Noch heute gehört Frank Wedekind zu den meistgespielten Dramatikern seiner Epoche. Mit seinen Bühnenstücken übte der Dichter, der außerdem noch Schauspieler, Kabarettist und Journalist war, bissige Gesellschaftskritik. Ein Gedicht über Wilhelm II. brachte ihn letztlich auch ins Gefängnis – ein Vorfall, den Wedekind auch als studierter Jurist nicht zu verhindern vermochte.
"Die janze Richtung paßt uns nicht!" polterte der Berliner Polizeipräsident Bernhard von Richthofen, als sich in den 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts immer mehr die vermeintliche Untugend der Satire breit machte. Die polizeilichen Zensurbehörden sahen das "gesunde Volksempfinden" vor allem auch durch das aufstrebende Satireblatt "Simplicissmus" regelmäßig als verletzt an.
Kaiserspott und Festungshaft
Zu den wichtigsten Autoren des "Simplicissimus" gehörte Frank Wedekind, dessen provokante Feder zu einem der größten Skandale des Blattes führte: Kaiser Wilhelm II. höchstselbst stand im Mittelpunkt eines Gedichts mit dem Titel "Im Heiligen Land". Der Verfasser mit dem Pseudonym "Hieronymos" entlarvte darin eine kaiserliche Wallfahrt nach Palästina als wirtschaftspolitische Reise, die in Wirklichkeit den deutschen Interessen beim Bau der Bagdadbahn diente. Die satirische Ironisierung der Reise Seiner Majestät veranlasste die Staatsanwaltschaft beim Reichsgericht in Leipzig wegen Verdachts der Majestätsbeleidigung zu ermitteln.
Dass sich hinter dem Pseudonym "Hieronymos" Frank Wedekind verbarg, war unter den Münchner "Simplicissimus"-Lesern ein offenes Geheimnis. Dennoch wäre der Beweis für diese Personenidentität nur schwerlich erbracht worden, wenn nicht bei einer Durchsuchung der Redaktionsräume das vernichtet geglaubte Originalmanuskript des Gedichts in die polizeilichen Hände gefallen wäre.
Ludwig Thoma, gleichfalls "Simplicissmus"-Mitarbeiter und zudem in jener Zeit noch als Rechtsanwalt zugelassen, hatte zuvor gewarnt:
"Eines Mittags im Oktober 1898 zeigte man mir in der Redaktion den Korrekturabzug der späterhin viel genannten 'Palästina-Nummer' [...] . Ich las das Gedicht Wedekinds. Darin war der Kaiser so direkt angegriffen, daß ich sagte, wenn die Verse nicht in letzter Stunde noch entfernt würden, sei die Beschlagnahme der Nummer und eine Verfolgung wegen Majestätsbeleidigung unausbleiblich [...]. Aber man erklärte mir, das Gedicht sei von einer juristischen Autorität geprüft worden und außerdem sei die Nummer schon im Drucke, so daß Änderungen nicht mehr möglich seien. [Später] wollte Wedekind, der das [Gedicht] mit Vaterfreuden vorgelesen hatte, an die Milderung zuerst nicht heran und verstand sich nur mit Widerstreben dazu. Darum blieb auch die zweite Fassung noch so gepfeffert."
Es erfolgte die Beschlagnahme der Nummer und die mutmaßlichen Täter – Verleger, Illustrator und vor allem der Autor – wurden polizeilich gesucht.
Wedekind floh in die Schweiz. Da die wirtschaftlichen Verhältnisse keinen langjährigen Auslandsaufenthalt zuließen, kehrte er im Juni 1899 nach Deutschland zurück, um sich in Leipzig dem Gericht zu stellen. Er wurde schließlich zu sechs Monaten Festungshaft verurteilt, die er in der Festung Königstein vom 21. September 1899 bis zur Begnadigung im Februar 1900 absaß.
Maggi statt Jura
Der Hang zur Renitenz scheint dem am 24. Juli 1864 in Hannover geborenen Arztsohn Frank (eigentlich Benjamin Franklin) Wedekind in die Wiege gelegt worden zu sein. Intelligent, aber mit einem hohen Maß an Trotzigkeit versehen, schaffte er geradeso das Abitur.
Kindheit und Jugend verbrachte er mit seinen Eltern und den fünf Geschwistern im Familienschloss Lenzburg in der Schweiz. Auf Wunsch seines Vaters studierte der junge Frank Wedekind Jura in München.
Da sich Wedekind während des Studiums lieber mit Literatur und Kunst beschäftigte überwarf er sich mit seinem Vater und musste das Studium schließlich 1886 abbrechen. Seinen Unterhalt verdiente er sich in den folgenden zwei Jahren als Presse- und Reklamechef der Firma Maggi & Co. in Kempthal bei Zürich. Es folgte eine kurze Zeit als Zirkussekretär beim Zirkus Herzog. Der Freundeskreis jener Zeit bestand aus Künstlern und Zirkusleuten. Das bunte Treiben in der Manege fasziniert Wedekind ein Leben lang und inspirierte seine Dichtung.
Der Vater erwartete, dass Wedekind zum Sommersemester 1888 in Zürich wieder sein Jurastudium aufnahm, was er auch aus finanziellen Gründen akzeptierte. Als der Vater am 2. Oktober starb, wurden diese Pläne beerdigt. Durch den beträchtlichen Erbanteil finanziell unabhängig gestellt, entschied sich Wedekind für ein Leben als freier Schriftsteller.
Provokateur und Freigeist
In den folgenden Jahren machte er sich vor allem als Dramatiker einen Namen. Mit Dramen wie "Frühlings Erwachen" und "Lulu" wandte er sich gegen
schulische Dressur, bürgerliche Scheinheiligkeit und Prüderie. Seine Texte wurden oftmals als sittenwidrig angesehen und beschlagnahmt.
Wedekinds Bühnenstücke provozierten mit grotesk anmutenden Darstellungen das obrigkeitshörige bürgerliche Publikum. Mit eigenen Liedern und Balladen trat er zudem regelmäßig und mit Erfolg im Kabarett "Elf Scharfrichter" auf.
Auch im Privatleben ignorierte der Dramatiker vor allem die sittlichen Konventionen seiner Zeit, hatte wechselnde Partnerinnen und mehrere Kinder mit ihnen.
Nachdem Frank Wedekind als freier Schriftsteller abwechselnd in Berlin, Leipzig, Dresden, London und Paris gelebt hatte, ließ er sich 1906 in München nieder. Dort lebte er bis zu seinem Tod am 9. März 1918 - infolge von Komplikationen nach einer Blinddarmoperation - zusammen mit seiner Ehefrau, der Schauspielerin Tilly Newes.
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Jürgen Seul, Zum Todestag von Frank Wedekind: . In: Legal Tribune Online, 09.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2723 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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