Russland veröffentlichte vergangene Woche den Mitschnitt einer Besprechung von vier Luftwaffenoffizieren zu Taurus. Ein sicherheitspolitisches Desaster, das auch rechtliche Fragen aufwirft. Patrick Heinemann mit ein paar ersten Antworten.
Hinter Deutschland liegt eine sicherheitspolitische Woche, wie sie sich nicht so schnell wiederholen sollte. Den Auftakt machte der Kanzler, der mit großer Deutlichkeit dem Bundestag widersprach und die Lieferung von Taurus an die Ukraine ausschloss. Zur Begründung gab Scholz an, deutsche Soldaten dürften an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die der Taurus erreichen kann, verknüpft sein.
Öffentliche Verstimmungen gab es dann nicht nur mit Macron, der beiläufig erwähnt hatte, man dürfe ultimativ nichts gegenüber Putin ausschließen, auch nicht westliche Bodentruppen in der Ukraine – was Scholz, der sich gern in Selbstabschreckung übt, in einer Kaskade von Statements geißelte, obwohl dieses Szenario aktuell überhaupt nicht zur Debatte steht.
Kurz darauf regte sich auch Großbritannien über den deutschen Regierungschef auf, hatte der doch zur Verteidigung seiner umstrittenen Position zu Taurus öffentlich durchblicken lassen, dass sich britische Soldaten zur Betreuung des verwandten Systems Storm Shadow in der Ukraine aufhielten – eine sensible Information, die London gerne aus der Öffentlichkeit heraushalten wollte.
Wer dachte, die kurz darauf folgende Enthüllung von Jan Marsaleks Zweitidentität als orthodoxer Priester und seine Tätigkeit als russischer Agent würde den Höhepunkt der Woche bilden, wurde eines Besseren belehrt: Wenig später präsentierte das kremlnahe Propagandafernsehen den Mitschnitt einer abgehörten WebEx-Konferenz vom 19. Februar zwischen Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz und drei weiteren Offizieren, in der sie sich über empfindliche Details zu Taurus und einem eventuellen Einsatz durch die Ukraine austauschten.
Ob Deutschland "Kriegspartei" ist: Juristisch relevant oder Nebelkerze?
Politisch ist damit einiges zu Bruch gegangen. Klar ist jedenfalls: Der Kanzler hat entweder keine Ahnung von Taurus oder er hat der Öffentlichkeit die Unwahrheit gesagt. Denn aus der abgehörten Schalte der Luftwaffenoffiziere geht eindeutig hervor, dass die Beteiligung deutscher Soldaten insbesondere an der Zielprogrammierung des Marschflugkörpers nicht zwingend erforderlich ist. Die gegenteilige Behauptung dient Scholz lediglich als Ausrede, den Marschflugkörper nicht zu liefern. Damit bestätigt sich, worauf Sicherheitsexperten schon lange hinweisen.
Die Nachbereitung dieser hektischen Woche hat aber auch eine juristische Dimension. Da wäre zunächst das wiederholte Argument, Deutschland dürfe nicht Kriegspartei werden und die Taurus-Lieferung sei insoweit eine "rechtliche Grauzone" – so der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich gestern bei Berlin Direkt. Das ist eine Nebelkerze. Denn völkerrechtlich spielt die Kategorie "Kriegspartei" keine Rolle mehr. Russland durfte die Ukraine nicht angreifen. Und ebenso wenig darf Putin Staaten angreifen, die der Ukraine – auch militärisch – zu Hilfe eilen. Davon lenkt das sozialdemokratische Glasperlenspiel ab, an welchem Punkt genau Deutschland zur Kriegspartei werden könnte. Das ist juristisch völlig egal, und zwar vor allem dann, wenn man das Völkerrecht ernst nimmt – was Putin nebenbei gesagt ohnehin nicht tut.
Verbreitung des Taurus-Leak strafbar?
Etliche rechtliche Fragen löst vor allem der Taurus-Leak selbst aus. Praktisch wenig relevant dürfte dabei sein, inwieweit sich diejenigen strafbar gemacht haben, die das Gespräch im mutmaßlich russischen Auftrag abgehört und mitgeschnitten haben: Die Aussichten, ihrer habhaft zu werden, dürften gegen Null gehen.
Spannender ist die Frage, ob auch das Verbreiten des illegalen Mitschnitts strafbar ist: Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer die Aufnahme des nichtöffentlich gesprochenen und unbefugt aufgenommenen Wortes anderer gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht (§ 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Ein Gebrauchmachen liegt bereits im bloßen Hören der illegalen Aufnahme. Das Zugänglichmachen erfüllt nach einer teilweise in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung auch das Teilen eines Links, der zur Aufnahme führt.
Allerdings könnte eine sicherheitspolitische oder journalistische Auseinandersetzung mit dem Taurus-Leak die Verbreitung rechtfertigen. Zwar sind nach überwiegender Auffassung, die Rechtfertigungsgründe des § 201 Abs. 2 Satz 3 StGB sowie des § 193 StGB auf Taten nach § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB auch nicht analog anzuwenden. Allerdings nahm etwa die zuständige Staatsanwaltschaft im Fall des unbefugt auf Ibiza aufgezeichneten Strache-Videos an, dass angesichts der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Berücksichtigung der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungs- und Pressefreiheit) sowie aus Art. 10 Abs. 1 EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung) die recherchierenden Journalisten nicht unbefugt im Sinne von § 201 Abs. 1 StGB gehandelt hätten. In diese Richtung tendiert im Ergebnis auch neuere obergerichtliche Rechtsprechung. Zu beachten ist auch, dass es sich hier um ein Antragsdelikt handelt (§ 205 Abs. 1 StGB). Es ist bislang nicht bekannt, dass die Betroffenen einen Strafantrag gestellt haben – und es ist mindestens zweifelhaft, ob das politisch opportun wäre.
Mögliche Konsequenzen für Besprechungsteilnehmer: Dienstvergehen?
Keine Anhaltspunkte gibt es bislang dafür, dass sich einer der Besprechungsteilnehmer selbst strafbar gemacht haben könnte. Zwar ist die Verletzung des Dienstgeheimnisses nach § 353b StGB strafbar, doch es handelt sich dabei um ein Vorsatzdelikt. Dass im Kreis der Luftwaffenoffiziere Vorsatz im Spiel war, wird man nach bisherigem Stand nicht annehmen können. Das heißt aber nicht, dass die Angelegenheit für sie keine rechtlichen Konsequenzen haben kann.
Experten gehen davon aus, dass die ausgetauschten Informationen zumindest teilweise einem Geheimhaltungsgrad unterlagen, für den der Videodienst WebEx nicht genutzt werden darf. Sollte sich herausstellen, dass gegen Vorschriften verstoßen wurde, liegt der Verdacht eines Dienstvergehens (§ 23 Soldatengesetz (SG)) nahe, das disziplinarrechtlich geahndet werden kann (§ 15 Abs. 1 Wehrdisziplinarordnung (WDO)). Die Bandbreite der Disziplinarmaßnahmen reicht dabei von einem Verweis über Disziplinarbußen und Dienstgradherabsetzung bis zur Entfernung aus dem Dienstverhältnis (§§ 22, 58 WDO). Verteidigungsminister Pistorius kündigte am gestrigen Sonntag allerdings an, der Sachverhalt müsse erst noch weiter aufgeklärt werden.
Unwahre Behauptungen über Vorbereitung eines Angriffskriegs: Strafbar?
Rechtliche Fragen könnte allerdings auch die Art und Weise aufwerfen, mit der einige russlandfreundliche Geister hierzulande den Skandal auszuschlachten suchen. So twitterte etwa der thüringische AfD-Politiker Björn Höcke, deutsche Offiziere hätten "die Sprengung von Infrastruktur eines Landes" geplant, „mit dem wir nicht im Krieg sind", was "ein klarer Verstoß gg. Art. 26 (1) GG" sei, der die Vorbereitung eines Angriffskriegs verbietet. Auch auf verschiedenen anderen Accounts wurde die Darstellung verbreitet, aus dem Mitschnitt ginge hervor, dass deutsche Offiziere einen Angriffskrieg gegen Russland vorbereitet hätten.
Derartige Desinformation ist ganz im Sinne des Kremls, untergräbt sie doch Resilienz und Wehrhaftigkeit unserer demokratischen Gesellschaft. So könnte der Taurus-Leak Anlass bieten, sich einmal das große Besteck des Staatsschutzrechts zur Gefährdung der äußeren Sicherheit anzuschauen. So wird nach § 109d Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer unwahre oder gröblich entstellte Behauptungen tatsächlicher Art, deren Verbreitung geeignet ist, die Tätigkeit der Bundeswehr zu stören, wider besseres Wissen zum Zwecke der Verbreitung aufstellt oder solche Behauptungen in Kenntnis ihrer Unwahrheit verbreitet, um die Bundeswehr in der Erfüllung ihrer Aufgabe der Landesverteidigung zu behindern. Der Versuch ist nach § 109d Abs. 2 StGB strafbar.
Die Vorschrift war bislang kaum von praktischer Bedeutung, weshalb so gut wie keine Rechtsprechung vorliegt und somit auch ihre dogmatische Durchdringung nicht weit gediehen ist. Im Ausgangspunkt sollte man sich klar machen, dass unwahre Tatsachenbehauptungen nicht den Schutz der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) genießen. § 109d Abs. 1 StGB ist zudem ein abstraktes Gefährdungsdelikt, so dass die Störung der Tätigkeit der Bundeswehr nicht als Erfolg eintreten muss; vielmehr genügt, dass die Verbreitung der unwahren oder gröblich entstellten Tatsachen hierzu geeignet ist. Recht eng geführt ist jedoch der subjektive Tatbestand: Es muss dem Täter darauf ankommen, "die Bundeswehr in der Erfüllung ihrer Aufgabe der Landesverteidigung zu behindern". Landesverteidigung im Sinne der Vorschrift ist jegliche Tätigkeit der Bundeswehr zur Abwehr von Angriffen auf das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Gemeint sind wesentliche Behinderungen, Schwierigkeiten bei innerdienstlichen Vorgängen reichen nicht aus.
Andererseits muss die Intensität der potentiellen Störung nicht derart sein, dass sie eine gänzliche oder auch nur teilweise Lahmlegung der Bundeswehr befürchten lässt. Landesverteidigung ist auch nicht auf Zeiten des Spannungs- oder Verteidigungsfalls (Art. 80a, 115a GG) beschränkt: In Friedenszeiten fallen darunter auch alle Vorbereitungen auf die Notwendigkeit einer akuten Verteidigung, also alle Truppenteile, Einrichtungen, Waffensysteme und so weiter, die für den Verteidigungsfall vorgehalten werden.
Bei längst nicht allen Kommentaren, die dem Taurus-Leak den Spin einer aufgedeckten Angriffskriegsvorbereitung geben wollen, werden diese strengen Voraussetzungen erfüllt sein. Umgekehrt wird man nicht ausschließen können, dass es einigen sehr wohl darum geht, mit ihrer Desinformation die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte gerade auf dem Gebiet der Landesverteidigung zu schädigen. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der Gesetzgeber in § 109d StGB bislang nur die Landes-, nicht aber die Bündnisverteidigung schützt.
Russlands Informationskrieg: Staatsschutzrecht fortentwickeln?
Das wirft letztlich die Frage auf, ob unser Staatsschutzrecht nicht dringend einer Aktualisierung bedarf, um den Herausforderungen von Desinformationskampagnen autoritärer Staaten angemessen zu begegnen. Verteidigungsminister Pistorius stellte in seiner Pressekonferenz am Sonntag zum Taurus-Leak selbst klar, dass Putin einen Informationskrieg gegen uns führt. Diesem Angriff stellt sich Deutschland bislang nicht mit der nötigen Entschlossenheit entgegen – weder politisch noch rechtlich.
* Der Text wurde hinsichtlich der Aussagen von Bundeskanzler Scholz und dem Videomitschnitt präzisiert.
"Kriegspartei"-Nebelkerze, Dienstvergehen, Verbreitung strafbar?: . In: Legal Tribune Online, 04.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54021 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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