Gerade die deutsche mittelständische Wirtschaft wartet auf den Startschuss. Doch immer wieder stocken die Verhandlungen um die Europa GmbH in Brüssel. Einer der Gründe: Die Mitbestimmung wird verteidigt – allzu emotional, meint Dr. Hans-Joachim Fritz, der auf ausgewogene Kompromissvorschläge verweist und fordert, die Phantomdebatte zu beenden.
Union und FDP planen nun Vorstöße. Und auch wenn bisweilen Stillstand in den Verhandlungen eintrat, sieht es nicht so aus, als würde die Europa GmbH oder europäische Privatgesellschaft (SPE, Societas Privata Europaea) das Schicksal ihrer große Schwester teilen, der Europa AG oder europäischen Aktiengesellschaft (SE, Societas Euroaea).
Diese hat 30 Verhandlungsjahre verschlungen, bis sie das "Licht der Welt" erblickte. Seit Oktober 2004 können sich große Unternehmen in der europäischen Rechtsform der SE organisieren. Porsche, Fresenius und die Allianz haben davon Gebrauch gemacht.
Für mittelständische Unternehmen aber, die heute Geschäfte im Binnenmarkt abschließen, gestaltet sich die Praxis weiterhin problematisch. Sie müssen in einer Rechtsform auftreten, die den Geschäftspartnern fremd ist. Die deutsche GmbH etwa ist den meisten Franzosen unbekannt. Im Zweifelsfall schließt man dann doch eher Verträge mit Firmen ab, mit deren Rechtsform man vertraut ist.
Firmen, die grenzüberschreitend tätig werden wollen, gründen daher Tochterfirmen im Ausland. Eine umständliche und aufwändige Prozedur, zumal die Unternehmen die Gründungskosten oft als unangemessen hoch empfinden.
Einheitliches Recht für den Mittelstand: Türöffner für den Binnenmarkt
Die Europäische Kommission hat konsequenterweise im Juni 2008 den Entwurf einer Verordnung über die SPE vorgelegt. Mit dieser flexiblen Rechtsform soll ein einheitliches Recht für die länderübergreifenden Aktivitäten vor allem kleiner und mittlerer Unternehmen mit Zweigniederlassungen im Ausland geschaffen und einzelstaatliches Recht vermieden werden.
Die Reduktion der Gründungskosten und die Vereinfachung der Rechtsbeziehungen zwischen Anteilseignern, Geschäftsleitung und Vertragspartnern der SPE bringen große Vorteile, die wie ein Türöffner wirken können.
Insbesondere die auf Export bauende deutsche Wirtschaft würde mit nur einer Rechtsform ihrer Tochtergesellschaften Skaleneffekte erzielen. Denn der ständige Beratungsbedarf in mehreren Rechtsordnungen verursacht enorme Kosten. Der auf Export fokussierte Mittelständler muss sich beispielsweise nicht mehr durch das gesellschaftsrechtliche Dickicht von im Extremfall bis zu 27 EU-Staaten schlagen. Wegen der unbekannten Rechtsordnungen entstehen zusätzliche Kosten für Rechtsberatung, Wirtschaftsprüfung, Behörden und Notare. Der Schritt ins Ausland wird dadurch bisher unnötig erschwert.
Die Mitbestimmung: Eine Phantomdebatte
Die Verhandlungen gestalten sich allerdings derzeit noch zäh – wegen der Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Deutschland und einige andere EU-Länder haben hierzu widersprüchliche Vorstellungen, die sie nicht aufgeben wollen. Für die SPE soll grundsätzlich das Recht des Landes gelten, in dem sie registriert sind. Daher fürchten die Gewerkschaften, dass sich die Unternehmen künftig einfach in einem Land mit einem schwachen Mitbestimmungsniveau niederlassen.
Für viele mittelstandsgeprägte Branchen ist das allerdings eine rein theoretische Phantomdebatte. Denn für Vertriebs- und Servicetöchter greift die Mitbestimmungsregel regelmäßig ohnehin nicht. Nach deutschem Recht ist festgelegt, dass der Aufsichtsrat in Unternehmen mit 500 bis 2.000 Mitarbeitern zu einem Drittel mit Arbeitnehmervertretern besetzt werden muss. In Unternehmen mit mehr als 2.000 Beschäftigten bekommen die Arbeitnehmer die Hälfte der Sitze im Aufsichtsrat – europaweit ohnehin ein "Sonderweg".
Bei der Mitbestimmung über Schwellenwerte wie 300, 400 oder 500 Beschäftigte in den jeweiligen Auslandstöchtern zu streiten, geht am Thema vorbei. Solche Zahlen erreichen die Auslandstöchter der mittelständischen Unternehmen selten. Auch in Deutschland gelten für diese Gesellschaften keine Regeln der unternehmerischen Mitbestimmung.
Schließlich sollen mit der Rechtsform gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in ihrer Betätigung im Binnenmarkt gefördert werden. Statistisch gesehen handelt es sich regelmäßig um Unternehmen mit nicht mehr als 250 Beschäftigten.
Die Vorschläge: Verhandeln oder Aufspaltung verbieten
Die EU-Kommission hat das Problem erkannt. Ihr Vorschlag: Möchte eine Firma ihren registrierten Sitz verlegen, sollte nach dem Vorbild der SE eine Verhandlungsoption für die Arbeitnehmervertreter – etwa einer Tochtergesellschaft mit höherem Mitbestimmungsniveau – mit der Geschäftsleitung bestehen. Einigt man sich nicht binnen eines Jahres, gelten die umfangreicheren Mitbestimmungsrechte. Dieser Vorschlag ist allerdings noch umstritten.
Radikaler ist die Alternative, die Aufspaltung von Register- und Verwaltungssitz grundsätzlich zu verbieten. Damit würde allerdings diese Rechtsform an Attraktivität für KMU erheblich einbüßen. Insofern erscheint es, um einen sachgerechten Kompromiss für die Mitbestimmung zu finden, noch am ehesten praktikabel, Schwellenwerte zu ziehen, die den Nutzen dieser Rechtsform für KMU trotzdem erhalten: Bei einer Größenordnung von 250 bis 300 Mitarbeitern könnten so mehr als 99 Prozent aller Unternehmen in der EU von der SPE profitieren.
Der Autor Dr. Hans-Joachim Fritz ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie für Arbeitsrecht bei Kaye Scholer Rechtsanwälte in Frankfurt. Er ist der für die SPE zuständige Berichterstatter der Bundesrechtsanwaltskammer im Gesellschaftsrechts- und Europaausschuss.
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Hans-Joachim Fritz, Europa GmbH: . In: Legal Tribune Online, 07.02.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2488 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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