Unternehmen dürfen Kurzarbeit notfalls einseitig anordnen, sogar durch eine fristlose Änderungskündigung. So hat es zumindest das ArbG Stuttgart entschieden. Was dabei zu beachten ist, zeigen Olga Morasch und Ann-Kathrin Pongratz.
Der Rückgriff auf Kurzarbeit kann gerade in der Coronakrise für einige Betriebe (überlebens-) wichtig sein und Unternehmen vor einer Insolvenz retten. Für die Arbeitnehmer bedeutet Kurzarbeit oft das Gegenteil: Viele können ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten. Denn Kurzarbeit führt zu einem Gehaltsverzicht von bis zu 40 Prozent und nicht alle Unternehmen stocken das Kurzarbeitergeld (KUG) auf. Auch auf den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers wirkt sich die Kurzarbeit nachteilig aus: Pro Monat Kurzarbeit kann sich bei entsprechender Vereinbarung, beispielsweise in Form eines Sozialplans, der Urlaubsanspruch um ein Zwölftel verringern*, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) längst entschieden (Urt. v. 08.11.2012, Az. C-229/11 und C-230/11). Nur das Urlaubsentgelt darf nicht gekürzt werden (EuGH, Urt. v. 13.12.2018, Az. C-385/17).
Arbeitgeber können das KUG bereits dann beantragen, wenn mindestens zehn Prozent der Beschäftigten eines Betriebs bzw. einer Betriebsabteilung einen Arbeitsausfall mit Entgeltausfall von mindestens zehn Prozent haben. Diese Voraussetzung hat der Bundestag rückwirkend zum 1. März 2020 deutlich gelockert, um den Unternehmen die Einführung von Kurzarbeit in der Corona-Pandemie zu erleichtern. Diese Regelung gilt bis zum 31. Dezember 2021, wenn die Kurzarbeit bis zum 31. März 2021 eingeführt wird.
Außerdem müssen die betrieblichen und persönlichen Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere darf das Arbeitsverhältnis nicht vor Einführung von Kurzarbeit beendet worden sein. Zuletzt muss die Kurzarbeit bei der Agentur für Arbeit angezeigt werden.
Eigentlich keine Einseitigkeit
Liegen die vorgenannten Voraussetzungen vor, kann der Arbeitgeber die Kurzarbeit trotzdem nicht einfach einseitig einführen. Hierzu ist vielmehr eine Rechtsgrundlage erforderlich. Als solche kommen die Regelungen in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung oder in dem Arbeitsvertrag in Betracht.
Ist ein Arbeitgeber weder tarifgebunden noch hat er einen Betriebsrat und enthalten die Arbeitsverträge keine (wirksamen) Klauseln zur Anordnung von Kurzarbeit, bleibt diesen Arbeitgebern nur der Weg über eine einvernehmliche Vereinbarung bzw. eine Änderungskündigung. Haben die Arbeitnehmer ihre Zustimmung verweigert, waren die Arbeitgeber praktisch gezwungen, diese trotz fehlender Einsatzmöglichkeit weiterhin vertragsgemäß zu bezahlen. Denn von einer Änderungskündigung riet man in der betrieblichen Praxis häufig ab: Diese sei wegen der oft langen Kündigungsfristen und der strengen Anforderungen an den Kündigungsgrund nicht praktikabel.
So gibt es zwar die eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), dass eine Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit durchaus möglich ist (Urt. v. 27.1.1994, Az. 2 AZR 546/17). Unklar konnte das BAG in der Entscheidung
aber lassen, ob dies auch für eine fristlose Änderungskündigung gilt – und ggf. unter welchen Voraussetzungen.
Weitgehend angenommen hat die Praxis eine außerordentliche Kündigungsoption zur Anordnung von Kurzarbeit bei drohender Insolvenz des Arbeitgebers oder der Betriebsschließung. Man hat insoweit die Grundsätze des BAG zur einseitigen Entgeltabsenkung mittels Änderungskündigung entsprechend herangezogen, da sich das Gehalt auch bei Kurzarbeit mindert. Hiernach kann der Arbeitgeber eine Entgeltkürzung im Wege der Änderungskündigung nur dann einseitig durchsetzen, wenn ansonsten betrieblich nicht mehr auffangbare Verluste entstehen, die absehbar zu einer Reduzierung der Belegschaft oder sogar zu einer Schließung des Betriebs führen (Urt. v. 20.10.2017, Az. 2 AZR 783/16 (F)).
Ferner verlangt das BAG einen Sanierungsplan, der alle gegenüber der beabsichtigten Änderungskündigung milderen Mittel ausschöpft. Grund hierfür ist, dass der Arbeitgeber mit einer Änderungskündigung in das arbeitsvertraglich vereinbarte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung eingreift, weil sich nur das Gehalt des Arbeitnehmers reduziert und nicht seine geschuldete Arbeitszeit. Nach Ansicht des BAG ist eine fristlose Änderungskündigung zur Lohnkürzung daher nur in ganz extremen Ausnahmefällen zulässig.
ArbG Stuttgart schafft Erleichterung für Arbeitgeber
Nun sorgte jüngst das Arbeitsgericht (ArbG) Stuttgart für Erleichterung bei Einführung der Kurzarbeit in betriebsratslosen Unternehmen – zumindest auf Seiten der Unternehmen (Urt. v. 22.10.2020, Az. 11 Ca 2950/20). Das Gericht entschied, dass Kurzarbeit sowohl durch eine ordentliche als auch eine außerordentliche Änderungskündigung wirksam angeordnet werden kann – und zwar nicht erst unter den engen Voraussetzungen der unabwendbaren Verluste plus Sanierungsplan.
Im konkreten Fall hat die Kammer eine fristlose Änderungskündigung für rechtswirksam erklärt, weil die Einhaltung von Kündigungsfristen den Arbeitgebern bei Einführung der Kurzarbeit aufgrund drohenden Zeitablaufs nicht zumutbar ist. Das Bestehen einer konkret drohenden Insolvenz des Arbeitgebers, die nach der Rechtsprechung des BAG bei reiner Entgeltreduzierung erforderlich ist, verlangte das ArbG nicht. Dies begründete die Kammer damit, dass eine Änderungskündigung bei Kurzarbeit gerade nicht in das gegenseitige Leistungsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber eingreift, da Gehalt und Arbeitspflicht gleichermaßen reduziert werden und die Kurzarbeit im Gegensatz zur reinen Entgeltreduzierung nicht auf Dauer angelegt ist.
Erstmals Voraussetzungen definiert
Allerdings muss eine solche fristlose Änderungskündigung nach Ansicht des ArbG verhältnismäßig sein. Dies sei dann der Fall, wenn
• der Arbeitgeber eine gewisse Ankündigungsfrist einhält (im konkreten Fall erachteten die Richter eine Vorlauffrist von über drei Wochen als angemessen);
• ausdrücklich vorausgesetzt wird, dass der Arbeitgeber nur dann ein Recht zur Einführung von Kurzarbeit hat, wenn die persönlichen Voraussetzungen des KUG nach §§ 95, 96 Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) vorliegen;
• die Einführungsmöglichkeit von Kurzarbeit zeitlich begrenzt ist
• und alle anderen milderen Mittel ausgeschöpft sind (insbesondere muss der Arbeitgeber zuvor versucht haben, Kurzarbeit durch einvernehmliche Regelung mit der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer einzuführen).
Diese Entscheidung des ArbG Stuttgart stellt nicht nur jetzt in der derzeitigen Coronakrise eine große Entlastung für alle Arbeitgeber dar. Zwar kann die Entscheidung natürlich noch durch höhere Instanzen gekippt werden. Jedoch sind nun zumindest erstmals die Voraussetzungen einer außerordentlichen Änderungskündigung zur Möglichkeit der Einführung von Kurzarbeit klar.
Mitarbeiter können Änderungskündigung ablehnen
Die Entscheidung ist insbesondere für diejenigen Unternehmen wichtig, die keinen Betriebsrat haben und die Kurzarbeit mangels einer tariflichen bzw. arbeitsvertraglichen Regelung nicht einseitig anordnen können. Dies betrifft z.B. auch die öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber, da die für sie anwendbaren Tarifverträge in der Regel keine Kurzarbeitsklauseln enthalten.
Zieht ein Arbeitgeber zur Einführung der Kurzarbeit fristlose Änderungskündigungen in Erwägung, sind weitere Voraussetzungen dieser Kündigung zu beachten. Insbesondere muss das Änderungsangebot ausreichend bestimmt (Zeitraum, Umfang der Arbeitsreduzierung) und mit einer Ankündigungsfrist (drei Wochen sollen genügen) verbunden sein. Ferner ist eine Sozialauswahl durchzuführen. Falls im Unternehmen ein Betriebsrat existiert, muss auch dieser beteiligt werden. Sind die Schwellenwerte für eine Massenentlassungsanzeige nach § 17 Kündigungsschutzgesetz überschritten, hat der Arbeitgeber diese zu erstatten. Jeder Arbeitgeber sollte zudem zunächst versuchen, eine einvernehmliche Regelung mit den betroffenen Arbeitnehmern herbeizuführen.
Nicht vergessen darf man auch, dass die betroffenen Mitarbeiter eine Änderungskündigung auch ablehnen können. In diesem Fall wandelt sie sich in eine normale Beendigungskündigung um, sodass die ggf. für das Unternehmen wichtigen Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden können.
*hier stand zunächst missverständlich lediglich "verringert" (ergänzt 03.12.2010, 14.03 Uhr, Red. tap)
Die Autorinnen Dr. Olga Morasch und Ann-Kathrin Pongratz sind Associates bei Beiten Burkhardt in München. Beide sind Mitglieder der Praxisgruppe Arbeitsrecht der Kanzlei.
Kurzarbeit durch Änderungskündigung: . In: Legal Tribune Online, 02.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43601 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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