Eine ruhige Wohnlage und trotzdem das pulsierende Leben einer Großstadt zu Füßen. Davon träumen Mieter in der Innenstadt. Die Realität ist anders. Zentral gelegene Wohnungen sind meist lärmbelastet. Kommen Bauarbeiten und Verkehrsumleitungen hinzu, mag keiner mehr die volle Miete zahlen. Was der BGH dazu am Mittwoch entschied, erklärt Dominik Schüller.
"Rücke vor bis zur Schlossallee" – das ist der Joker unter den Monopoly-Spielkarten. Für Mieter in der Berliner Schlossallee im Bezirk Pankow, einer ruhigen Seitenstraße, mag das eine Zeitlang ebenso gewesen sein. Bis Bagger und Dampfwalzen auf der nahe gelegenen Hauptverkehrsstraße anrückten und der Verkehr von dort kurzerhand in die einst ruhige Seitenstraße umgeleitet wurde. Fast anderthalb Jahre lang fuhren rund 20 Mal so viele Autos vorbei wie vorher. Der Lärmpegel tagsüber stieg von rund 46 auf 62 Dezibel – schon eine Steigerung um zehn Dezibel wird als Verdoppelung der Lautstärke wahrgenommen.
Lärm wie auf der Bahnhofsstraße, aber Mietpreise wie auf der Schlossallee? Das sahen die Mieter gar nicht ein und minderten die Miete während der Verkehrsumleitung um insgesamt 1.386,19 Euro, bis es der Vermieterin zu viel wurde und sie Klage einreichte. Der Bundesgerichtshof (BGH) gab ihr nun Recht. Lärm ist in der Innenstadt in gewissen Grenzen normal (Urt. v. 19.12.2012, Az. VIII ZR 152/12).
Wunsch nach ruhiger Wohnlage muss Vermieter erkennbar sein
Die Mieter argumentierten, bei Abschluss des Mietvertrags hätten sie die damalige geringe Verkehrslärmbelastung stillschweigend als Beschaffenheit der Wohnung vereinbart. Der angestiegene Lärm sei daher ein der Vermieterin zuzurechnender Mangel, was zu einer Mietminderung gemäß § 536 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) führe.
Den VIII. Zivilsenat überzeugte diese Argumentation nicht. Eine Beschaffenheitsvereinbarung liege nur dann vor, wenn der Vermieter erkannt habe oder erkennen musste, dass für seinen Vertragspartner die gegenwärtige Lärmbelastung wesentliches Kriterium für die Anmietung sei. Anderenfalls könne der Vermieter dem weder ausdrücklich, noch stillschweigend zustimmen. Der BGH verlangt überdies, dass der Vermieter auf diesen Wunsch des Mieters "in irgendeiner Form zustimmend reagiert". Im Fall Schlossallee gab es dafür aber keine Anhaltspunkte.
Weiter unklar was nur vorübergehende Lärmerhöhung ist
Da es an einer Vereinbarung fehlte, musste der Vertrag nach Treu und Glauben ausgelegt werden. Auch eine vorübergehend erheblich erhöhte Verkehrslärmbelastung sei grundsätzlich kein Mangel der Wohnung. Solange sich bei einer Stadtwohnung die Belastung in Grenzen halte, die allgemein für Innenstadtlagen üblich sind, liege kein Mangel vor, der zur Minderung berechtige. In der Schlossallee hatte der neue Lärm aber nicht einmal die Werte des Berliner Mietspiegels erreicht, die Mieter mussten den neuen Pegel bereits deshalb hinnehmen.
Ab wann eine erhebliche Verkehrslärmerhöhung nicht mehr nur "vorübergehend" ist, hat der Senat damit leider nicht entschieden. Die Vorinstanz hatte angenommen, dass eine Mietminderung jedenfalls ab dem siebten Monat um zehn Prozent gerechtfertigt sei. Sofern auch die Urteilsbegründung hierzu nichts Erhellendes erkennen lässt, besteht hinsichtlich der Dauer der zu duldenden Lärmpegelerhöhung weiter Rechtsunsicherheit.
Mieter sollten bei der großzügigen Annahme von Mietminderungen jedenfalls Vorsicht walten lassen. Schnell haben sich Mietrückstände summiert, die den Vermieter zur Kündigung berechtigen, sollte die Minderung doch unberechtigt gewesen sein (BGH, Urt. v. 11.07.2012, Az. VIII ZR 138/11).
Der Autor Dominik Schüller ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht in der Immobilienrechtskanzlei SAWAL Rechtsanwälte & Notar in Berlin.
Mit Material von dpa.
Dominik Schüller, BGH zu Minderung bei Großstadtlärm: . In: Legal Tribune Online, 19.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7831 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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