Wegen der Schönbohm-Berichterstattung hatte Julian Reichelt kuriose Vorwürfe gegen Jan Böhmermann erhoben. Das LG Hamburg untersagte nun zentrale Aussagen in "Achtung, Reichelt!" wegen unzulässiger Verdachtsberichterstattung und Unwahrheit.
Der Bericht des "ZDF Magazin Royale" über den früheren Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Arne Schönbohm schlug hohe Wellen. Bundesinnenminister Nancy Faeser (SPD) stütze die anschließende Ablösung Schönbohms auch auf den Vertrauensverlust infolge der Sendung vom Oktober 2022 und der Debatte zu möglichen Russlandkontakten.
Gegen Böhmermann und sein Team gab es neben Zustimmung auch viel Kritik an der Sendung. Der Sendung wurde Inszenierungsfuror unterstellt. Nachdem Arne Schönbohm 10 Monate nach dem Beitrag öffentlichkeitswirksam Klage gegen das ZDF und das Bundesinnenministerium (BMI) einreichte, kochte das Thema wieder hoch. Ein gefundenes Fressen für die CDU bei der anstehenden Landtagswahl in Hessen, bei der Nancy Faeser für das Amt der Ministerpräsidentin kandidiert. Faeser habe Schönbohm wegen unbewiesener Behauptungen in der Sendung geschasst, lautet der Vorwurf gegen die Bundesinnenministerin.
In der Sendung "Achtung, Reichelt!" lehnte sich der ehemalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt Anfang September besonders weit aus dem Fenster: Unter dem Schlagwort "Die Faeser-Komplizen vom ZDF" stellte er in den Raum, dass Nancy Faeser persönlich hinter dem Bericht stecken könnte. Zudem behauptete Reichelt, der Bericht des "ZDF Magazin Royals" enthalte "keinen einzigen wahren Vorwurf" gegenüber dem Ex-BSI-Präsidenten Schönbohm.
Böhmermann: "Bösartiger Bullshit"
Vorwürfe, die Böhmermann nicht auf sich sitzen lassen wollte: Auf dem Netzwerk Mastodon wandte er sich gegen die Unterstellung, sein Team und er könnten gemeinsam an der Absetzung Schönbohms gearbeitet haben. Das sei "ziemlich bösartiger Bullshit und natürlich komplett frei erfunden".
Anschließend ging die Produktionsfirma des "ZDF-Magazin Royal" (Unterhaltungsfernsehen Ehrenfeld UE GmbH) mit VON HAVE FEY Rechtsanwälten in Person von Rechtsanwalt Dr. Sebastian Gorski in die Offensive. Sie beantragte vor dem Landgericht (LG) Hamburg Unterlassungsverfügungen gegen die Sendungsmacher von "Achtung Reichelt!" (Rome Medien GmbH), außerdem gegenüber dem Portal "Nius – Die Stimme der Mehrheit" (verantwortet von der VIUS SE & Co. KGaA), wo ein gleichgelagerter Beitrag erschien. Die beiden Antragsgegnerinnen wurden von Rechtsanwälte Steinhöfel vertreten.
Das Vorgehen hatte Erfolg. Mit dem LTO vorliegenden Beschluss (v. 04.10.2023, Az. 324 O 395/23) verbot das LG die Verbreitung des Verdachts, dass Nancy Faeser und/oder ihre engsten Mitarbeiter die Ausstrahlung der Schönbohm-Folge veranlasst hätten. Auch die Behauptung von Reichelt, keiner der Vorwürfe gegenüber Schönbohm würde stimmen, wurde untersagt. "Nius" wurde zudem die Aufstellung des Verdachts verboten, es sei zu brisantem Informationsaustausch zwischen Redaktion und BMI gekommen und BMI-Staatssekretäre könnten an der Sendung mitgewirkt haben.
Es fehlt schon an Möglichkeit zur Stellungnahme
Zur Begründung führt das LG aus, dass in den Beiträgen in unterschiedlicher Ausprägung der Verdacht transportiert werde, das BMI habe auf den Inhalt zu Lasten von Arne Schönbohm Einfluss genommen. Diese Verdachtsberichterstattung sei rechtswidrig. Allgemein gilt, dass eine zulässige Verdachtsberichterstattung nach ständiger Rechtsprechung unter mehreren Voraussetzungen steht: Es muss eine Stellungnahme des Betroffenen eingeholt werden, es muss ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegen, die Berichterstattung darf nicht vorverurteilend, sondern muss ausgewogen gehalten sein. Zudem muss das öffentliche Interesse an identifizierender Berichterstattung gegenüber Persönlichkeitsrechten der Betroffenen überwiegen.
Vorliegend machte das LG Hamburg in seinem Beschluss kurzen Prozess und beurteilte die Berichterstattung schon mangels eingeholter Stellungnahme als rechtswidrig: Mit dem Erfordernis der Einholung einer Stellungnahme solle sichergestellt werden, dass der Standpunkt des von der Verdachtsberichterstattung Betroffenen in Erfahrung gebracht werde und er somit selbst zu Wort kommen könne, so das LG. Dem "ZDF Magazin Royale" sei aber weder von "Nius" noch von "Achtung, Reichelt!" die Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt worden.
In der Folge seien die angegriffenen Verdachtsberichterstattungen auch als unausgewogen anzusehen und damit unzulässig. Mit der Frage, ob ein Mindestbestand von Beweistatsachen für die Thesen von Reichelt vorlag, musste sich das LG damit nicht mehr beschäftigen.
Reichelt liefert keinen Beleg für Unwahrheit der ZDF-Sendung
Weiter verbot es Reichelts Äußerung, im Bericht sei "kein einziges Wort wahr" als unwahre Tatsachenbehauptung. "Achtung Reichelt!" hätte im Prozess schon nicht vorgetragen, welche Tatsachenbehauptung in der Sendung überhaupt falsch gewesen sein sollte. Zu dem Ergebnis, dass in der Sendung keine falschen Tatsachenbehauptungen enthalten sind, war auch eine LTO-Analyse gekommen.
Weiter verbot das LG die "unstreitig unwahre" Behauptung, eine Rapperin, die in Verbindung mit dem Büroleiter von Nancy Faeser stand, sei Teil des Teams des "ZDF Magazin Royal" gewesen. Nichts zu beanstanden hatte das LG an der Behauptung, es sei "erstaunlich, wie viele Verbindungen es zwischen engsten Faeser-Vertrauten und Jan Böhmermann gab". Insoweit liege eine zulässige Meinungsäußerung vor. Die Behauptung sei also isoliert betrachtet nicht untersagungsfähig, jedoch Teil der unzulässigen Verdachtsberichterstattung. Im Kostenpunkt wirkte sich dieses Teilunterliegen nicht aus. "Nius" und "Achtung Reichelt!" tragen die gesamten Verfahrenskosten.
Nach Zustellung des Beschlusses muss die Entscheidung des LG sofort beachtet werden. Gegen den Beschluss können "Nius" und "Achtung, Reichelt!" Widerspruch einlegen. Dann käme es zunächst zur mündlichen Verhandlung vor dem LG. Die Chancen dürfte aber aufgrund des Umstands, dass die schon die Grundvoraussetzungen der Verdachtsberichterstattung nicht eingehalten wurde, gering sein.
Nachträgliche Einholung der Stellungnahme möglich
Möglich ist auch, dass "Nius" und "Achtung, Reichelt!" nunmehr eine Stellungnahme vom "ZDF Magazin Royale" im Nachgang einholen und ihre Berichte um diese Stellungnahme ergänzen. Da das LG keine Aussage zur Frage getroffen hat, ob im Übrigen die Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung erfüllt sind, unterfiele eine solche veränderte Berichterstattung nicht dem Verbot. Nach der Rechtsprechung des OLG Hamburg liegt bei Einfügung einer Stellungnahme ein neuer Bericht vor, der gesondert anzugreifen ist (Beschl. v. 13.01.2022, 7 W 148/21).
Hiermit dürfte sich Julian Reichelt auskennen, hatte er doch wegen der Spiegel-Berichterstattung "Vögeln, Fördern, Feuern" selbst zunächst erfolgreich eine Unterlassungsverfügung gegen den Spiegel erwirkt, da er angeblich die an den Springer-Konzern gerichtete Bitte um Stellungnahme nicht erhalten hatte. Nach Ergänzung er Stellungnahme durch den Spiegel scheiterte Reichelt dann mit einem Antrag gegen die ergänzte Berichterstattung.
Sollte 'NIUS" und Reichelt diesen Weg der Einholung einer Stellungnahme und entsprechenden Ergänzung gehen, wäre es aber durchaus wahrscheinlich, dass das "ZDF Magazin Royale" abermals gerichtlich gegen die Berichte vorgehen würde. Denn die Produktionsfirma des "ZDF Magazin Royal" geht mit ihrem Anwalt Dr. Sebastian Gorski davon aus, dass für die Unterstellungen von Reichelt und Co. einer Quasi-Zusammenarbeit zwischen dem Innenministerium und dem "ZDF Magazin Royale" nicht einmal ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt.
So oder so bleiben jedenfalls die vom LG isoliert verbotenen Behauptungen verboten, also etwa die Aussage, in der Böhmermann-Sendung gäbe es "keinen einzigen wahren Vorwurf" gegen Arne Schönbohm.
LG Hamburg untersagt Vorwürfe gegenüber "ZDF Magazin Royale": . In: Legal Tribune Online, 05.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52856 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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