Die 50+1Regel im deutschen Profifußball verhindert, dass Investoren in den Klubs die Stimmenmehrheit erlangen. Warum diese Wettbewerbsbeschränkung kartellrechtlich in Ordnung, Ausnahmen davon aber problematisch sind, erläutert Andreas Mundt.
LTO: Herr Mundt, die 50+1 Regel stellt eine Wettbewerbsbeschränkung dar, sie beschränkt die Handlungsfreiheit von Vereinen und Investoren. In einer vorläufigen Einschätzung hat Ihre Behörde dieser Beschränkung kartellrechtlich "grünes Licht" gegeben. Warum?
Andreas Mundt: Zunächst gelten auch für den Profisport aus guten Gründen die Regeln des Kartellrechts. Die wirtschaftlichen Aktivitäten von Verbänden und Vereinen unterliegen deutschem und europäischem Wettbewerbsrecht. Die Begrenzung der Ligateilnahme auf vereinsgeprägte Klubs ist in der Tat unzweifelhaft eine Wettbewerbsbeschränkung, indem sie bestimmte Bedingungen für die Teilnahme an der Bundesliga und der 2. Bundesliga aufstellt.
Beschränkungen des Wettbewerbs können aber in bestimmten Fällen auch vom Kartellverbot ausgenommen sein. Mit der 50+1-Regel will die Deutsche Fußball Liga (DFL) für eine Vereinsprägung und eine gewisse Ausgeglichenheit des sportlichen Wettbewerbs sorgen. Diese sportpolitischen Ziele können auch im Rahmen des Kartellrechts anerkannt werden. Das Kartellrecht steht Anforderungen von Sportverbänden an die Teilnehmer eines Wettbewerbes nicht entgegen, wenn diese zur Verfolgung bestimmter wettkampfbezogener, aber auch ethisch-sozialer Ziele dienen.
"Die DFL ist jetzt am Zug"
Apropos fairer Wettbewerb: Würden nicht gerade finanzschwache Vereine von einem Wegfall der 50+1-Regelung profitieren, weil sie dadurch für Investoren attraktiver würden?
Es ist nicht an uns, diese Frage zu bewerten. Diese Debatte müssen DFL, die Vereine und Investoren führen. Wir haben eine vorläufige Einschätzung zu der Ist-Situation abgegeben. Jetzt ist die DLF am Zug.
Fußballfans kämpfen schon lange für den Erhalt der 50+1-Regel und haben sich über Ihre fachliche Bewertung gefreut. Würde der Einstieg eines Mehrheitsinvestors zwangsläufig die Identifikation der Fans mit dem Verein gefährden?
Auch hier gilt, dass diese Einschätzung zuvorderst die DFL und die Vereine treffen müssen. Das Ziel, mit der 50+1-Regel eine "Vereinsprägung" aufrechtzuhalten, führt die DFL selbst ins Felde. Wir teilen diese Ansicht insofern, dass die Grundregel geeignet und angemessen ist, um dieses Ziel zu erreichen.
"Vereinsgeprägte und Investoren-finanzierte Klubs nebeneinander"
Keine Regel ohne Ausnahme, so auch bei 50+1: Nach der sogenannten Förderausnahme darf ein Investor, der einen Verein mehr als 20 Jahre in "erheblichem" Umfang unterstützt hat, diesen auch kontrollieren. Von dieser Ausnahme profitieren aktuell der VfL Wolfsburg, Bayer 04 Leverkusen und die TSG Hoffenheim. Sie sehen das kritisch. Warum?
Bezieht man die Förderausnahme in ihrer derzeitigen Fassung in die Betrachtung mit ein, so stellt sich die Wettbewerbsbeschränkung als unverhältnismäßig dar. Es bestehen dann Zweifel, ob die mit der 50+1-Grundregel verfolgten Ziele so erreicht werden können.
Durch die Förderausnahme wird in den betroffenen Klubs der beherrschende Einfluss des Muttervereins ausgeschaltet und damit das sportliche Geschehen insoweit von der Vereinsprägung abgekoppelt. Es besteht die Gefahr, dass prägende Charakteristika wie Mitgliederpartizipation im Verein und Transparenz gegenüber den Mitgliedern hierbei verloren gehen.
Vereinsgeprägter Fußball und Ausgeglichenheit des Wettbewerbs, wie es sich die DFL mit der Regelung zum Ziel gesetzt hat, sind so nicht mehr einheitlich gegenüber sämtlichen Klubs gesichert. Dies hat auch einen Wettbewerbsnachteil für die von der Ausnahme nicht profitierenden Klubs zur Folge: Vereinsgeprägte und Investoren-finanzierte Klubs treten nebeneinander an. Hierdurch entstehen Zweifel an der Eignung der Gesamtregelung zur Organisation eines sportlich fairen, vereinsgeprägten Wettbewerbs. Wenn einigen Klubs größere Möglichkeiten zur Einwerbung von Eigenkapital zur Verfügung stehen als anderen, dürfte dies nicht zur Ausgeglichenheit des sportlichen Wettbewerbs beitragen, sondern ihn eher verzerren.
"Vereinsprägung" bei RB Leipzig?
Was könnte auf die Vereine Hoffenheim, VfL Wolfsburg und Bayer 04 Leverkusen zukommen, wenn Ihre Behörde auch am Ende des Prüfverfahrens diese Kritik aufrechterhält?
Ich muss noch einmal klarstellen, in was für einem Verfahren wir uns hier befinden: Die DFL ist auf uns zugekommen, um eine Einschätzung zu der bestehenden Regel zu bekommen.
Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen sieht vor, dass Unternehmen unter bestimmten Umständen eine Erklärung des Bundeskartellamtes bekommen können, dass das Amt "keinen Anlass zum Tätigwerden" hat. Wir haben in unserer vorläufigen Einschätzung deutlich gemacht, dass wir eine solche Erklärung aus verschiedenen Gründen derzeit nicht abgeben können. Konsequenzen gegen einzelne Clubs stehen also von unserer Seite überhaupt nicht zur Debatte.
Jetzt warten wir erst einmal ab, wie sich die DFL und betroffene Vereine und Investoren äußern werden. Dann sehen wir weiter.
Der erst vor einigen Jahren gegründete Bundesligist RB Leipzig, ein Verein mit gerade einmal rund 20 Mitgliedern, wird vom Getränkehersteller Red Bull über einen dreiköpfigen Ehrenrat vollständig kontrolliert. Eine 50+1-Beschränkung greift bei dieser Konstellation nicht. Wenn man also mit viel Geld einen Verein "hochzüchtet", muss man auch kartellrechtlich nichts zu befürchten haben?
Ob die Vereinsprägung, so wie die DFL sie sicherstellen möchte, in allen denkbaren Konstellationen, die das Vereinsrecht offenbar zulässt, auch tatsächlich gegeben ist, sollte man meines Erachtens durchaus diskutieren. Aber auch das ist eine der Fragen, mit der sich die DFL jetzt befassen sollte.
"Keine kartellrechtliche Sonderrolle für deutschen Profifußball"
Bis zu ihrer vorläufigen Entscheidung vergangene Woche hat es fast drei Jahre gebraucht. Wird man auf die finale Entscheidung ähnlich lange warten müssen?
Wir haben viele verschiedene Akteure und Interessengruppen angehört und uns ein umfassendes Bild gemacht. In den drei Jahren ist ja auch außerhalb des Kartellamts rund um die 50+1-Regel einiges passiert, das man natürlich auch beobachtet und berücksichtigt. Nochmal: Der Ball liegt jetzt in der Hälfte der DFL. Der weitere Verlauf des Verfahrens hängt natürlich davon ab, was die DFL jetzt macht.
Die 50+1-Regel ist eine Besonderheit, die nur den deutschen Profifußball betrifft. In anderen Sportarten oder auch in anderen Ländern gibt es keine vergleichbaren Beschränkungen für Vereine und Investoren. Gebührt dem deutschen Profifußball kartellrechtlich eine Sonderrolle?
Ein klares Nein. Sowohl im Profisport als auch in sämtlichen anderen Wirtschaftsbereichen kann es Ausnahmen vom Kartellverbot geben. Zu bewerten ist dann, ob diese Einschränkungen des Wettbewerbs verhältnismäßig sind. Werden anerkennenswerte Ziele verfolgt und sind die Ausnahmen geeignet und angemessen, um diese Ziele zu erreichen? Solche Fragestellungen sind kartellrechtlicher Alltag.
Vorausgesetzt, es gäbe die 50+1-Regel nicht, so wie es bis 1999 der Fall war. Wäre sie dann kartellrechtlich geboten?
Eine Wettbewerbsbeschränkung kann nicht kartellrechtlich geboten sein, sie kann aber erlaubt sein. Es geht darum, ob diese Einschränkung als notwendige Ausnahme anerkannt werden kann - und das ist unserer vorläufigen Meinung nach der Fall.
Vielen Dank für das Gespräch.
Interview mit dem Präsidenten des Bundeskartellamtes: . In: Legal Tribune Online, 04.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45122 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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