Die USA haben Aiman al-Sawahiri, den Anführer des Terrornetzwerks Al-Qaida, getötet. Sie setzen damit ihre völkerrechtswidrige Politik fort, internationale Terroristen einfach mit Raketen umzubringen.
Als Aiman al-Sawahiri am frühen Morgen in Kabul auf den Balkon seiner Wohnung trat, trafen ihn zwei Hellfire-Raketen, die von einer US-Drohne abgefeuert wurden. Die USA vollstreckte damit eine Art Todesstrafe ohne Gerichtsverhandlung. Die USA sehen die Tötung al-Sawahiris als Vergeltung für die Al-Qaida-Anschläge auf New York und Washington von 2001. Al-Sawahiri war damals Stellverteter von Osama bin Laden.
Terrorbekämpfung als Polizeiaufgabe
Diese Tötung al-Sawahiris war ein staatlicher Mord. Diese Aussage ist weder abwegig noch ungewöhnlich. Sie entspricht der herrschenden Auffassung der europäischen Völkerrechtslehre, die den Kampf gegen den Terror klar als polizeiliche Aufgabe der Kriminalitätsverfolgung definiert und nicht als erlaubte staatliche Kriegsführung.
Nur zum Vergleich: Das Kammergericht Berlin hat die Tötung eines Georgiers im Berliner Tiergarten als Mord verurteilt. Dass die Tat im Auftrag des russischen Staates erfolgte, der den Georgier als Terroristen ansah, führte nicht zur Straflosigkeit. Es führte auch nicht zur Strafmilderung. Vielmehr stellte das Kammergericht die besondere Schwere der Schuld fest. Auch Russland bestritt nicht die Rechtslage, es bestritt nur, irgendetwas mit dem Mord zu tun zu haben.
Der Drohnenkrieg der USA
Ganz anders die Haltung der USA. US-Präsident Joe Biden verkündete die Tötung al-Sawahiris stolz und gab an, er habe sie autorisiert. Er stützt sich dabei auf eine US-amerikanische Interpretation des Völkerrechts, die weit von der europäischen entfernt ist. Die US-Regierungen führen den "war on terror" so, als sei es ein Krieg gegen einen staatlichen Angreifer. Für sie ist der Al-Qaida-Chef ein Kombattant, also ein Kriegsteilnehmer, und damit ein völkerrechtlich zulässiges militärisches Ziel.
Natürlich sind Drohnenangriffe nicht per se völkerrechtswidrig und verboten. Drohnen dürfen - wie Panzer und Jagdflugzeuge - zum Töten von Menschen grundsätzlich eingesetzt werden, wenn dies erstens in einem bewaffneten Konflikt passiert und es sich zweitens gegen Kämpfer (Kombattanten) richtet und der Angriff drittens nicht unverhältnismäßig viele zivile Opfer fordert. Es kommt also immer auf die Rahmenbedingungen an. Doch al-Sawahiri und Al-Qaida kämpften in Afghanistan derzeit nicht. Der bewaffnete Konflikt war mit der Machtübernahme der Taliban beendet. Die USA haben den Kriegsschauplatz längst verlassen. Der Angriff auf al-Sawahiri kann allenfalls mit dem war on terror begründet werden.
Ramstein als Relais
Nun kann sich die deutsche Politik nicht einfach zurücklehnen und auf einen interkontinentalen Streit unter Rechtswissenschaftlern verweisen, der sie nichts angehe. Denn viele US-Drohnen-Angriffe nutzen Einrichtungen auf der US-Airbase in Ramstein (Rheinland-Pfalz) als Verbindungsstation für die Drohnensteuerung. Eine solche Relaisstation ist wegen der Erdkrümmung notwendig. Vermutlich war Ramstein auch beim Angriff auf al-Sawahiri involviert. Und natürlich ist die Bundesregierung dafür verantwortlich, was auf deutschem Boden geschieht.
Der Streit, ob die Bundesregierung eine Schutzpflicht für die potenziellen Opfer rechtswidriger US-Drohnen-Einsätze hat, ist längst vor deutschen Gerichten angekommen. So erreichte die Berliner Menschenrechtsorganisation ECCHR mit Hilfe von drei Jemeniten, die Angehörige durch mutmaßlich völkerrechtswidrige US-Drohnenschläge verloren hatten, im März 2019 ein spektakuläres Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster. Das Gericht stellte fest, es gebe "gewichtige Anhaltspunkte", dass die US-Drohnen-Angriffe im Jemen zumindest teilweise gegen Völkerrecht verstießen. Die USA könnten sich nicht auf einen weltweiten "Krieg gegen den internationalen Terrorismus" berufen. Außerdem gebe es kein Recht zur "präventiven Selbstverteidigung".
Die Münsteraner Richter stellten damals fest, die US-Airbase in Ramstein sei ein "notwendiges Bindeglied" der Drohnen-Steuerung. Deutschland habe daher eine Schutzpflicht für jemenitische Bürger gegen rechtswidrige Drohnenangriffe, an denen die Airbase beteiligt ist. Dieser Schutzpflicht sei die Bundesregierung bisher noch "nicht ausreichend" nachgekommen.
Leipzig gibt freie Hand
Allerdings hatte die Revision der Bundesregierung gegen das Münsteraner Urteil beim Bundesverwaltungsgericht im November 2021 Erfolg. Es hob die OVG-Entscheidung auf und lehnte die Klage der Jemeniten in vollem Umfang ab. So fanden es die Leipziger Richter schon fraglich, ob Deutschland hier tatsächlich eine Schutzpflicht zugunsten der jemenitischen Bevölkerung hat. Zum einen sei der Bezug zu Deutschland zu gering, wenn in Ramstein nur ein Datenstrom durchfließe. Zum anderen dürfe das OVG bei der Frage, was völkerrechtswidrig ist, nicht nur seine eigene Auffassung zurgrundelegen, sondern müsse auch andere "vertretbare" Positionen berücksichtigen.
In beiden Fragen hätte das Verfahren an das OVG zurückverwiesen werden können, damit die Münsteraner Richter neu prüfen und ihre Argumente schärfen können. Darauf verzichtete das Bundesverwaltungsgericht jedoch. Denn selbst wenn es eine Schutzpflicht gegen völkerrechtswidrige US-Drohnenangriffe gäbe, habe Deutschland genug unternommen, um der Schutzpflicht auch gerecht zu werden: Die Bundesregierung habe das Problem gegenüber den USA thematisiert und zudem eine Zusicherung eingeholt, dass die Aktivitäten auf der Airbase "in Einklang mit dem geltenden Recht" erfolgen. Dies sei nicht "völlig unzureichend".
Deutschland muss (ein bisschen) Haltung zeigen
Noch in diesem Herbst wird das Leipziger Urteil vom Bundesverfassungsgericht überprüft. Federführend ist der furchtlose Verfassungsrichter Peter M. Huber, der im November ausscheidet und das Verfahren vermutlich vorher noch abschließen möchte. Das kann interessant werden.
Angesichts der Weltlage, die zeigt, wie abhängig Europa von der militärischen Stärke der verbündeten USA ist, hat die Bundesregierung aber natürlich großes Interesse, einen Affront gegen die USA zu vermeiden. Und auch das Bundesverfassungsgericht hält sich außenpolitisch (also jenseits der europäischen Innenpolitik) in der Regel eher zurück.
Insofern wäre schon etwas gewonnen, wenn die Regierungsmitglieder dem US-amerikanischen war on terror nicht einfach kritiklos zujubeln, sondern wenigstens Problembewusstsein zeigen. Peinliches Negativ-Beispiel war 2011 Kanzlerin Angela Merkel. Sie reagierte auf die Tötung von Al Qaida-Chef Osama bin Laden durch ein US-Kommando in Pakistan mit dem gar nicht klammheimlichen Ausspruch: "Ich freue mich, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten."
Kommentar zum US-Drohnenangriff auf Aiman al-Sawahiri: . In: Legal Tribune Online, 02.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49218 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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