Eigentlich wollten Anwälte des Compact-Magazins in Falkensee über das Verbot sprechen, dann nimmt die Veranstaltung eine überraschende Wende. Und die Fortführung der aktuellen Compact-Ausgabe wird angekündigt. Ein Fall fürs BMI und Staatsanwälte?
Jürgen Elsässer winkt ab. Juristisch befürchte er nichts, sagt er und steckt sich eine Zigarette an. Zurückgelehnt sitzt der ehemalige Chefredakteur am Mittwochabend auf einer Bank vor dem Musiksaal in Falkensee. In der kleinen Stadt am Rand von Berlin hat sein rechtsextremes Magazin Compact seinen Sitz. Hatte seinen Sitz. Mitte Juli hat das Bundesinnenministerium die zwei Gesellschaften verboten, die hinter Elsässers Magazin stehen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) begründete den Schritt unter anderem damit, das Magazin werde gezielt als Sprachrohr für verfassungsfeindliche Ziele verwendet. Ob dabei die Pressefreiheit ausreichend abgewogen wurde, war Gegenstand von Diskussionen. Im Zuge des Verbots gab es Durchsuchungen und Beschlagnahmen in mehreren Bundesländern, auch in Falkensee rückten die Beamten an. Elsässer sagt, sollen sie halt wiederkommen.
Denn gerade eben haben zwei Aktivisten vor der Stadthalle angekündigt, dass die geplante August-Ausgabe des Compact-Magazins doch trotz des Verbots erscheinen wird. Elsässer sagt, er sei an der Veröffentlichung nicht beteiligt, begrüße sie aber. Erscheinen wird die Ausgabe auf der Website und in einer gedruckten Ausgabe des "Demokratischen Widerstands". Angekündigt haben das die beiden Gründer der Zeitung Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp, im Impressum wird auch der Bielefelder Rechtsprofessor Martin Schwab aufgeführt. Eine Wochenzeitung, die der Verfassungsschutz als "verschwörungsideologische Veröffentlichung" einstuft und zu den wesentlichen Akteuren aus der Corona-Protestbewegung rechnet. Die Zeitung versuche, mit verfassungsfeindlichen Inhalten gezielt Menschen zu radikalisieren, so der Verfassungsschutz.
Die Zeitung bewirbt die in Falkensee angekündigte Ausgabe auf der Website mit: "Näncy - Verboten gut! Lesen Sie hier, was Sie nicht lesen dürfen." Man betrete damit "gefährliches Neuland". Ist das nur ein PR-Stunt oder drohen wirklich Konsequenzen?
Muss "Demokratischer Widerstand" selbst mit einem Verbot rechnen?
Das Vereinsgesetz untersagt, Organisationen zu bilden, die verfassungswidrige Bestrebungen eines verbotenen Vereins an dessen Stelle weiterverfolgen, die also eine Ersatzorganisationen zu einem verbotenen Verein bilden (§ 8 Vereinsgesetz, VereinsG). Eine solche könnte wiederum verboten werden. Das Bundesinnenministerium (BMI) müsste aber begründen, dass es sich auch tatsächlich um eine Ersatzorganisation handelt. Hier besteht ja die besondere Konstellation, dass die Zeitung und der Online-Auftritt von "Demokratischer Widerstand" bereits seit 2020 existieren, mit einer eigenen Ausrichtung. Dass der Verlag nun zunächst wohl einmalig Compact-Beiträge veröffentlicht, dürfte nicht ausreichen. Die Regelung im Vereinsgesetz spricht von "fortführen" und setzt damit zudem eine gewisse Regelmäßigkeit voraus. Anders wäre es wohl nur, wenn der Verlag, der hinter dem "Demokratischen Widerstand" steht, die Redaktionsmitglieder von Compact übernehmen würde.
Allerdings könnte der Verlag damit auch den Anlass für ein eigenständiges Verbotsverfahren geschaffen haben (§ 3 VereinsG), was gegenüber dem Verbot einer Ersatzorganisation aber voraussetzungsreicher wäre.
Aus dem BMI heißt es, dass der Vorgang beobachtet werde. Rechtlich sei vor allem zu prüfen, ob eine strafbare Fortführung vorliege. Dafür sei aber die Staatsanwaltschaft zuständig. Die Pressestelle der Staatsanwaltschaft Potsdam war am Donnerstagnachmittag nicht mehr erreichbar.
§ 20 Abs. 1 VereinsG enthält diese Strafvorschrift. Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe wird demnach bestraft, wer – unjuristisch gesprochen – die verbotene Vereinigung als Organisation am Leben hält und ihre Tätigkeit fortsetzt.
Im "Compact"-Eilverfahren läuft Frist für BMI ab
Am Mittwoch geht es auch um das Verbotsverfahren gegen Compact. Auch die Anwälte kommen zu Wort. Rechtsanwalt Gerhard Vierfuß, Sprecher des mittlerweile mehr als zehnköpfigen Anwaltsteams, das Elsässer zusammengestellt hat, hat Neuigkeiten. Bereits am 25. Juli hatte Compact Klage und Eilantrag beim Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) eingereicht, LTO berichtete. Mit der Klage in der Hauptsache soll das Vereinsverbot aufgehoben werden. Um in der Zwischenzeit einen Vollzug des Verbots zu verhindern, ist ein Eilantrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eingereicht worden.
Ziel sei, dass Compact die Arbeit fortsetzen und wieder erscheinen könne, sagt Vierfuß am Mittwochabend in Falkensee. Das zuständige BVerwG habe dem BMI eine Stellungnahmefrist bis Montag gesetzt, insgesamt also zehn Tage. Die Compact-Anwälte interpretieren das so, dass das BVerwG beabsichtigt, im Eilverfahren zügig zu entscheiden. Vielleicht sogar noch im August?
Die Zeit laufe. Denn für das Magazin gehe es um das Überleben. Mit jedem Tag, an dem die Redaktion nicht arbeiten könne, verliere sie wirtschaftlich und journalistisch, so Vierfuß. Laut dem Berliner Rechtsanwalt Tobias Gall hat dieser mittlerweile auch gegen vier Durchsuchungen bei Compact-Mitarbeitern Beschwerde gegen die Entscheidungen der zuständigen Verwaltungsgerichte bei den Oberverwaltungsgerichten bzw. VGH in Hessen, Brandenburg und Sachsen eingereicht.
Hin und her im Musiksaal Falkensee
Dem Ganzen vorausgegangen war noch ein Schlagabtausch in der Gemeinde Falkensee. Der Ortsverband der AfD hatte den Saal der Stadt mit dem Zweck gemietet, eine Pressekonferenz abzuhalten. Zwischenzeitlich hatte die Partei dann jedoch von einer Bürgerversammlung und Auftritten der Elsässer-Anwälte gesprochen. Die Stadt hatte daraufhin eine mögliche Veranstaltung des verbotenen Magazins Compact untersagt. Wie der Dezernent der Stadt, Harald Sempf, der Nachrichtenagentur dpa mitteilte, habe er die AfD zur "vertragsgemäßen Nutzung" aufgefordert. Sempf war am Mittwochabend selbst bei der Veranstaltung im Saal.
Auf dem Vorplatz waren mehrere Polizeifahrzeuge vorgefahren, der Saal selbst bis auf den letzten Platz gefüllt, indem die beiden AfD-Bundestagsabgeordneten Steffen Kotré und Götz Frömming eine Art Pressekonferenz zu dem Thema improvisierten. Sie kritisierten das Compact-Verbot. Es handele sich um einen Angriff auf die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit in Deutschland werde "gelenkt" und immer mehr eingeschränkt, sagte Kotré. Wobei bei den Themen einiges durcheinander ging, aus Bundesverfassungsgericht wurde Bundesverfassungsschutz und umgekehrt, aus Exekutive wurde Legislative. Das Publikum ist begeistert, "Mainstream-Medien" (Buh), "Islam" (Buh), "Meinungsfreiheit" (Jawohl). Ganz hinten saß auch Ex-Chefredakteur Elsässer im Publikum, er musste auf seinen Auftritt noch warten. Um die Auflagen zu umgehen, fand die eigentlich geplante Veranstaltung mit den Compact-Anwälten und der Ankündigung zur Veröffentlichung der August-Ausgabe dann vor den Räumen der Stadt statt. Angemeldet als Spontandemonstration. Als Bühne diente eine Parkbank.
Anm. d. Red. Text in der Version vom 02.08.2024, 12.25 Uhr, ergänzt und präzisiert wurde die Passage zu den eingelegten Beschwerden gegen die Durchsuchungen, es handelt sich um vier nicht um drei Beschwerden.
Treffen von Anwälten, Elsässer und AfD: . In: Legal Tribune Online, 01.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55136 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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