Wer in konfessionsgebundenen Jobs arbeitet, musste sich bisher auch privat nach den Grundsätzen des kirchlichen Arbeitsgebers richten. Scheidung oder gar neue Ehe bargen ein Kündigungsrisiko, weil sie mit den Kirchengrundsätzen unvereinbar sind. Das BAG leitet nun im Fall einer Chefarzt-Kündigung eine Zäsur ein und schließt sich damit dem EGMR an, erklärt Ulrich Hammer.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte zu entscheiden, ob einem katholischen Chefarzt an einem katholischen Krankenhaus ordentlich gekündigt werden kann, weil er sich nach Scheidung seiner ersten Ehe standesamtlich wieder verheiratet hatte (Urt. v. 08.09.2011, Az. 2 AZR 543/10). Nach Abwägung der Interessen beider Parteien gab das Erfurter Gericht der Kündigungsschutzklage statt und wies die Revision des Arbeitgebers gegen die ebenfalls stattgebenden Urteile der Vorinstanzen zurück. Damit hat das BAG seine frühere Rechtsprechung aufgegeben, nach der den Glaubensgrundsätzen von Religionsgemeinschaften in kirchlichen Einrichtungen grundsätzlich Vorrang vor Beschäftigtenrechten einzuräumen war.
In dem konkreten Fall hatte der Arbeitnehmer, nachdem sich seine erste Frau von ihm getrennt hatte, zwei Jahre mit seiner jetzigen Frau unverheiratet zusammengelebt und später auch standesamtlich geheiratet. Der katholische Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis ordentlich mit der Begründung, der angestellte Chefarzt habe mit seiner Wiederheirat gegen das Sakrament der Unauflöslichkeit der Ehe verstoßen. Der Arzt erhob sofort Kündigungsschutzklage und bekam nun in letzter Instanz vom obersten Arbeitsgericht Recht.
Beginn einer Kehrtwende durch Vorgaben des EGMR
Nach einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 1985 haben kirchliche Einrichtungen wie zum Beispiel Krankenhäuser das Recht, die Arbeitsverhältnisse ihrer Beschäftigten auf das Leitbild der "christlichen Dienstgemeinschaft" zu stützen (Urt. v. 04.06.1985, Az. 2 BvR 1703/83, 1718/83 und 856/84). Zwar hat das Karlsruher Gericht dabei eine Güterabwägung zwischen den Rechten der Beschäftigten und den Ansprüchen der Religionsgemeinschaften verlangt. Es hat letzteren aber zugestanden, die Inhalte dieser Dienstgemeinschaft nach ihrem Selbstverständnis regeln zu können.
Solange sich die Kirchen im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung bewegten, durften sie ihren Beschäftigten auch Vorschriften für ihr Privatleben machen. Die von ihm selbst verlangte Güterabwägung hat das BVerfG zugleich wieder eingeschränkt, indem es den Glaubensgrundsätzen der Kirchen grundsätzlichen Vorrang vor Beschäftigtenrechten zubilligte. Das BAG war dieser Rechtsprechung des Gerichts bislang gefolgt.
Vor diesem Hintergrund ließen mehrere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufhorchen, die im September vergangenen und im Februar dieses Jahres ergangen waren. Das Straßburger Gericht bestand darauf, dass die Güterabwägung zwischen kirchlichen Rechten und Beschäftigtenrechten umfassend und offen sein müsse. Sie hätten alle - auch sozialen – Aspekte einzubeziehen, die dabei eine Rolle spielen können.
Dies seien zum einen Faktoren auf Seiten der Beschäftigten, wie zum Beispiel ihre Stellung im Betrieb, der Grad ihrer sozialen Abhängigkeit vom kirchlichen Arbeitgeber oder eine anderweitig nicht sinnvoll verwertbare Spezialausbildung (etwa als Organist). Ebenfalls beachtet werden müssten geminderte Chancen älterer Arbeitnehmer auf einen neuen Arbeitsplatz oder ein Beschäftigungsmonopol kirchlicher Arbeitgeber in bestimmten Bereichen oder Regionen, wie etwa im Gesundheits- und Sozialwesen.
Zum anderen seien auf Seiten der Kirchen und ihrer Einrichtungen insbesondere Loyalitätspflichten für die Glaubenslehre der Kirchen tangiert, die den Beschäftigten aufgrund des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts auferlegt sind. Diese seien zwar mit den Grundprinzipien der weltlichen Rechtsordnung vereinbar. Doch müsse die Kirche auch ihre Glaubwürdigkeit und ihre Glaubenslehre im Zusammenhang mit Loyalitätsverstößen verteidigen dürfen, sowohl intern als auch in deren Außenwirkung.
Das BAG hat die Ansage aus Straßburg verstanden
Dieser neuen Sichtweise der Güterabwägung zwischen kirchlichen und Beschäftigtenrechten durch den EGMR hat sich das BAG mit seiner Entscheidung vom 8. September 2011 nun angeschlossen. Zwar habe der Kläger durch seine Wiederheirat gegen Grundsätze der katholischen Glaubenslehre verstoßen. Zu Gunsten des Klägers haben die Bundesrichter jedoch unter anderem in die Waagschale geworfen, dass die katholische Kirche "sowohl in ihrer Grundordnung für Arbeitsverhältnisse kirchlicher Beschäftigter als auch in ihrer Praxis auf ein durchgehend und ausnahmslos der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verpflichtetes Lebenszeugnis ihrer leitenden Mitarbeiter verzichtet" habe.
Darüber hinaus ließ sich das Gericht von der Tatsache leiten, dass das Krankenhaus auch nichtkatholische und wiederverheiratete Ärzte beschäftigt. Von Gewicht für die Entscheidung war ebenfalls, dass der Arbeitgeber das Leben des Klägers in einer nach dem Arbeitsvertrag an sich untersagten nichtehelichen Lebensgemeinschaft zwei Jahre hingenommen habe, der Kläger nach wie vor zu den Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre stehe und an Ihren Anforderungen "nur aus einem dem innersten Bezirk seines Privatlebens zuzurechnenden Umstand scheiterte".
Schließlich sei, so das Gericht, in dieser Situation "auch der ebenfalls grundrechtlich geschützte Wunsch des Klägers und seiner jetzigen Ehefrau zu achten, in einer nach den Maßstäben des bürgerlichen Rechts geordneten Ehe zusammenleben zu dürfen". Insbesondere dieser letzte Punkt dürfte viele Eheleute interessieren: Er spannt den Bogen zur Familienrechtsreform, indem er der zweiten Ehe besonderen Schutz zuspricht.
Gegen die Entscheidung kann das beklagte katholische Krankenhaus noch Verfassungsbeschwerde einlegen. Tut es das, muss sich zeigen, ob das dann entscheidende BVerfG weiter auf einer "geschlossenen" Güterabwägung besteht, also einer Abwägung zugunsten kirchlicher Arbeitgeber und zulasten kirchlicher Beschäftigter - oder ob sich Karlsruhe im Endeffekt ebenfalls dem EGMR anschließt.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Ulrich Hammer ist Senior der Anwaltskanzlei Hammer Rechtsanwälte in Hildesheim und auf das kirchliche Arbeitsrecht spezialisiert. Er ist Autor mehrerer einschlägiger Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen.
Mehr auf LTO.de:
Kündigung wegen Ehebruchs: EGMR verpflichtet Kirchen zu Milde im Einzelfall
EGMR kassiert Kündigung: Mitarbeiter dürfen Arbeitgeber anzeigen und öffentlich kritisieren
Kündigung eines Moslems: Der Wein und die große Sünde
Chefarzt-Kündigung im katholischen Krankenhaus: . In: Legal Tribune Online, 09.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4252 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag