Sachsen weigert sich, die Kirche an einer Entscheidung über sonntägliche Arbeit zu beteiligten. Jetzt muss das BVerwG entscheiden. Nicht ausgeschlossen, dass die Leipziger Richter die Beteiligungsrechte von Dritten grundsätzlich stärken.
Sechs Tage sollst du arbeiten, aber am siebten Tage sollst du ruhen. Was schon im Buch Mose steht, findet sich auch im Arbeitszeitgesetz (ArbZG): Nach § 9 Abs. 1 ArbZG dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen nicht beschäftigt werden.
Von dieser Vorgabe gibt es allerdings Ausnahmen. Der Freistaat Sachsen fasst diese so weit, dass er die Beschäftigung in Callcentern an Sonn- und Feiertagen auf Grund von Ausnahmebewilligungen nach § 13 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) erlaubte. Als die Landeskirche Sachsen davon aus den Medien erfuhr, wollte sie die Bewilligungen sehen und forderte für künftige Erlaubnisse ein Beteiligungsrecht. Zu Recht, urteilte auf die Klage der Kirche zunächst das Verwaltungsgericht Dresden (Urt. v. 12.04.2017, Az. 4 K 1278/16) und dann auch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Bautzen (Urt. v. 11. April 2019, Az. 3 A 505/17). Am Mittwoch wird das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) den Fall entscheiden (Az. 8 C 5.19).
Die Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsarbeit richten sich nach §§ 13 bis 15 ArbZG. Sie gelten für bestimmte Branchen und für Tätigkeiten, etwa, wenn die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens nur bei einer längeren Betriebszeit sichergestellt werden kann oder die Ausnahmen im öffentlichen Interesse zwingend sind. Dass die Sonntagsarbeit im Callcenter erlaubt werden kann, ist denn auch zwischen der klagenden Kirche und dem beklagten Freistaat gar nicht streitig.
Beteiligungsrecht an besonderen Tagen
Doch ist die Kirche in diese Entscheidung einzubeziehen? Die Frage stellte sich bereits vor Jahren, als es um die Sonntagsöffnung an besonderen Tagen wie im Advent ging. "Die Gerichte waren damals einhellig der Überzeugung, dass die Kirche ein Beteiligungsrecht hat", erklärt Professor Dr. Gregor Thüsing, Inhaber des Lehrstuhls für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit an der Universität Bonn.
Dieselbe Frage stellte sich auch bei den Gewerkschaften: Spätestens nachdem das BVerwG 2014 für sie ein Beteiligungsrecht bei der Frage der Sonntagsarbeit bejahte hatte, müssen auch sie miteinbezogen werden (Urt. v. 26.11.2014, Az. BVerwG 6 CN 1.13).
Weiterhin ungeklärt ist jedoch laut Thüsing, wie bei Einzelfallbewilligungen, wie sie der Freistaat Sachsen bei den streitgegenständlichen Erlaubnissen für das Callcenter vorgenommen hatte, zu verfahren ist. Derartige Erlaubnisse zur Sonntagsöffnung nach § 13 und § 15 ArbZG sind Verwaltungsakte im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens, die entscheidenden Normen finden sich in § 13 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG): Die Behörde kann denjenigen hinzuziehen, dessen Rechte durch eine Entscheidung betroffen werden. Hat der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung für den Dritten, so muss die Behörde den Betroffenen sogar involvieren.
Drittschützende Wirkung?
Eine solche Gestaltungswirkung hat das OVG Bautzen bei den Ausnahmegenehmigungen zur Sonntagsöffnung angenommen. Den Vorschriften komme gegenüber den Kirchen drittschützende Wirkung zu und könne die Kirchen in ihren Rechten beeinträchtigen. Denn die Regelungen zur Sonntagsöffnung konkretisierten den verfassungsrechtlichen Schutzauftrag, der sich für den Gesetzgeber aus Art. 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz (GG), Art. 140 GG i. V.m. Art. 139 Weimarer Reichsverfassung (WRV) ergebe, urteilte das OVG.
Diese Schutzpflicht habe der Gesetzgeber gerade auch gegenüber den Religionsgemeinschaften, so das Gericht in Sachsen und bezieht sich auf das Bundesverfassungsgericht (BVerfG Urt. v. 01.12.2009, Az. 1 BvR 2857/07). Denn diese seien Träger des Grundrechts auf Religionsfreiheit und dürften sich gegen staatliche Maßnahmen wehren, die dieses Recht beeinträchtigten. Das gelte, so das OVG Bautzen, auch für die Arbeit in Callcentern, selbst wenn diese regelmäßig kaum bemerkt würde und keinen prägenden Charakter entfalte - das schließe die eigene Betroffenheit der Kirche nicht aus.
Zudem sei das Grundrecht auf Religionsfreiheit nicht nur ein Abwehrrecht, sondern gebiete auch, Raum für die "Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich religiösem Gebiet zu sichern". Das gehe zwar nicht so weit, dass jegliche Arbeit sonntags verboten sei. Doch erfahre Art. 4 GG eine Konkretisierung durch Art 140 GG und Art. 139 WRV insoweit, als dass die Regelung "in der säkularisierten Gesellschafts- und Staatsordnung auch auf die Verfolgung profaner Ziele wie die der persönlichen Ruhe, Besinnung, Erholung und Zerstreuung" ziele. Die von der Norm erfasste Möglichkeit seelischer Erhebung soll "allen Menschen unbeschadet einer religiösen Bindung zuteil werden". Dieser verfassungsrechtliche Schutzauftrag richte sich nicht nur an den Gesetzgeber, sondern sei auch von der Exekutive im Rahmen von Einzelbewilligungen zu beachten, so das OVG Bautzen.
Und das BVerwG?
Professor Thüsing, der immer wieder die Kirche in grundlegenden Verfahren vertritt, geht davon aus, dass das BVerwG der Einschätzung des OVG Bautzen folgen und der Freistaat die dritte Niederlage in Folge erfahren wird. Warum das Land es so weit kommen lässt, erschließt sich ihm nicht: "Die Aufsichtsbehörde hätte die Kirche schlicht beteiligen können, selbst wenn Sie davon ausgegangen ist, das dies nicht zwingend ist - die Beteiligung zwingt ja nicht zu einem anderen Ergebnis in der Sache", sagt Thüsing. Die Behörde beziehe dann die Interessen der Kirchen in die Entscheidung ein und das Thema sei erledigt.
Dass diese Vorgehensweise auch vielerorts üblich ist, bestätigt Professor Hermann Reichold, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht an der Universität Tübingen: "Es gibt in Bayern und Baden-Württemberg auf örtlicher Ebene die Tradition, die Kirchen informell an Entscheidungen zu Sonntagsarbeit zu beteiligen", so Reichold. Dass in Sachsen die Landeskirche nun so zentral gegen die Aufsichtsbehörde vorgeht, sei schon auffällig. "Sollte das BVerwG nun den Vorinstanzen folgen und sich dabei nicht nur auf das Landesrecht beziehen, ist der formelle Rechtsanspruch festgestellt."
Professor Thüsing kann das Verhalten Sachsens nicht nachvollziehen: "Der Freistaat hat die Kirche auflaufen lassen, das war schon ungeschickt. Doch in zwei Instanzen zu verlieren und das bis vor das BVerwG zu treiben, ist noch ungeschickter." Einen unerwünschten Nebeneffekt könnte das juristische Spektakel für das Land Sachsen nach Meinung des Hochschullehrers zudem haben: Die Gewerkschaften könnte es auf die Idee bringen, auch ihr Beteiligungsrecht in diesen Fällen einzufordern.
Beteiligungsrecht bei Sonntagsarbeit: . In: Legal Tribune Online, 05.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41507 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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