Verstößt die geplante Cannabis-Freigabe gegen internationales Recht? Ausarbeitungen des Bundestags dokumentieren nun mögliche Kollisionen des Ampel-Projektes mit Europa- und Völkerrecht. Die Union sieht sich in ihrer Ablehnung bestätigt.
Die Ampel hat sich beim Thema Cannabis-Legalisierung weit aus dem Fenster gelehnt. Noch in diesem Hebst will sie Eckpunkte präsentieren, die darüber Aufschluss geben sollen, wie sie künftig Erwachsenen in Deutschland ermöglichen will, Cannabis-Produkte zu Genusszwecken legal zu erwerben.
Dabei sind jedoch etliche Fragen noch ungeklärt: Soll die Abgabe nur in lizensierten Geschäften, z.B. Apotheken, staatfinden oder auch online? Wird es eine THC-Obergrenze geben, sodass stärkeres "Gras" weiterhin nur beim Dealer auf dem Schwarzmarkt erhältlich ist? Und woher soll der berauschende Hanf eigentlich kommen? Aus Übersee oder aus eigenem Anbau in Hochsicherheits-Gewächshäusern?
Über all diese Fragen berät derzeit eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe der Ampel auf Staatssekretärs-Ebene. Ihren Beratungen dürfte eine fundamentale Frage voranstehen: Ist die geplante Cannabis-Freigabe überhaupt mit internationalem Recht vereinbar? Vor allem die Kollision mit EU-Recht sehen Juristen kritisch. Einige befürchten: Landet das deutsche Legalisierungsgesetz vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), könnte es dort ähnlich scheitern wie seinerzeit die PKW-Maut.
"Lauterbach muss rechtlich korrekte gesamteuropäische Lösung finden"
Dass das Legalisierungsvorhaben nicht mit internationalem Recht kompatibel ist, darauf setzt nun verstärkt die Union, die traditionell gegen eine Liberalisierung beim Cannabis ist. CSU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger hat hierzu drei Ausarbeitungen des Bundestages eingeholt, die aus seiner Sicht belegen sollen, dass die Legalisierung, wie sie der Ampel vorschwebt, (europa)rechtlich nicht durchsetzbar ist.
Die Gutachten der Bundestagsjuristen liegen LTO vor. MdB Pilsinger zieht aus ihnen den Schluss: "Die Cannabislegalisierung zu Genusszwecken - so wie es die Ampelregierung im Koalitionsvertrag festgehalten hat - ist gescheitert, bevor sie überhaupt begonnen hat." Wenn Karl Lauterbach eine "so oder so gesundheitsgefährdende" Cannabislegalisierung durchziehen möchte, dann müsse er dafür wenigstens eine rechtlich korrekte gesamteuropäische Lösung in Brüssel finden.
Ob die machbar ist, bezweifelt Pilsinger. Der Bundestagsabgeordnete hat die Bundestagsjuristen um drei Stellungnahmen im Zusammenhang mit der Cannabis-Legalisierung ersucht: Eine zur Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht (WD 2 - 3000 - 057/22) , eine weitere zu den "Vorgaben des Europäischen Unionsrechts im Hinblick auf eine mitgliedstaatliche Legalisierung von Cannabis" (PE 6 - 3000 - 043/22) sowie eine Ausarbeitung zum "Umgang mit Cannabis in den Niederlanden" (WD 9 - 3000 - 1022/22).
In allen drei Gutachten enthalten sich die Bundestagjuristen allerdings jeglicher Einschätzung, ob es der Ampel gelingen kann, im Gesetzgebungsverfahren die Vereinbarkeit mit internationalem Recht herzustellen. Dokumentiert wird lediglich, welche rechtliche Hürden die Ampel ggf. zu überwinden hätte.
Vereinbarkeit mit EU-Recht?
Am meisten Kopfschmerzen dürfte der Koalition wohl das Europarecht bereiten. Hier verweisen die Bundestagsjuristen auf unionsrechtliche Vorgaben, die aus den europäischen Unionsverträgen sowie dem unionsrechtlichen Sekundärrecht resultieren. So trifft gemäß EU-Rahmenbeschluss 2004/757/JI jeden Mitgliedstaat grundsätzlich die Pflicht, u.a. das Herstellen, Verkaufen und Liefern "gleichviel zu welchen Bedingungen" von Suchtstoffen wie Cannabis unter Strafe zu stellen. Grundsätzlich - denn die Bundestagsjuristen verweisen auch auf einen entscheidenden Passus im Rahmenbeschluss: Die Pflicht gelte nur, wenn die erwähnten Handlungen "ohne entsprechende Berechtigung vorgenommen wurden".
Weitere, zu beachtende unionsrechtliche Regelungen im Hinblick auf die Behandlung von Cannabis ergäben sich aus dem Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands ("Schengen-Protokoll"). Das hierauf beruhende "Durchführungsübereinkommen" verpflichte die Staaten, "alle notwendigen Maßnahmen in Bezug auf die (…) Abgabe von (…) Cannabis und den Besitz dieser Stoffe zum Zwecke der Abgabe oder Ausfuhr unter Berücksichtigung der bestehenden Übereinkommen der Vereinten Nationen zu treffen, die zur Unterbindung des unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln erforderlich sind".
Gemäß Art. 71 Abs. 2 des Durchführungsübereinkommens seien die Vertragsparteien verpflichtet, "die unerlaubte Ausfuhr von Betäubungsmitteln aller Art einschließlich Cannabis-Produkten sowie den Verkauf, die Verschaffung und die Abgabe dieser Mittel mit verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Mitteln zu unterbinden." Schließlich ist Deutschland auch gehalten, mit geeigneten Maßnahmen den Drogentourismus zu bekämpfen. Das ergebe sich aus einer Entschließung des EU-Rates aus dem Jahr 1996. Sollte Deutschland demnächst eine legale Abgabemöglichkeit von Cannabis schaffen, müssten wohl Vorkehrungen getroffen werden, die eine massenhafte Einreise von Cannabis-Konsument:innen – vor allem aus den Nachbarstaaten – verhindern.
Niederlande kein Vorbild
Apropos Nachbarstaaten. Die im Vergleich zu Deutschland zumindest für Konsument:innen liberalere Situation in den Niederlanden mit ihren Coffee-Shops taugt nach Darstellung der Bundestagsjuristen offenbar nicht als Vorbild. Schließlich sei dort der Verkauf von Cannabis "formalrechtlich illegal", werde aber im Rahmen einer Toleranzgrenze (bis zu fünf Gramm Cannabis und maximal fünf Cannabispflanzen) nicht strafrechtlich verfolgt. In sämtlichen Fällen, in denen ein Konsument mit Drogen aufgegriffen werde, würde dieses von der Polizei konfisziert. Zudem dürften seit Mai 2012 die Inhaber zugelassener Coffeeshops Cannabis ausschließlich an erwachsene Einwohner der Niederlande abgeben.
Unterdessen dürften der Ampel das Völkerrecht wohl am wenigsten Sorgen bereiten. In ihrer Ausarbeitung zu den völkerrechtlichen Vorgaben verweist der wissenschaftliche Dienst des Bundestages zwar auf drei einschlägige Konventionen: Das sog. Einheits-Übereinkommen über Suchtstoffe von 1961 (Single Convention on Narcotic Drugs), das Übereinkommen über psychotrope Stoffe von 1971 (Convention on Psychotropic Substances) sowie das VN-Übereinkommen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen von 1988 (UN Convention against Illicit Traffic in Narcotic Drugs and Psychotropic Substances). Diese seien jedoch "Ausdruck einer heute vielerorts – vgl. etwa die Situation in Kanada, Bolivien, Uruguay, Portugal oder den Niederlanden – als nicht mehr zeitgemäß empfundenen Drogenpolitik".
BMG verspricht Rechtssicherheit
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages verweist zudem auf die Meinung von Völkerstrafrechtlern, wie etwa des Göttinger Hochschullehrers Prof. Kai Ambos, der durchaus die realistische Möglichkeit für eine rechtliche "Harmonisierung" der Cannabis-Legalisierung mit den VN-Übereinkommen sieht. Aus den Übereinkommen von 1961 und 1988 ließe sich z.B. zunächst austreten, um dann unter Anbringung eines Vorbehalts beim Thema Cannabis wieder einzutreten.
Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums reagierte am Montag gelassen auf die Einschätzungen des Wissenschaftlichen Dienstes: "Wir prüfen die Analyse des Wissenschaftlichen Dienstes und beziehen sie selbstverständlich in unsere Überlegung mit ein. Die neuen Cannabis-Regeln müssen natürlich rechtssicher sein. Für die Legalisierung suchen wir derzeit eine Lösung, die auch mit internationalem Recht vereinbar ist."
Vereinbarkeit der Cannabis-Freigabe mit internationalem Recht: . In: Legal Tribune Online, 12.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49596 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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