Der WDR will seine Beschäftigten zur Neutralität anhalten – auch auf deren privaten Social-Media-Accounts. Journalisten befürchten die Verletzung ihrer Meinungsfreiheit, Juristen verweisen auf Neutralitätspflicht und Direktionsrecht.
Beim WDR sorgt der Entwurf einer "Dienstanweisung zum Umgang mit sozialen Medien" für Aufruhr. Die Anstalt des öffentlichen Rechts möchte ihren Beschäftigten vorgeben, wie sie die sozialen Medien zu nutzen haben. Die Regelungen in dem Entwurf zur Dienstanweisung beziehen sich allerdings nicht nur auf die Firmen-Accounts des WDR selbst. Sie schließen, das ist in § 1 der Dienstanweisung vorgegeben, ausdrücklich "Inhalte in privaten Accounts, soweit der WDR von diesen mittelbar oder unmittelbar betroffen ist", ein.
Konkrete Regelungen zu den privaten Accounts folgen in § 5 der Anweisung. Dort heißt es, den Mitarbeitenden stehe "als Staatsbürger:innen das Recht der freien Meinungsäußerung zu". Es folgen Absätze zu – in Beschäftigungsverhältnissen üblichen – Loyalitätspflichten gegenüber dem WDR. Und dann: "Wenn durch private Äußerungen in sozialen Medien insbesondere von redaktionell Mitarbeitenden in der Öffentlichkeit der Eindruck der Voreingenommenheit oder Parteilichkeit entsteht und dies Themenbereiche tangiert, in denen die oder der Mitarbeitende dienstlich tätig ist, behält sich der WDR vor, ihnen im Rahmen seines Weisungsrechts andere Aufgaben zuzuweisen." Laut einer Stellungnahme des WDR handelt es sich bei diesem Entwurf, die zuerst auf netzpolitik.org veröffentlicht wurde, um eine veraltete Fassung. Nach LTO-Informationen ist dieser Passus der Aktuelle, über den verhandelt wird.
WDR-Mitarbeitende sehen darin eine eklatante Verletzung der Meinungsfreiheit, die verfassungswidrig sei, wie es in der Stellungnahme eines Redakteurs heißt. Kann das stimmen?
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk vs. Tendenzträgerschaft
Der WDR ist ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk- und Fernsehsender. Es gibt ein eigenes WDR-Gesetz, eine Satzung und Leitlinien für die Arbeit. Sein Auftrag ist es, den Zuschauern und -hörern Angebote zu unterbreiten, die zur freien und individuellen Meinungsbildung beitragen.
"Gerade Journalistinnen und Journalisten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk müssen dazu beitragen, den gesetzlichen Auftrag des WDR zu erfüllen, der im Ausgangspunkt unparteiisch und politisch neutral zu erfüllen ist", erklärt Rechtsprofessor Dr. Klaus F. Gärditz, Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht an der Universität Bonn. Entstehe in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass einzelne Mitarbeitende ihre Aufgabe parteiisch oder voreingenommen missbrauchen, um eine eigene politische Agenda zu verfolgen, schade das letztlich der gesetzlichen Aufgabenerfüllung des WDR.
Allgemein gesprochen: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist der ausgeglichenen Berichterstattung verpflichtet. Unterschiedliche politische Strömungen bedienende, teils polarisierende Sendungen wie das ZDF Magazin Royale mit Jan Böhmermann können dementsprechend nur stattfinden, weil auch solche wie Nuhr im Ersten gesendet werden.
Anders ist es bei sonstigen Presseerzeugnissen, die in sogenannter Tendenzträgerschaft stehen, bei denen die Konsumentinnen und Konsumenten also wissen, was sie erwartet – und das auch, weil es privatrechtliche Unternehmen sind. Ob beispielsweise Bild-Zeitung, taz, Welt oder Süddeutsche Zeitung: Die Leitlinien und Weltanschauungen sind unterschiedlich, das wissen die jeweiligen Leserinnen und Leser auch.
Meinungsfreiheit auch für die Öffentlichen, aber…
Ihre Meinungsfreiheit geben die Mitarbeitenden beim WDR aber nicht an der Pforte ab. "Der WDR ist als Anstalt des öffentlichen Rechts nach Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz (GG) an die Grundrechte gebunden", erklärt Gärditz. Anders als sonst im Arbeitsrecht sei daher die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG der Bediensteten nicht nur über die mittelbare Drittwirkung, sondern unmittelbar zu beachten - und zwar auch dort, wo privatrechtlich, sprich durch Arbeitsvertrag, gehandelt wird.
Die Meinungsfreiheit gilt allerdings nicht uneingeschränkt. "Das allgemeine Mäßigungsgebot, das im öffentlichen Dienst gilt und dessen Verlässlichkeit, Vertrauenswürdigkeit und Unparteilichkeit absichern soll, aber auch eine grundsätzliche Loyalitätspflicht, das Ansehen des öffentlichen Arbeitgebers nicht öffentlich zu beschädigen, sind grundsätzlich meinungsneutrale Sachgründe, die Meinungsfreiheit einzuschränken", sagt Gärditz.
Letztlich geht es um die Sicherstellung der tendenzfreien Berichterstattung und den Schutz der Institution des öffentlichen Rundfunks – und auf die könne auch über Interaktionen auf privaten Accounts Einfluss genommen werden. Wer sich privat mit einer Meinung positioniert, dem oder der glaubt das Publikum oder die Leserschaft möglicherweise auch nicht mehr in Bezug auf eine neutrale Berichterstattung. Jeder und jede Einzelne muss erwarten können, sich in der Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wiederzufinden.
Wie weit geht das Weisungsrecht?
Für Arbeitsrechtler Prof. Dr. Gregor Thüsing, Direktor des Lehrstuhls für Arbeitsrecht am Institut für Arbeitsrecht und das Recht der sozialen Sicherheit an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, ist daher klar, dass dem WDR bei Nichtbefolgung der Dienstanweisung auch in Bezug auf den privaten Account ein Direktionsrecht zustehen kann: "Was der WDR zur Nutzung privater Accounts regelt, scheint mir unzweifelhaft zulässig - und auch sinnvoll", sagt Thüsing, und weiter: "Es ist gefestigte Rechtsprechung der Arbeitsgerichte: Die Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber setzt der freien Meinungsäußerung Grenzen. Klar ist: Wess' Brot ich ess, dess' Lied ich sing, ist ein Zynismus, den das Arbeitsrecht nicht mitmacht. Kein Arbeitnehmer ist daher verpflichtet, der Position seines Arbeitgebers Beifall zu klatschen. Aber dort, wo er anderer Meinung ist, kann es sein, dass er hier Zurückhaltung üben muss in Form und in Inhalt."
Entscheidend wird deshalb wohl sein, wie exzessiv der WDR sein Direktionsrecht ausübt: "Unterbunden werden können nur solche Meinungsbeiträge, die bei objektivierender Betrachtung tatsächlich geeignet sind, die gesetzliche Aufgabenerfüllung des WDR zu beeinträchtigen", sagt Gärditz". "Unzulässig wäre es etwa, lediglich unliebsame Meinungsäußerungen zu sanktionieren, weil sie von der Linie des WDR abweichen oder Kritik an bestimmten Inhalten äußern. Insoweit ist auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der WDR selbst binnenpluralistisch sein muss und Meinungsvielfalt gerade zum gesetzlichen Auftrag gehört, deren Sichtbarkeit diesen also nicht gefährden kann."
Rechtsanwalt Robert Hotstegs aus Düsseldorf hat dazu gleich einen Vorschlag: "Ich hielte es für geboten, vor allem der Dienstanweisung voranzustellen, dass Meinungsvielfalt und aktive Nutzung der sozialen Medien gern gesehen sind und dass Mitarbeiter:innen grundsätzlich für WDR-nahe Tätigkeiten auch jederzeit den Schutz des Unternehmens erhalten können". Das sei in § 6 der Dienstanweisung ganz hinten versteckt und gehört als Programmsatz seines Erachtens geradezu vorangestellt.
Schlussendlich geht es wie bei jeder Gemeinschaft um die Verständigung auf gemeinsame Prinzipien für einen Auftrag gegenüber der Gesellschaft. Möglich sei so eine Dienstanweisung, sagt Hotstegs, "aber die Frage ist doch, ob sie inhaltlich dem WDR gut zu Gesicht steht".
Dienstanweisung zu sozialen Medien: . In: Legal Tribune Online, 08.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47464 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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