Einmal mehr steht die EZB vor Gericht. Auf eine Vorlage des BVerfG hin ging es am Dienstag vor dem EuGH darum, ob die Notenbank zu weit gegangen ist, als sie im Jahr 2012 ankündigte, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenstaaten zu kaufen. Nach der mündlichen Verhandlung ist aber fraglich, ob Luxemburg überhaupt in der Sache darüber entscheiden wird, was die EZB darf und was nicht.
Hat die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Kompetenzen überschritten, als sie im September 2012 ankündigte, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Euro-Krisenländern zu kaufen? Allein die "Whatever it takes"-Ankündigung von Mario Draghi, alles Notwendige zu tun, um den Euro zu erhalten, hatte damals die Märkte beruhigt. Vor allem Spanien, Italien und Portugal hätten von den sinkenden Zinsen profitiert, wenn die Notenbank in die Bresche gesprungen wäre.
Dennoch steht die EZB einmal mehr vor Gericht. Kritiker meinen, die Notenbank finanziere mit dem sogenannten OMT-Programm ("Outright Monetary Transactions") letztlich Staatsschulden mit der Notenpresse. Das mache sie abhängig von den jeweiligen Staaten und gefährde ihre Unabhängigkeit gegenüber den Regierungen. Zudem lähme es die Reformbereitschaft, wenn sich Staaten darauf verlassen, dass es notfalls die EZB richten wird.
Vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) geht es aber unter dem Aktenzeichen C-62/14 jedenfalls vordergründig um Rechtsfragen. Bei der mündlichen Verhandlung am Dienstag in Luxemburg wurden von den Klägern über die EZB bis zu politischen Akteuren wie Bundesregierung, EU-Parlament und EU-Kommission alle Seiten angehört.
Generalanwalt: Vorlage bereits unzulässig?
Laut dem Wirtschafts- und Europarechtler Prof. Dr. Heribert Hirte, der für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Luxemburg war, äußerte insbesondere der Generalanwalt sich dabei schon zur Frage der Zulässigkeit der Vorlage an den EuGH sehr kritisch. Auf seine Nachfrage hin habe der Vertreter der EZB nachdrücklich bejaht, dass es noch mehrerer interner Beschlüsse bedurft hätte, damit die Notenbank den OMT-Beschluss überhaupt hätte umsetzen können. Wenn aber nicht einmal ein angreifbarer Rechtsakt vorgelegen hätte, sondern nur die Ankündigung eines solchen, könnte ein Gericht diesen auch nicht für unzulässig erklären.
Das würde nicht nur für den EuGH gelten, sondern schon für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Mit dieser Einschätzung wäre der Generalanwalt nicht ganz allein. Zwar waren die Richter des 2. Senats des BVerfG in ihrem Vorlagebeschluss aus Februar 2014 zu dem Schluss gekommen, dass die EZB mit dem sogenannten OMT-Programm ("Outright Monetary Transactions") ihre Kompetenzen überschritten habe. In zwei abweichenden Sondervoten hatten jedoch sowohl Gertrude Lübbe-Wolff als auch Michael Gerhardt die zugrundeliegenden Verfassungsbeschwerden für unzulässig gehalten.
Während vor allem Lübbe-Wolff aber eine allgemeine Klage gegen die Politik der Bundesregierung und des Bundestags, nicht aber gegen einen verfassungsrechtlichen Verstoß monierte, gingen die Verfahrensbeteiligten in Luxemburg laut MdB Hirte durchaus davon aus, dass das Handeln der EZB einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen könne. Dabei müsse die Notenbank aber auch die Instrumente haben, um die ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Spannend bleibt dann, wo der EuGH die Grenzen der gerichtlichen Kontrolle ziehen wird, wenn er denn in der Sache entscheiden sollte.
Am Dienstag sah es nach Einschätzung von Heribert Hirte nicht danach aus, als ob die Luxemburger dabei wie das BVerfG auf die Unterscheidung zwischen Währungs- und Wirtschaftspolitik abstellen würden. Unter Verweis auf die Entscheidung Thomas Pringle aus dem Jahr 2012 schienen die Beteiligten sich vielmehr weitgehend einig zu sein, dass eine solche Trennung nicht möglich sei.
BVerfG: Ultra-Vires-Akt, aber primärrechtskonform auslegbar?
Den EuGH mit der Sache befasst hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Eine Verfassungsbeschwerde von Professoren rund um Peter Gauweiler sowie ein Organstreitverfahren der Fraktion Die Linke führten zur ersten Karlsruher Vorlageentscheidung nach Luxemburg.
Der Senat hält den damals vorgesehenen Ankauf von Staatsanleihen zur Entlastung einzelner Mitgliedstaaten, zu dem es bis heute nicht gekommen ist, für ein "funktionales Äquivalent" zu einer Rettungsmaßnahme der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Die Notenbank, welche zuständig für Währungspolitik ist, dürfe aber keine eigenständige Wirtschaftspolitik betreiben, welche vielmehr primär den Mitgliedstaaten zustehe.
Außerdem war das Verfassungsgericht der Meinung, der angekündigte Kauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt, also etwa von Banken, würde das sogenannte Verbot der Mitinanzierung von Staatshaushalten des Art. 123 Abs. 1 AEUV umgehen. Die Vorschrift verbietet der EZB unter anderem, Staatsanleihen unmittelbar von den emittierenden Mitgliedstaaten, also auf dem Primärmarkt, zu erwerben.
Der 2. Senat des BVerfG glaubt allerdings, dass der OMT-Beschluss primärrechtskonform
ausgelegt oder in seiner Gültigkeit beschränkt so werden könnte, dass er dem europäischen Primärrecht standhalten könnte. Die endgültige Entscheidung überließ Karlsruhe mit seinem Beschluss (v. 14.01.2014, Az. 2 BvR 2728/13 u.a) den Luxemburger Richtern.
Die bedankten sich laut Juraprofessor Hirte mit recht kritischen Erörterungen zur Vorlage der deutschen Verfassungsrichter, die Hirte gegenüber LTO als "Ohrfeige" bezeichnete: Die deutschen Richter hätten Mario Draghis berühmte gewordene Formulierung "whatever it takes" aus einem Interview zitiert, dessen restlichen Inhalt, welcher die Aussage, "alles zu tun", um den Euro zu retten, weitgehend relativiert habe, aber nicht wiedergegeben und damit schon in ihrer Vorlage die Klägerseite stark begünstigt.
Experten erwarten ein Go für die OMT-Käufe
Deren Urteil über die Vorlagefragen wird erst für 2015 erwartet. Der Generalanwalt will am 14. Januar 2015 sein Gutachten vorlegen. Die meisten Experten gehen davon aus, dass die Richter das Programm durchwinken werden. "Wir erwarten, dass der EuGH die Zulässigkeit der OMT-Käufe im Sommer 2015 erklären wird", schrieb UniCredit-Volkswirt Andreas Rees vor der Verhandlung in Luxemburg. Dies entspreche dem Trend: "In der Vergangenheit hatte der EuGH die Tendenz, den Einfluss der EU-Entscheidungsträger auszudehnen." Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der in Luxemburg seine EU-Amtskollegen traf, zeigte sich mit Blick auf das EuGH-Verfahren "völlig entspannt.
Kämen die Richter zu dem Schluss, dass das Kaufprogramm gegen europäisches Recht verstößt, wären der EZB in Zukunft die Hände gebunden. Allerdings könnte der EuGH auch nur bestimmte Vorgaben für Anleihekäufe machen, etwa zum Umfang oder zur Dauer. Vor allem nach den differenzierten Vorlagefragen aus Karlsruhe auch nach den Möglichkeiten einer primärrechtskonformen Auslegung liegt das nahe.
Solange der Prozess in Luxemburg läuft, hat die Notenbank weiter alle Möglichkeiten - auch wenn sie bislang noch keine davon genutzt hat. Nach Angaben des Gerichts hat das Verfahren keine aufschiebende Wirkung, es liege kein Antrag auf Aussetzung der Maßnahmen vor.
Unions-Wirtschaftsrechtler warnt vor Anleihekäufen
Europarechtler warnt vor anderen Anleihekäufen: "Selbst wenn das umstrittene Ankaufsprogramm mit europäischem Recht und deutschem Verfassungsrecht vereinbar sein sollte, ist das kein Freibrief für weitere Anleihekäufe, wie sie vor einigen Wochen von der EZB ins Spiel gebracht wurden. Pfandbriefe und Kreditpakete von Banken in Krisenländern werden nicht umsonst Ramsch-Papiere genannt. Mit dem geplanten Kauf dieser Papiere setzt die EZB weiter auf laxe Geldpolitik, anstatt einen nachhaltigen Weg aus der Schuldenkrise in der Euro-Zone zu beschreiten." Erst recht gelte dies für Bestrebungen, Mittel des ESM zur Förderung von Investitionen in die Infrastruktur in der gesamten Europäischen Union einzusetzen.
Angesichts der unverändert kritischen Haushaltssituation mancher europäischer Staaten würde der Hamburger Rechtsprofessor lieber die Regelungen über eine Staatsinsolvenz auszubauen: "Dann übernimmt nicht mehr der Steuerzahler die Risiken einer wirtschaftlichen Schieflage eines Staates, sondern es werden, wie auch bei der Bankenunion vorgesehen, die Gläubiger in die Pflicht genommen. Und die können diese Risiken im Rahmen ihrer Zinsgestaltung einpreisen."
Bei sämtlichen Sondermaßnahmen der EZB im Kampf gegen die Dauerkrise hält sich die Sorge, dass mögliche Verluste letztlich die Steuerzahler tragen müssen. Die Notenbank kann Verluste nämlich auf die nationalen Zentralbanken abwälzen und Deutschland ist über die Bundesbank mit rund 26 Prozent größter EZB-Anteilseigner. Das erste Kaufprogramm für Staatsanleihen ("Securities Markets Programme", kurz SMP) jedoch, das die Notenbank im Mai 2010 aufgelegt hatte, brachte der EZB 2012 und 2013 insgesamt gut zwei Milliarden Euro Zinseinnahmen.
pl/LTO-Redaktion
Mit Materialien von dpa
Pia Lorenz, EZB-Kompetenzen vor dem EuGH: . In: Legal Tribune Online, 14.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13476 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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