Der Bundestag arbeitet so schnell wie nie und beschließt umfangreiche Maßnahmen, um die Coronakrise aufzufangen. Damit das Parlament weiter handlungsfähig bleibt, wird auch die Geschäftsordnung geändert.
Der Bundestag wirkt leer, die Abgeordneten lassen Sitze frei. Die Redner erhalten ihr Wasser nicht wie sonst in einem Glas, sondern in einem Pappbecher, das Rednerpult wird nach jedem Wechsel desinfiziert.
Aber das Parlament arbeitet so schnell wie nie: Am Montag hatte sich die Bundesregierung auf zahlreiche Maßnahmen geeinigt, um auf die Coronakrise zu reagieren, am Mittwochmorgen kam der Bundestag für eine eineinhalbstündige Debatte zusammen, mittags fanden die Ausschusssitzungen statt und nachmittags wurden die von CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwürfe verabschiedet.
Die wichtigsten Änderungen hier im Überblick.
Bundestag kann Epidemiefall ausrufen
Beim umstrittenen Epidemieschutzgesetz wurde nochmal kräftig nachgebessert: Sollte nach ersten Entwürfen vom vergangenen Wochenende bereits die Feststellung der gesundheitlichen Notlage beim Bundesgesundheitsministerium (BMG) liegen, so ist es jetzt der Bundestag, der eine "epidemische Lage von nationaler Tragweite" ausruft. Dies wird neu in § 5 Infektionsschutzgesetz (IfSG) geregelt. Auf Empfehlung des Gesundheitsausschusses beschloss der Bundestag auch, dass mit Inkrafttreten der Regelung diese epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt wird.
Bisher beschrieb die Norm lediglich, dass die Bundesregierung durch allgemeine Verwaltungsvorschrift mit Zustimmung des Bundesrates einen Plan zur gegenseitigen Information von Bund und Ländern erstellt oder deren Zusammenarbeit erstellt.
Die Regelungen der §§ 5 Abs. 1 bis 6 sowie § 5a des IfSG werden zunächst bis zum 31. März 2021 befristet und im Anschluss evaluiert.
Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingeschränkt
Die aus der epidemischen Lage folgenden Kompetenzen liegen nach der weiteren Neufassung des § 5 Abs. 2 IfSG beim BMG – ohne dass eine Zustimmung des Bundesrates erforderlich wäre. Bisher wird das IfSG von den Ländern als eigene Angelegenheit ausgeführt, was zu erheblichen Unterschieden in den Ländern bei den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie führte. Selbst eine ergänzende Zuständigkeit des Bundes für Maßnahmen der Verhütung und insbesondere der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten war bislang - abgesehen von den Zuständigkeiten des Robert-Koch-Instituts - auch für den Krisenfall nicht vorgesehen.
Nun kann das BMG durch Anordnung oder Rechtsverordnung Maßnahmen zur Grundversorgung mit Arzneimitteln, einschließlich Betäubungsmitteln, Medizinprodukten, Labordiagnostik, Hilfsmitteln, Gegenständen der persönlichen Schutzausrüstung und Produkten zur Desinfektion sowie zur Stärkung der personellen Ressourcen im Gesundheitswesen treffen.
Vor allem aber hat das BMG Zugriff auf Reisende und ihre Daten - und ihre körperliche Unversehrtheit. In der Gesetzesbegründung heißt es, die gegenwärtige Epidemie sei maßgeblich auch durch einen Import eines Virus durch den internationalen Reiseverkehr verursacht. Da setzt § 5 Abs. 2 IfSG an: Das BMG kann von Reisenden Auskunft über ihren Gesundheitszustand oder ihren Impfschutz verlangen – und es kann anordnen, dass sich diese Personen ärztlich untersuchen lassen. Das ist ein Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das über § 5 Abs. 5 IfSG eingeschränkt wird. Damit trägt die Regelung dem Zitiergebot nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG) Rechnung, wonach die Grundrechte in der einschränkenden Norm benannt werden müssen.
Ausgangssperren und Auskünfte
Noch ein weiteres Grundrecht ist von den Neuerungen im IfSG betroffen: die Freizügigkeit. Schon bisher konnten aufgrund des Gesetzes die Grundrechte auf Freiheit der Person, die Versammlungsfreiheit und die Unverletzlichkeit der Wohnung eingeschränkt werden, damit die Länder die Schutzmaßnahmen aus § 28 IfSG umsetzen können, wie zum Beispiel das Verbot von Veranstaltungen oder der Schließung von Bädern.
Heftig diskutiert worden war die Möglichkeit zur Anordnung von Ausgangssperren: Einerseits sah die Norm die Einschränkung vor, dass Beschränkungen nur so lange möglich sein sollen, "bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind". Dieser Satz ist in der Neufassung gestrichen. Zudem ist die Einschränkung des Grundrechts auf Freizügigkeit nun erstmals normiert.
Über einen neu gefassten § 5 Abs. 2 Nr. 2 IfSG werden Reiseanbieter in die Pflicht genommen: Sie müssen künftig auf Anordnung Einreisen aus bestimmten Staaten einstellen, Daten von Reisenden erheben sowie an die zuständigen Behörden übermitteln und ärztliche Untersuchungen von Reisenden ermöglichen.
Entschädigungen für Eltern
Auch eine Entschädigung für berufstätige Eltern, die wegen Schul- und Kindergärtenschließungen ihre Kinder selbst betreuen müssen, ist nun in 56 Abs. 1a IfSG geregelt. Voraussetzung ist, dass die Eltern keine zumutbaren und möglichen Betreuungsalternativen haben.
Den Anspruch auf Entschädigung gibt es, wenn Kinder das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder behindert und hilfebedürftig sind. Der Gesetzgeber geht von 1,36 Millionen betroffenen Beschäftigten aus.
Entlastung von Krankenhäusern
Die Maßnahmen im Krankenhausentlastungsgesetz sollen Defizite in den Krankenhäusern vermeiden und die Liquidität der Krankenhäuser kurzfristig sicherstellen. Dafür werden etwa das Krankenhausfinanzierungsgesetz, das Krankenhausentgeltgesetz und die Sozialgesetzbücher V und XI geändert. Geregelt ist, dass die Häuser für die verschiebbaren, regelmäßig lukrativen Operationen Entschädigungen erhalten und etwa für jedes zusätzlich geschaffene Intensivbett einen Bonus in Höhe von 50.000 Euro erhalten.
Für Mehrkosten wie etwa die Verwendung persönlicher Schutzausrüstungen gibt es – zunächst befristet bis zum 30. Juni - einen Zuschlag pro Patient in Höhe von 50 Euro.
Auch für niedergelassene Ärzte regelt das Gesetz einen Ausgleich für Honorarausfälle, die mit der Corona-Pandemie einhergehen.
Das BMG sieht vor, auch Menschen in Ausbildung, wie etwa Medizinstudenten, in die Versorgung von COViD-19-Patienten einzubeziehen. Für diese Personen wird das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BaföG) angepasst, damit die Betroffenen keine Nachteile erleiden, falls sie BaföG-Leistungen beziehen.
Schutz für Selbständige und soziale Dienste
Im sogenannten Sozialschutzpaket geht es um die finanzielle Absicherung von Kleinunternehmern und Selbstständigen, die ansonsten keinen Zugang zu Leistungen wie Hartz IV, Arbeitslosenversicherung, Kurzarbeiter- oder Insolvenzgeld haben. Auch diese Personen sollen die Grundsicherung in einem vereinfachten Verfahren bekommen können. Dafür werden die Vermögensprüfung ausgesetzt und etwa die tatsächlichen Aufwendungen für die Miete als angemessen anerkannt.
Neben den finanziellen Einbußen für Einzelne werden neben den medizinischen und pflegerischen Berufen auch die landwirtschaftlichen Betriebe kurzfristig personelle Probleme haben, etwa weil ihnen Erntehelfer fehlen. Bezieher von Kurzarbeitergeld sollen daher Anreize bekommen, in ihrer arbeitsfreien Zeit zu helfen. Lohn aus Aushilfen in systemrelevanten Berufen wird daher nicht vollständig auf das Kurzarbeitergeld angerechnet. Diese Regelung ist bis zum 31. Oktober 2020 befristet.
Auch Renter sollen helfen können: Für diese Gruppe wird die jährliche Hinzuverdienstgrenze vorübergehend von 6.300 Euro auf 44.590 Euro angehoben.
Zahlungsaufschub bei Grundversorgung, Miete und Verbraucherdarlehensverträgen
Kultureinrichtungen, Kitas, Cafés, Restaurants und Geschäfte sind geschlossen – und viele Betreiber und Mitarbeiter bekommen nun massive finanzielle Schwierigkeiten. Manche Unternehmen müssen ihren Betrieb einstellen, Menschen verlieren ihren Job oder können eine neue Stelle nicht antreten. In solchen Fällen soll nun ein Moratorium für die Erfüllung vertraglicher Ansprüche aus Dauer-schuldverhältnissen gelten. Damit soll sichergestellt werden, dass etwa Strom und Gas, Telefon und Internet nicht abgestellt werden, wenn Verbraucher und Kleinunternehmer wegen der Corona-Pandemie die Rechnungen nicht bezahlen können. Der Zahlungsaufschub gilt zunächst bis zum 30. Juni.
Auch Mieter sollen vor Kündigungen geschützt werden: Miet- und Pachtverhältnisse dürfen ebenfalls bis zum 30. Juni nicht gekündigt werden, wenn der Mieter die Miete wegen der Coronakrise nicht zahlen kann. Außerdem werden besondere Regeln für Verbraucherdarlehensverträge eingeführt – sie können unter bestimmten Voraussetzungen gestundet und angepasst werden.
Geregelt werden diese Maßnahmen in Art. 240 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB). Der soll am 30. September außer Kraft treten. Die Bundesregierung wird zudem ermächtigt, die vorgesehenen Fristen zu verlängern – mit Zustimmung des Bundestags auch über den 30. September hinaus.
Insolvenzaussetzungsgesetz und Online-Hauptversammlung
Die Insolvenzantragspflicht wird bis zum 30. September ausgesetzt. Damit soll Unternehmen, die aufgrund der Coronakrise in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, mehr Zeit verschafft werden. Auch das Recht der Gläubiger, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen, wird aufgeschoben. Geregelt wird das in einem neuen COViD-19-Insolvenzaussetzungsgesetz.
Für Gesellschaften, Genossenschaften, Vereine-, Stiftungen und Wohnungseigentümergemeinschaften werden ebenfalls in einem eigenen Gesetz Regelungen aufgestellt, die ihnen ermöglichen, weiterhin Beschlüsse zu fassen, auch wenn ihre Mitglieder nicht zusammenkommen können – etwa indem eine Online-Hauptversammlung durchgeführt wird.
Mehr zu den Änderungen im Zivilrecht lesen Sie hier.
Unterbrechung der Hauptverhandlung im Strafverfahren
Die Gerichte haben bereits auf einen Notbetrieb heruntergefahren, Termine werden verschoben, der Zugang zum Gerichtsgebäude eingeschränkt. Finden Verhandlungen statt, müssen die Richter auf Infektionsschutzmaßnahmen achten.
Zwar können schon jetzt Hauptverhandlungen für maximal drei Monate und zehn Tage unterbrochen werden, wenn der Angeklagte oder der Richter krank sind. Künftig soll das auch gelten, wenn es um Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie geht. Ob die Hauptverhandlung weitergeführt wird oder nicht, entscheidet das zuständige Gericht.
Die Regelung im Einführungsgesetz zur Strafprozessordnung (EGStPO) tritt nach der Verkündung des Gesetzes in Kraft.
Wirtschaftsstabilisierungsfond
Mit einem Wirtschaftsstabilisierungsfond will der Bund große Unternehmen durch die Krise bringen. Vorgesehen sind umfangreiche staatliche Bürgschaften, zudem kann der Staat sich vorrübergehend an Unternehmen beteiligen. Mit dem Fond sollen die Sonderprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau flankiert werden.
Der Wirtschaftsstabilisierungsfond richtet sich an Unternehmen mit einer Bilanzsumme von mehr als 43 Millionen Euro bzw. mehr als 50 Millionen Euro Umsatzerlöse und mindestens 250 Arbeitnehmern. Beraten wurde außerdem über Eckpunkte der Bundesregierung für ein Hilfsprogramm für Kleinstunternehmen und Solo-Selbstständige.
Nachtragshaushalt mit 122,487 Milliarden Euro
Um die milliardenschweren Hilfen zu stemmen, hat der Bundestag einen Nachtragshaushalt für das Haushaltsjahr 2020 beschlossen. Darin werden zusätzliche Ausgaben in Höhe von 122,487 Milliarden Euro veranschlagt. Durch den Nachtragshaushalt erhöhen sich die für 2020 veranschlagten Ausgaben des Bundes von 362 Milliarden Euro auf 484,487 Milliarden Euro.
Der Bund wird dazu neue Kredite aufnehmen müssen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) geht davon aus, dass die nach dem Grundgesetz (GG) zulässige Kreditobergrenze um knapp 100 Milliarden überschritten wird. Der Bundestag hat deshalb auch beschlossen, dass eine "außergewöhnliche Notsituation" im Sinne des Art. 115 GG vorliegt – damit kann die vorgesehene Obergrenze überschritten werden.
Änderung der Geschäftsordnung
Der Bundestag hat außerdem eine Änderung seiner Geschäftsordnung beschlossen. Die soll dafür sorgen, dass das Parlament auch dann handlungsfähig bleibt, wenn zahlreiche Abgeordnete erkranken bzw. wenn die Abgeordneten wegen Infektionsschutzmaßnahmen nicht zusammenkommen können.
Der Bundestag ist demnach bereits beschlussfähig, wenn mehr als ein Viertel seiner Mitglieder anwesend sind. Das gleiche gilt für Ausschüsse. Die Ausschüsse können außerdem leichter elektronische Kommunikationswege wählen – so sind auch Abstimmungen ohne Präsenz zulässig und öffentliche Ausschusssitzungen können etwa per Video übertragen werden.
Die Änderungen wurde nahezu einstimmig angenommen, drei Abgeordnete der AfD enthielten sich. Die Regelung gilt bis zum 30. September.
Bundestag verabschiedet im Eiltempo: . In: Legal Tribune Online, 25.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41075 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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