetzung der EU-Richtlinie: . In: Legal Tribune Online, 06.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44900 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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