Die Linke kritisiert im LTO-Interview Pläne der GroKo, das Strafverfahren um jeden Preis zu beschleunigen. Ihr rechtspolitischer Sprecher, Friedrich Straetmanns, setzt in der Rechtspolitik nicht auf Krawall, sondern auf Kooperation.
LTO: Herr Straetmanns, Ihre Bundestagsrede im Rahmen der ersten Justizdebatte in der neuen Wahlperiode war für einen Oppositionspolitiker etwas ungewöhnlich: Statt Frau Barley und ihre Pläne zu attackieren, haben Sie ihr Gesprächsbereitschaft angeboten. Gehen Sie mit der Großen Koalition in der Rechtspolitik künftig auf Kuschelkurs?
Friedrich Straetmanns: Keineswegs. Aber ich bin auch kein Hau-Drauf-Politiker. Und machen wir uns doch nichts vor: Es wird für lange Zeit die letzte Große Koalition sein. Ich sehe die SPD eher als künftigen Bündnispartner und deshalb geht es längerfristig auch darum, die Gemeinsamkeiten mit ihr in der Rechtspolitik herauszustellen. Aber Kuschelkurs? Nein, im Koalitionsvertrag und auf der Agenda von Frau Barley stehen genug Vorhaben, die wir kritisieren und die ich im Bundestag auch angesprochen habe.
LTO: Zum Beispiel?
Straetmanns: Der Koalition schwebt ein Strafverfahren vor, das allein unter der Maßgabe des Beschleunigungsgrundsatzes steht. Verfahrensbeschleunigung bedeutet aber in aller Regel Beschneidung von Beschuldigtenrechten. So sollen etwa Beweisanträge von Beschuldigten und Nebenklägern künftig im Vorabverfahren abgelehnt werden. Nebenkläger sollen ihre Interessen bündeln und sich möglichst auf einen Anwalt verständigen. Hier erinnere ich nur an das NSU-Verfahren: Auch da war die Nebenklage den meisten lästig.
Ähnlich wird es wahrscheinlich auch im Love Parade-Verfahren sein. Ich kann nur davor warnen, die Rechte der Nebenklage zu beschneiden, nur um möglichst schnell zu einem Urteil zu kommen. Die Linke steht bei diesen Themen ganz klar auf der Seite der Anwaltschaft.
Ersatzfreiheitsstrafe abschaffen
LTO: Im Strafrecht scheint es die meisten Kontroversen zwischen den Vorstellungen der Linken und den Plänen der GroKo zu geben. Sie wollen zum Beispiel die Ersatzfreiheitsstrafe komplett abschaffen. Wenn Hartz-IV-Empfänger ihre Geldstrafe nicht bezahlen können – wie kann der Staat die Strafe dann durchsetzen. Hartz-IV pfänden?
Straetmanns: Nein. Aber richtig ist, dass die Ersatzfreiheitsstrafe leider überwiegend arme Menschen trifft. Die Frage ist: Wollen wir diesen Menschen, die Bagatelldelikte begangen haben, kurze Haftstrafen aufbürden – mit allen negativen Wirkungen, die der Freiheitsentzug im Hinblick auf eine Resozialisierung hat?
Im Zivilrecht akzeptiert es der Gesetzgeber doch auch, dass eine Privatinsolvenz unter anderem dazu führt, dass sich eine Forderung nicht durchsetzen lässt. Warum soll das nicht auch im Strafrecht so sein? Im Übrigen schlagen wir als Alternative für diejenigen, die eine Geldstrafe nicht zahlen können, die Verrichtung von gemeinnütziger Arbeit vor. Das ist für das Gemeinwesen sinnvoller als überfüllte Gefängnisse.
LTO: Bleiben wir im Strafrecht: Die SPD hat ihren Gesetzentwurf zum § 219a StGB zurückgezogen – angeblich, weil die Bundesregierung ein Gesetz zur Abschaffung strafrechtlichen Werbeverbotes von Schwangerschaftsabbrüchen noch vor der Sommerpause vorlegen will. Glauben Sie daran?
Straetmanns: Nein, die rechtspolitische Sprecherin der Union hat nicht zuletzt im Podcast auf LTO gesagt, dass sie bei § 219a StGB keinen Änderungsbedarf sieht. Auch Kabinettsmitglieder wie Jens Spahn sehen den nicht.
Insofern kann ich mir nicht vorstellen, dass Ärzte, die nichts anderes tun, als über ihre Leistungen zu informieren, künftig von der Großen Koalition vor einer strafrechtlichen Verfolgung wirksam geschützt werden.
Staatsanwälte: "ministerielles Weisungsrecht unverzichtbar"
LTO: In ihrem Wahlprogramm spricht sich die Linke dafür aus, das politische Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwälten abzuschaffen. Es sei ein Gebot des Rechtsstaats, hier eine mit den Richtern vergleichbare Unabhängigkeit zu erreichen. Kritiker warnen aber davor, die Strafverfolgungsbehörde von jeglicher Kontrolle und Verantwortlichkeit frei zu stellen. Was meinen Sie?
Straetmanns: An dieser Stelle teile ich die Auffassung meiner Partei ausdrücklich nicht: Ich halte das ministerielle Weisungsrecht für ein unverzichtbares Instrument der parlamentarischen Kontrolle der Exekutive, zu der ja auch die Staatsanwaltschaft gehört. Es ist ein Gebot unserer parlamentarischen Demokratie, dass jemand die politische Verantwortung dafür übernehmen muss, wenn eine Staatsanwaltschaft rechtswidrige Ermittlungsmaßnahmen ergreift oder es aus sachfremden Erwägungen unterlässt, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Die Unabhängigkeit der Justiz als dritte Gewalt ist mit dem Status der Staatsanwaltschaft nicht vergleichbar.
Übrigens gehen mir auch bezüglich einer Selbstverwaltung der Justiz die Vorstellungen meiner Partei zu weit: Ich bin nicht der Meinung, dass man den Gerichten einen eigenen finanziellen Etat zur Verfügung stellen sollte. Das Etatrecht ist ein parlamentarisches Recht. Wenn Urteile "Im Namen des Volkes" gesprochen werden, dann sollte man auch die finanziellen Möglichkeiten vom Volk ableiten. Das heißt: Die Volksvertreter im Parlament müssen letztlich darüber entscheiden, wieviel ihnen eine unabhängige, funktionierende Justiz wert ist.
Bundestag verkleinern
LTO: Sie waren über 25 Jahre als Sozialrichter tätig. Es ist ihre erste Wahlperiode als Abgeordneter im Bundestag. Dass es für ihren Einzug am Ende knapp gereicht hat, haben sie erst am Morgen nach der Wahl erfahren. Nun sitzen ausgerechnet Sie für die Linke im Kreis derjenigen Abgeordneten, die gemeinsam mit dem Bundestagspräsidenten eine Wahlrechtsreform ausarbeiten, deren Ziel es ist, das Parlament zu verkleinern. Wie soll das konkret passieren?
Straetmanns: Mit 709 Abgeordneten gehören dem Parlament 78 Abgeordnete mehr an als nach der Wahl 2013. Nach dem chinesischen Nationalen Volkskongress ist der Deutsche Bundestag das zweitgrößte Parlament der Welt. Es ist unser erklärtes Ziel in der von Ihnen erwähnten Wahlrechtskommission, die Anzahl der Parlamentarier wieder deutlich unter die Zahl 700 zu drücken und auch einen Deckel auszuarbeiten, der bei künftigen Wahlen nicht mehr überschritten werden darf.
Wie das genau passieren soll, werden wir allerdings zunächst hinter verschlossenen Türen ausarbeiten. Alle Fraktionen haben sich in der Runde mit Herrn Schäuble zum Stillschweigen verabredet. Daran will auch ich mich halten.
LTO: Stillschweigen und verschlossene Türen – das ist ja ansonsten nicht so der Politikstil der Linken. Was die Bundestagsausschüsse anbelangt, wollen Sie doch höchstmögliche Transparenz und alle Sitzungen live ins Wohnzimmer streamen. Besteht dabei nicht die Gefahr, dass sich letztlich wichtige politische Beratungen in die Hinterzimmer verlagern?
Straetmanns: Wir wollen für die Menschen das parlamentarische Geschehen erfahrbarer und nachvollziehbarer gestalten. Gerade in Zeiten, in denen die parlamentarische Demokratie von vielen kritisch gesehen wird, wäre das eine vertrauensbringende Maßnahme.
Hasso Suliak, Interview mit dem rechtspolitischen Sprecher der Partei Die Linke: . In: Legal Tribune Online, 11.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27995 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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