Die Konfrontation zwischen russischen und ukrainischen Kriegsschiffen im Schwarzen Meer am vergangenen Sonntag verschärft den Konflikt um eine wichtige Seehandelsstraße. Russland hat dabei Völkerrecht gebrochen, meint Valentin Schatz.
Nach übereinstimmenden Medienberichten kam es am Sonntag im Schwarzen Meer zu einem gewaltsamen Zusammenstoß zwischen der russischen und der ukrainischen Marine. Die russische Küstenwache verweigerte drei ukrainischen Kriegsschiffen zunächst die Durchfahrt durch die Straße von Kertsch, der einzigen Verbindung des Asowschen Meeres mit dem Schwarzen Meer. Die Straße von Kertsch liegt zwischen der von Russland annektierten Halbinsel Krim im Westen und der russischen Halbinsel Taman im Osten. Russland und die Ukraine sind die einzigen Küstenstaaten des Asowschen Meeres.
Nach ukrainischen Angaben, die mittlerweile von Russland bestätigt wurden, wurden die ukrainischen Schiffe beschossen und hierbei mehrere ihrer Matrosen verletzt. Russland nahm die Schiffe daraufhin in Gewahrsam und verbrachte sie in den Hafen von Kertsch auf der Krim. Die genauen Umstände des Vorfalls sind noch unklar und die Angaben der Ukraine und Russlands widersprechen sich teilweise. Die Ukraine fordert seitdem die Freigabe ihrer Schiffe samt Besatzung und hat gestern – vorerst für 30 Tage – das Kriegsrecht verhängt.
Hintergrund: Russischer Brückenbau und zunehmende Spannungen
Auch diese jüngste Eskalation muss vor dem Hintergrund der Annexion der Krim durch Russland 2014 gesehen werden, mit der auch die Küstengewässer der Krim samt der Straße von Kertsch unter russische Kontrolle gerieten. Sowohl die Ukraine als auch Russland haben aber wichtige Handelshäfen im Asowschen Meer, das über den Seeweg nicht anders erreicht werden kann, als über die Straße von Kertsch. Dieses Jahr stellte Russland ohne die Zustimmung der Ukraine den Bau einer neuen Brücke über die Meerenge fertig, die künftig die Versorgung der Krim sichern soll. Wegen der Blockade des Landwegs zur Krim durch die Ukraine mussten russische Güter zuvor über den Seeweg angeliefert werden.
Russland hatte bereits im Rahmen des Brückenbaus, der von der Ukraine und der internationalen Gemeinschaft scharf kritisiert wurde, die Straße von Kertsch teilweise für kurze Zeit gesperrt. Seit die Ukraine dieses Jahr ein russisches Fischereischiff vor der Küste der Krim festgesetzt hatte, hat Russland zudem einseitig Kontrollen von Schiffen in der Straße von Kertsch und im Asowschen Meer eingeführt. Die Ukraine wirft Russland vor, diese Maßnahmen in Missbrauchsabsicht vor allem gegen ukrainische Schiffe und ausländische Schiffe auf dem Weg zu ukrainischen Häfen zu richten. Hierbei komme es zu erheblichen Verzögerungen und Beeinträchtigungen des Handels. Mit der Kontrolle über den einzigen Seeweg in das Asowsche Meer hat Russland vollendete Tatsachen geschaffen und zudem in ein empfindliches Geflecht von internationalem Seerecht und bilateralen völkerrechtlichen Verträgen eingegriffen, das sich um dieses Meer rankt.
Bereits seit September 2016 ist ein von der Ukraine gegen Russland angestrengtes Schiedsverfahren auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 (SRÜ) vor dem ständigen Schiedshof in Den Haag anhängig. Dieses Verfahren könnte viele grundsätzliche rechtliche Fragen klären, die der nun ausgebrochene Konflikt aufwirft. Eine Entscheidung überhaupt zur Zuständigkeit des Schiedsgerichts wird frühestens Ende 2019 erwartet, eine etwaige Entscheidung in der Hauptsache frühestens 2020.
Das seevölkerrechtliche Regime im Asowschen Meer ist weltweit einzigartig
Aus seevölkerrechtlicher Sicht ist das Regime im Asowschen Meer weltweit einzigartig. Lange Zeit lag der Meerzipfel, der zwischen Russland und der Ukraine in das Festland hineinragt, vollständig an der Küste eines einzigen Staates, der UdSSR. Daher konnte diese die Gewässer des Asowschen Meeres im Jahr 1985 im Einklang mit dem Seevölkerrecht zu inneren Gewässern erklären, die automatisch zum Hoheitsgebiet des Küstenstaates zählen. Anders als im Küstenmeer besteht dort grundsätzlich kein Recht anderer Staaten auf friedliche Durchfahrt.
Erst als die Ukraine, die mit ihren östlichen Landesteilen und der Krim an das Asowsche Meer grenzt, im Jahr 1991 ihre Unabhängigkeit erklärte, änderte sich die Situation. Seit dem gibt es nun zwei Küstenstaaten. Nach dem Seevölkerrecht war es aber schon damals grundsätzlich nur zulässig, Buchten einzelner Staaten zu inneren Gewässern zu erklären, nicht aber Buchten mehrerer Küstenstaaten. Eine Ausnahme bilden allerdings sogenannte historische Buchten, deren besonderer Status durch langjährige Staatenpraxis geprägt und international anerkannt ist. Wegen der besonderen historischen Situation könnte man somit behaupten, dass die Ukraine und Russland die inneren Gewässer des Asowschen Meeres gewissermaßen von der UdSSR "geerbt" haben. Diese Auffassung vertreten jedenfalls die beiden Anrainer und bisher schien die internationale Gemeinschaft mehrheitlich kein Problem damit zu haben.
Im Jahr 2003 haben Russland und die Ukraine das noch einmal bestätigt und einen bilateralen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen, der das Asowsche Meer und die Straße von Kertsch zu "gemeinsamen inneren Gewässern" erklärt und sowohl russischen als auch ukrainischen Handels- und Kriegsschiffen freie Durchfahrt gewährt. Dieser Vertrag sieht zudem vor, dass Russland und die Ukraine eine Seegrenze aushandeln sollen. Bisher kam es aber nicht zu einer Einigung. Der Vertrag ist trotz wachsender Kritik in der Ukraine noch nicht gekündigt und damit weiterhin in Kraft. Sowohl die Ukraine als auch Russland halten derzeit noch an ihrer Rechtsauffassung zum Status des Asowschen Meeres fest, aber die Ukraine könnte dies bald ändern.
Russland bricht Völkerrecht
Die Sperrung der Straße von Kertsch verletzt schon deshalb die Souveränität der Ukraine, weil die Krim und damit auch die Küstengewässer der Krim ihr völkerrechtlich zugeordnet sind, woran die russische Annexion rechtlich nichts geändert hat. Daher darf Russland völkerrechtlich dort keine Hoheitsgewalt ausüben. Dasselbe gilt für den Bau der Brücke über die Straße von Kertsch.
Aber auch unabhängig von der Frage der Zugehörigkeit der Krim gelten die Durchfahrtsrechte nach dem Abkommen von 2003 und auch nach Völkergewohnheitsrecht. Danach dürfen ukrainische Kriegsschiffe die Straße von Kertsch auch ohne russische Erlaubnis passieren, jedenfalls soweit die Durchfahrt friedlich ist, also ohne Waffeneinsatz oder entsprechende Drohungen abläuft. Es kann zwar argumentiert werden, dass die Sicherheit der Navigation in der engen Straße von Kertsch erfordert, dass eine Durchfahrt von Kriegsschiffen den zuständigen Behörden notifiziert wird. Ist dies erfolgt, ist aber eine Durchfahrt ohne Verzögerungen oder gar Inspektionen zu gewähren.
Die Ukraine behauptet, Russland rechtzeitig benachrichtigt zu haben, was von russischer Seite bestritten wird. Aber auch wenn es sich hier um eine Provokation der Ukraine gehandelt haben sollte, hätte Russland nach dem Völkerrecht allenfalls die Durchfahrt stoppen dürfen. Der Beschuss und insbesondere das Aufbringen der ukrainischen Kriegsschiffe, ohne dass diese selbst Gewalt angewendet oder angedroht hätten, ist demgegenüber rechtswidrig. Nach alledem war auch die anhaltende russische Blockade der Straße von Kertsch ohne eine unmittelbare Bedrohung durch die ukrainische Marine nicht zu rechtfertigen.
Valentin Schatz ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationales Seerecht und Umweltrecht, Völkerrecht und Öffentliches Recht an der Universität Hamburg. Im Rahmen einer Kooperation mit der National University of "Kyiv-Mohyla Academy" in der Ukraine hat er in den vergangenen Monaten intensiv zur Situation im Asowschen Meer und in der Straße von Kertsch geforscht.
Streit um Meerenge zwischen Russland und Ukraine: . In: Legal Tribune Online, 28.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32365 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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