Was macht ein "Inlandsgeheimdienst" im Ausland und vor allem darf der das? Das wollte ein FDP-Abgeordneter von der Regierung wissen. Nun klagt er beim BVerfG. Was das BfV etwa in Italien oder Malta macht, das hat die Regierung offengelegt.
Ein Abgeordneter will es wissen: Der Jurist und FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle fährt am Dienstag nach Karlsruhe, weil er endlich eine Antwort auf seine Frage Nr. 32 haben will. Die hat er 2020 als Abgeordneter des Bundestags – damals noch in der Opposition – schriftlich an die Bundesregierung gestellt und bis heute keine Antwort bekommen. Deshalb klagt er vor dem BVerfG (Az. 2 BvE 8/21). Er will wissen, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) seit 2015 ins Ausland entsandt worden sind.
Kuhle interessiert das, weil das BfV vor allem als Inlandsnachrichtendienst angelegt ist und im Ausland eigentlich der Bundesnachrichtendienst (BND) Aufklärung betreibt. Der Politiker sieht hier Potenzial für Zuständigkeitskonflikte. Wenn mehrere Sicherheitsbehörden mit ihren eigenen Logiken, Protokollen und Herangehensweisen am selben Fall arbeiten, hätte das in der Vergangenheit etwa bei NSU oder beim Anschlag von Anis Amri für Unsicherheit gesorgt, meint Kuhle.
Das Bundesinnenministerium bezeichnet das ihm zugeordnete BfV auf seiner Homepage als "Inlandsnachrichtendienst". Im Gesetz für den Dienst ist das dagegen ziemlich offen angelegt. In § 5 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) ist sogar ausdrücklich von "auswärtige[n] Belange[n] der Bundesrepublik" die Rede. Die Aufklärung zu äußerer und innerer Sicherheit lassen sich nicht scharf trennen. Wenn eine Gruppe deutscher Islamisten oder Neonazis zu einem Treffen ins Nachbarland fahren, dann muss die Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht abrupt an der deutschen Außengrenze enden. Dschihadistische Bedrohungen aus dem Ausland gegen das Inland sind für den Verfassungsschutz in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus gerückt. Zugleich auch eine Bedrohung, die den BND interessierte. Und auch mit Blick auf die Befugnisse der Dienste zeigt sich keine strenge territoriale Begrenzung. Das BfV darf zum Beispiel Fluggastdaten internationaler Flüge abfragen, der BND darf sich an deutschen Internetknotenpunkten Daten zur internationalen Kommunikation ausleiten lassen.
Muss sich jeder Abgeordnete über die Arbeit der Geheimdienste informieren dürfen?
Der Abgeordnete Kuhle sieht sich durch die ihm seit 2020 verweigerte Antwort in seinem Frage- und Informationsrecht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Insbesondere auch weil die Regierung dafür lediglich eine formelhafte, aber keine konkrete Begründung gegeben habe. Die Bundesregierung stellt sich auf den Standpunkt, sie habe die Auskunft verweigern dürfen. Auch habe sie die Antwort nicht über die Geheimschutzstelle des Bundestags zugänglich machen müssen und auch das alles ausreichend begründet.
Müsse man dagegen Auskunft geben, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BfV ins Ausland entsandt worden sind, ließe das in besonderer Weise Rückschlüsse auf die jeweiligen Fähigkeiten und Schwerpunkte des Nachrichtendienstes zu, begründete die Regierung die Verweigerung der Antwort. Später ergänzte sie, die Frage allenfalls im Parlamentarischen Kontrollgremium beantworten zu wollen, ein kleines Bundestagsgremium, das die Arbeit der deutschen Geheimdienste kontrolliert. Kuhle ist dort kein Mitglied, andere aus seiner Fraktion schon. Aber erzählen dürften die ihm ohnehin nichts, die Sitzungen des Gremiums sind geheim. Ist der "einfache" Abgeordnete bei Informationen zur Geheimdienstarbeit also in einer Kontrolllücke gefangen?
Auch darüber muss der Zweite Senat des BVerfG nun entscheiden. Angestrengt hat Kuhle ein Organstreitverfahren, die mündliche Verhandlung im Saal in Karlsruhe ist bei dieser Verfahrensart obligatorisch. Am Dienstag verhandelten die Richterinnen und Richter dazu, die Berichterstattung zu dem Verfahren fällt laut Verteilungsplan in die Zuständigkeit des Verfassungsrichters Peter Müller.
Bereits 2017 hatte der gleiche Senat einen ähnlichen Fall zu entscheiden und stellte damals fest: Die Regierung muss nicht alle Fragen der Opposition zum Einsatz von V-Leuten des Verfassungsschutzes und der Aufklärung des Oktoberfestattentat von 1980 beantworten. Doch wenn sie etwas geheim halten will, muss sie es zumindest ordentlich begründen, so das BVerfG.
Gefahr, dass fremde Nachrichtendienste Rückschlüsse ziehen?
Die Fragen des FDP-Politikers 2022 betreffen eine vermutlich andauernde Arbeitsweise des Dienstes, während es bei dem Verfahren 2017 um ein Jahrzehnte zurückliegendes ganz konkretes Ereignis ging – für die laufende Arbeit des Geheimdienstes also eher kein Risiko.
Für Kuhle dürften aus der BVerfG-Entscheidung von 2017 vor allem die Passagen des Gerichts zum Fragerecht des einzelnen Abgeordneten neben dem Parlamentarischen Kontrollgremium interessant sein: "Jedoch ist das Gremium ein zusätzliches Instrument parlamentarischer Kontrolle, das parlamentarische Informationsrechte nicht verdrängt", heißt es dort. Das BVerfG müsste aber schon einen großen Schritt machen, um das parlamentarische Fragerecht in Kuhles Fall zu Geheimdienstsachverhalten derart auszuweiten.
Vor dem BVerfG verteidigte die Bundesregierung am Dienstag ihre Praxis, aus Geheimhaltungsgründen einzelne parlamentarische Anfragen nicht zu beantworten. Dabei verwies sie insbesondere auf die Gefahr, dass fremde Nachrichtendienste und Staaten aus den von Kuhle begehrten Antworten Rückschlüsse ziehen könnten. Dabei sei nicht der isolierte Gehalt einer einzelnen Information maßgeblich, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Mahmut Özdemir (SPD) vor Gericht. Es komme auf das Potenzial als Mosaikstück an - also darauf, ob fremde Dienste sich aus vielen kleinen Informationen ein Bild zusammensetzen können.
Eine handvoll Agenten befragen Asylsuchende in Italien und auf Malta
Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Verfassungsschutz - wie etwa auch das Bundeskriminalamt - an einigen wichtigen Auslandsvertretungen Verbindungsbeamte hat. Sie halten den Kontakt zu Partnerdiensten in den Gastländern. Dass der Geheimdienst darüber hinaus auch im Ausland operativ arbeitet, das hat die Bundesregierung bereits in ihren Antworten auf mehrere parlamentarische Anfragen bestätigt. Ein Einsatzgebiet: Sicherheitsbefragungen von Asylbewerbern, die nach Deutschland kommen wollten. Die BfV-Mitarbeiter klären ab, ob jemand einer extremistischen Gruppe angehört und ein Sicherheitsrisiko darstellt. Die Informationen gehen an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
In diesem Zusammenhang hat die Regierung sogar Zahlen geliefert. In 2019 waren demnach in Italien vier Mitarbeiter und auf Malta drei Mitarbeiter eingesetzt. Sie haben dort Interviews mit Asylsuchenden gemeinsam mit Mitarbeitern des Bundeskriminalamtes durchgeführt. Bis April 2019 haben laut Regierungsantwort 324 Überprüfungen stattgefunden, in zehn Fällen seien Sicherheitsbedenken mitgeteilt worden. Aus einer weiteren Antwort geht hervor, dass die Befragungen offenbar blockweise in jedem Monat durchgeführt wurden, maximal fünf BfV-Mitarbeiter würden dazu eingesetzt. Zu diesen Einsätzen hat die Bundesregierung in der Vergangenheit ziemlich transparent geantwortet.
Klage zu Auslandseinsätzen des Verfassungsschutzes in Köln anhängig
Einer dieser Einsätze wird dabei ein Fall für das Verwaltungsgericht Köln. Dort ist seit Ende 2020 eine Klage anhängig (13 K 6105/20), bei der es um einen Einsatz des BfV im Lager "Marsa" auf der Mittelmeerinsel Malta geht. Dort kamen neben der griechischen Insel Lesbos viele Geflüchtete an. Geklagt hat ein Nigerianer, unterstützt von der NGO Equal Rights Beyond Borders. Er will wissen, welche Daten über ihn in den Befragungen vom Verfassungsschutz erhoben wurden, und sie löschen lassen. Dabei geht es dem Kläger und der NGO auch darum zu klären, aufgrund welcher rechtlichen Grundlage der Verfassungsschutz im Ausland arbeitet.
In einer der Antworten auf eine parlamentarische Anfrage lieferte die Regierung 2019 eine auf den ersten Blick undurchsichtige Normkette. Im Kern stützt sie sich auf zwei EU-Verordnungen, die regeln, welcher Staat für Ausnahmegesuche und ihre Überprüfung zuständig ist. Bis zur Klärung dieser Fragen wird es aber wohl noch etwas dauern. Zuständig ist genau der Senat am VG Köln, der gerade das Großverfahren zur Beobachtung der AfD zu entscheiden hat und hatte.
Im Karlsruher Verfahren vor dem BVerfG wird ebenfalls erst in einigen Monaten eine Entscheidung erwartet.
BVerfG verhandelt zu Verfassungsschutz: . In: Legal Tribune Online, 22.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47910 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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