Das OLG Stuttgart schlägt sich auf die Seite der Verbraucher. Bausparkassen dürften Verträge nicht zehn Jahre nach Zuteilungsreife einfach kündigen. Das Thema betrifft Tausende Sparer.
Erstmals hat am Mittwoch eine Bausparkasse im Streit um gut verzinste Sparverträge eine höherinstanzliche Niederlage hinnehmen müssen. Die Kündigung eines mit drei Prozent verzinsten Vertrags aus dem Jahr 1978 durch die Bausparkasse Wüstenrot sei unberechtigt gewesen, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart am Mittwoch (Urt. v. 30.03.2016, Az. 9 U 171/15).
Das Urteil in dem Berufungsverfahren war insofern eine Überraschung, als Wüstenrot in erster Instanz Recht bekommen hatte. Zudem hatten andere OLG - etwa in Koblenz, Celle, Hamm und München - zugunsten der Bausparkassen entschieden.
Seit vergangenem Jahr sind deutsche Gerichte mit einer Klagewelle gegen die Kündigung von Bausparverträgen beschäftigt. Von den etwa 200 Urteilen an Amts- und Landgerichten gingen nach Angaben des Verbands der Privaten Bausparkassen etwa 90 Prozent zu Gunsten der Geldinstitute aus. Repräsentativ scheint diese Angabe nicht, zentral erfasste Daten einer objektiven Stelle gibt es nicht. Verbraucherschützer weisen darauf hin, dass eine solche Statistik die Zahl der Vergleiche mit Kunden, bei denen die Bausparkassen den Kunden weit entgegenkommen, nicht enthalte.
Banken sehen sich als Darlehensnehmer
In den 80-er und 90-er Jahren lockten Bausparkassen Kunden mit Guthabenzinsen von bis zu fünf Prozent. Die Institute brauchten Geld, um es als Darlehen weiter zu vergeben. Das Geschäft boomte. Als die Zinsen gegen null sanken, legten viele Sparer jedoch ihr Recht auf ein Bauspardarlehen auf Eis - solche Kredite gab es inzwischen häufig günstiger als Einzelkredite außerhalb des Bausparvertrags. Die Guthabenzinsen wurden für die Bausparkassen zu finanziellem Ballast.
Also kündigten die Institute Verträge, die mindestens zehn Jahre zuteilungsreif waren - 200.000 solcher Kündigungen gab es 2015. Aus Sicht der Bausparkassen findet durch den Verzicht auf das Darlehen eine Zweckentfremdung des Bausparvertrags zur reinen Kapitalanlage statt. Die Geldinstitute berufen sich daher auf § 489 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Nach der Vorschrift kann ein Darlehensnehmer einen Vertrag zehn Jahre nach Empfang der vollständigen Leistung kündigen. Der Clou also: In der Sparphase eines Bausparvertrags sehen die Finanzinstitute sich als Darlehensnehmer, die Geld vom Kunden bekommen.
Die Bausparer halten § 489 BGB hingegen nicht für anwendbar. Sie stützen sich darauf, dass die Regelung zum Schutz von Verbrauchern gegenüber Banken eingeführt wurde, und nicht umgekehrt.
OLG: Kein Kündigungsrecht nach § 489 BGB
Vor dem OLG Stuttgart bekamen die Sparer nun erstmals Recht. Der 9. Zivilsenat hält § 489 BGB weder direkt noch analog für anwendbar. Der strittige Bausparvertrag war seit 1993 zuteilungsreif. Die Sparerin stellte die regelmäßige Zahlung der Sparraten aber einfach ein, ohne ein Bauspardarlehen in Anspruch zu nehmen.
Im Januar 2015, also knapp 22 Jahre nach Eintritt der Zuteilungsreife, kündigte die Bausparkasse den Bausparvertrag. Das Bausparguthaben belief sich zu diesem Zeitpunkt auf ca. 15.000 Euro; die Bausparsumme von 40.000 D-Mark (ca. 20.500 Euro) war also nicht vollständig angespart.
Der Senat hält aber den Zeitpunkt der Zuteilungsreife für nicht relevant. Das OLG schließt sich damit der von Verbraucherschützern vertretetenen Auffassung an, die darauf abstellen, dass die Zuteilungsreife nichts mit dem Erhalt der vollständigen Leistung zu tun habe. So auch der 9. Zivilsenat: Nach den Allgemeinen Bausparbedingungen (§ 5 Abs. 1 ABB) sei der Bausparer verpflichtet, Regelsparbeiträge bis zur erstmaligen Auszahlung der Bausparsumme zu zahlen. Vor Ende dieser Pflicht habe die Bausparkasse das als Darlehen anzusehende Guthaben aber gar nicht vollständig empfangen, § 489 BGB sei damit nicht anwendbar.
OLG: keine analoge Anwendung, ordentlich kündbar
Auch eine analoge Anwendung schließt der Senat aus. Er sieht nämlich keine Regelungslücke. Schließlich hätte die Kasse der Sparerin längst ordentlich kündigen können, so das OLG.
Zwar beruhe die überlange Vertragsdauer darauf, dass die Frau die Zahlungen vertragswidrig einstellte. Aber die Bank hätte sie zur Weiterzahlung auffordern, und, wenn sie dieser Aufforderung nicht nachkommt, kurzfristig kündigen können, argumentierten die Richter. Wenn das Geldinstitut aber zulasse, dass der Vertrag ruhe, könne es sich nicht später auf ein gesetzliches Kündigungsrecht berufen.
Der Anwalt der Klägerin, Filippo Siciliano, bezeichnete das Urteil als absolut richtig. Er ging von einer Revision aus. "Es bleibt spannend", kommentierte Siciliano. "Das letzte Wort hat wohl der BGH." Ein Wüstenrot-Vertreter sagte, man werde das Urteil prüfen. Ob das Finanzinstitut in Revision geht, wollte er am Mittwoch noch nicht sagen.
Ein Sprecher der Privaten Bausparkassen sagte nach der Entscheidung, man halte an der Auffassung fest, dass die Kündigungen grundsätzlich rechtmäßig seien, der Stuttgarter Fall sei "speziell" gewesen.
dpa/plLTO-Redaktion
OLG Stuttgart verneint Kündigung von Alt-Verträgen: . In: Legal Tribune Online, 31.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18923 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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