Der Fußballspieler Bakery Jatta des Hamburger SV soll möglicherweise anders heißen und älter sein als angegeben. Denkbare juristische Konsequenzen beleuchten Patrick Redell und Benjamin Keck.
Ein junger Mann, der 2015 aus seiner Heimat Gambia flüchtet. Ein Wunderkind, der nie zuvor bei einem Verein Fußball gespielt hat. Ein Straßenfußballer. Ein Instinktfußballer. So und so ähnlich lasen sich die Schlagzeilen über den Hamburger Profifußballspieler, über dessen Identität Fußballdeutschland derzeit rätselt.
Der Mann, um den es geht, ist – genauer, er nennt sich – Bakery Jatta, laut Reisepass geboren am 06. Juni 1998. Sein erstes Spiel absolvierte der in Gunjur an der Westküste Gambias geborene Spieler im September 2016 für die zweite Mannschaft des Hamburger SV (HSV).
Medienberichten zufolge erhielt Bakery Jatta am 11. November 2015 von der Ausländerbehörde Bremen nach seiner Ankunft in Deutschland den Status der Duldung als unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling. Er verfügte – wie viele Flüchtlinge seinerzeit - bei der Einreise offenbar über keine Ausweisdokumente.
Aktuell besteht der Verdacht, dass der Spieler gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde über sein Alter getäuscht haben könnte, um den besonderen Schutz für minderjährige Flüchtlinge zu erhalten. 2016 hat ihm die Republik Gambia einen Pass erteilt, dessen Echtheit zwischenzeitlich vom gambischen Konsulat überprüft und bestätigt worden sei, wie es weiter heißt.
Nürnbergs Einspruch: der Fall im Sportrecht
Zusätzliche Brisanz gewinnt der Fall dadurch, dass der 1. FC Nürnberg beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) nach Bekanntwerden der Medienberichterstattung Einspruch gegen die Wertung des Spiels vom 05. August 2019 eingelegt hat. Sportlich hatte der HSV 4:0 gewonnen – und zwar unter Beteiligung von Bakery Jatta, der in der 65. Minute beim Spielstand von 2:0 ausgewechselt wurde.
Bislang werden die HSV-Funktionäre in der öffentlichen Diskussion nicht müde zu betonen, dass man dem Spieler zur Seite stehen werde. Die Clubführung ließ sich gar mit der Aussage zitieren, man sei über den Einspruch des Konkurrenten aus Nürnberg "verwundert", und dass man den Spieler weiterhin "voll umfänglich im Trainings- und Spielbetrieb einplanen" werde.
Durfte Bakery überhaupt spielen?
Die Rechts- und Verfahrensordnung des DFB sieht unter anderem vor, dass ein Verein (wie vorliegend der 1. FC Nürnberg) mit der Begründung Einspruch gegen ein (Pflicht-)Spiel einlegen kann, dass die gegnerische Mannschaft einen Spieler eingesetzt hat, welcher nicht spielberechtigt gewesen ist.
Spielberechtigt ist ein Spieler nur dann, wenn er eine Spielerlaubnis für seinen Verein hat. Für den Einsatz in der ersten und zweiten Bundesliga muss der Spieler zudem einen Lizenzvertrag mit dem Ligaverband (DFL) abschließen. Voraussetzung für den Erhalt der Lizenz wie auch der Spielerlaubnis ist unter anderem, dass ein Spieler, welcher nicht den EU- oder EWR-Staaten angehört (wie vorliegend Jatta), nachweist, dass er über einen gültigen Aufenthaltstitel (Visum, Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis) verfügt, welcher ihn zur Ausübung der Erwerbstätigkeit als Lizenzspieler berechtigt und mindestens bis zum Endes des jeweiligen Spieljahres Gültigkeit besitzt.
An dieser Stelle wird es in der Causa Jatta spannend: Wie eingangs bereits erwähnt, erhielt Jatta in der Hochphase der Flüchtlingsbewegung als unbegleiteter, mutmaßlich minderjähriger Flüchtling (nach eigenen Angaben ist er damals 17 Jahre alt gewesen) eine Duldung, welche seine Abschiebung vorerst aussetzte. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge genießen in der EU besonderen Schutz. Nachdem die Republik Gambia daraufhin Jatta 2016 einen Pass zugesendet hatte und dessen Echtheit vom gambischen Konsulat überprüft und bestätigt worden war, bekam er anschließend die erforderliche Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Erwerbstätigkeit.
An der Echtheit der vorgelegten Papiere bestanden laut der Ausländerbehörde in Bremen zwar zunächst keine Zweifel. Dass es die Behörden in Gambia mit dem genauen Alter eines Spielers nicht besonders genau nehmen, zeigt allerdings ein Fall aus dem Jahre 2014, bei welchem bei einem U20-Spiel zwischen Gambia und Liberia auf Seiten Gambias fünf Spieler eingesetzt worden waren, welche in Wirklichkeit älter waren als erlaubt und als sich aus dem jeweiligen Pass ergab. Der Fußballverband Gambias wurde daraufhin für zwei Jahre von allen Wettbewerben ausgeschlossen.
Bei diesem besagten Spiel hatte auch ein Bakary Daffeh mitgewirkt – laut Medienberichten Jattas mutmaßliche Zweitidentität. Die Spur dieses Bakary Daffeh verlor sich anschließend just zu der Zeit, zu welcher die fußballerische Karriere von Bakery Jatta angeblich begann. Nach eigenen Angaben will Jatta in Afrika bei keinem Verein gespielt haben, obwohl das Transferregistrierungssystem des Weltverbandes FIFA ihn in der Zeit vom 01.02.2014 bis zu seiner Flucht nach Deutschland bei einem gambischen Erstligisten als Amateurspieler führte.
Sollten weitere Erkenntnisse zu der Feststellung führen, dass Bakery Jatta womöglich falsche Angaben gemacht und einen falschen Pass verwendet hat, könnte dieses Verhalten strafrechtlich relevant sein und im schlimmsten Falle den Entzug seiner Aufenthaltserlaubnis zur Folge haben. Daran anschließen würden sich der Entzug der Spielerlaubnis und der Entzug der Lizenz des Spielers. Bakery Jatta wäre dann nicht (mehr) spielberechtigt.
Vereine könnten vorsorglich Einspruch einlegen
Inwiefern sich diese Umstände auf Einsprüche gegen HSV-Spiele, an welchem der Spieler mitgewirkt hat, auswirken, ist unsicher. Denn formell besteht eine Spielerlaubnis solange wie sie nicht erlischt oder zurückgenommen wird. Zurückgenommen werden kann sie insbesondere dann, wenn eine Erteilungsvoraussetzung, hier also der gültige Aufenthaltstitel, nachträglich weggefallen ist. Ein Aufenthaltstitel als Verwaltungsakt kann, sofern er aufgrund falscher Angaben oder Urkunden erlangt wurde, zurückgenommen werden. Zwar wirkt die Rücknahme eines Verwaltungsakts grundsätzlich nur für die Zukunft.
Dies gilt allerdings nicht in den Fällen, in welchen der Betroffene nicht schutzwürdig ist. Dies wäre vorliegend dann der Fall, wenn der Spieler von etwaigen falschen Angaben und Urkunden wusste und somit die Rechtswidrigkeit seines Aufenthaltstitels kannte. Ob der HSV von solchen Umständen Kenntnis hatte oder nicht, wird in diesem Zusammenhang wohl keine Bedeutung haben: Denn ein Verein ist für Angaben, welche er zur Erlangung einer Spielerlaubnis seines Spielers gemacht hat, selbst verantwortlich.
Im Hinblick darauf, dass ein Einspruch gegen die Wertung eines (Pflicht-)Spiels innerhalb von zwei Tagen nach Ablauf des Tages des Spiels erfolgen muss, haben Vereine, welche gegen den HSV spielen und nicht gewinnen sollten, aktuell einen guten Grund, Einspruch gegen das jeweilige Spiel einzulegen, sofern der Spieler Jatta an dem Spiel mitgewirkt hat. Hätte der Einspruch später Erfolg, würde das Spiel nämlich mit einer 0:2-Niederlage zuungunsten des HSV gewertet, wenn der HSV den Spieler Jatta schuldhaft eingesetzt hätte.
Anfechtung und Kündigung: der Fall im Arbeitsrecht
Lizenzspieler sind trotz außerordentlich hoher Vergütung zunächst einmal Arbeitnehmer ihres Vereins. Als Ausnahme vom Offenkundigkeitsprinzip besteht zwischen dem Verein und Bakery Jatta selbst dann ein wirksamer Arbeitsvertrag, wenn sich der Verdacht gegen den Spieler erhärten sollte. Rechtlich liegt hier wohl keine Identitätstäuschung vor, sondern eine Namenstäuschung. Der Verein wollte genau mit dem Spieler, der am vergangenen Sonntag beim Pokalerfolg gegen den Chemnitzer FC eingesetzt wurde, einen Vertrag schließen - und mit keinem anderen Spieler. Einen anderen Fußballer namens Bakery Jatta, über dessen Identität der möglicherweise "falsche" Bakery Jatta den HSV getäuscht haben könnte, gibt es schlichtweg nicht.
Arbeitsrechtlich betrachtet hätte dem HSV ein buntes Portfolio an Sanktionen gegen den Spieler zugestanden. Dass der Verein davon keinen Gebrauch macht, hängt mit der besonderen Situation im Profifußball zusammen: Mit der außerordentlichen Auflösung von Arbeitsverhältnissen lässt sich schlichtweg kein Geld verdienen. Denn die Auflösung des Arbeitsverhältnisses führt zur Ablösefreiheit des Spielers. So ist die ordentliche Kündigung der stets befristet abgeschlossenen Spielerverträge immer ausgeschlossen.
Unberührt bliebe dagegen eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund. Als Beispiele für einen wichtigen Grund für eine Kündigung von Arbeitsverträgen mit Profifußballspielern ist in Arbeitsverträgen unter anderem regelmäßig aufgeführt: ein Verstoß gegen Anti-Doping-Vorschriften, die Teilnahme an Spielmanipulationen, ein Verstoß gegen Diskriminierungsverbote – und eben auch die Entziehung der Lizenz des Spielers nach § 3 Nr. 2 der Lizenzordnung Spieler (LOS). Nach dieser Vorschrift kann die DFL eine Lizenz entziehen, wenn die Voraussetzung für ihre Erteilung weggefallen ist oder der Spieler gegen seine Pflichten als Lizenzspieler schuldhaft verstoßen hat, was die Sache in der Causa Bakery Jatta auf den Punkt trifft.
Schadensersatz für den HSV von Jatta?
Eine solche außerordentliche Kündigung müsste binnen zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Sofern die Verantwortlichen des HSV über den Sachverhalt demnach noch nicht informiert sind, würden sie sich darauf berufen können, dass der Spieler ihnen gegenüber – wie auch in der Pressemitteilung des Vereins vom 08. August 2019 verlautet – die Korrektheit seiner Passangaben, also insbesondere die Korrektheit seines Namens und seines Alters, bestätigt hat.
Denkbar wäre darüber hinaus eine Anfechtung der auf den Abschluss des Arbeitsvertrags gerichteten Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung, wenn der Spieler über sein Alter bei Vertragsschluss falsche Angaben gemacht hat. Die Anfechtung muss binnen Jahresfrist nach Kenntnis über den Sachverhalt erfolgen.
Wesentlich bedeutender als die eigentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses aber ist: Der Verein könnte nach allgemeinen Grundsätzen Schadensersatz von dem Spieler verlangen. Denn auch wenn der Verein derzeit noch abwiegelt: Spätestens, wenn der 1. FC Nürnberg mit seinem Einspruch gegen die Spielwertung durchdringen und sich andere Vereine ein Beispiel daran nehmen sollten, dürfte die nach außen offensiv kommunizierte Solidarität des einstigen Bundesliga-Dinos mit dem Spieler auf eine harte Probe gestellt werden.
Dr. Patrick Redell, Rechtsanwalt, und Benjamin Keck, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, sind in der Kanzlei Steinrücke . Sausen und dort unter anderem beratend im Sportrecht tätig.
Sport- und Arbeitsrecht: . In: Legal Tribune Online, 13.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37027 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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