Rechtsgeschichten aus 800 Jahren: 1314 bis 2114

von Martin Rath

01.01.2014

Was brachten die Jahre 14 der Juristenwelt? Mehr als ein Todesurteil, die erste höchstrichterliche Entscheidungssammlung, einen schottischen Richter, der Charles Darwin voraus war und eine preußische Feministin. Martin Rath erzählt die Rechtsgeschichten der Jahre 1314 bis 1914 und wirft einen Blick in die Zukunft.

Am 18. März 1314 wurden Jacques de Molay und Geoffroy de Charnay, der letzte Großmeister der "Pauperes commilitones Christi templique Salomonici Hierosalemitanis" und einer seiner Ritter verbrannt – es war das Ende des geheimnisumrankten Templerordens.

Dem Scheiterhaufen ging ein sieben Jahre wehrender Rechtsstreit vor kirchlichen und königlich-französischen Gerichten gegen den Orden und sein Personal voraus. Nach 700 Jahren sind die Akten, gelinde gesagt, nicht mehr ganz vollständig. Die tatsächlichen Abläufe eines Verkehrsunfalls mit mehr als zwei Beteiligten auf einer Brandenburger Landstraße zu rekonstruieren, dürfte leichter fallen.

1414: Jan Hus

Einhundert Jahre später, im Herbst 1414, wurde der böhmische Theologe Jan Hus (ca. 1369-1415) in Konstanz verhaftet, obwohl ihm freies Geleit zum Konzil von Konstanz zugesichert worden war. Im Jahr darauf wurde der Geistliche als Häretiker von dieser Vollversammlung der mittelalterlichen Kirche zum Tode verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Während der Nachruhm der französischen Tempelritter heute nur mittelprächtig beschädigt ist, weil ihre Geschichte von hölzern schreibenden US-Thrillerautoren verarbeitet wird, bleibt die Rechtsgeschichte um den böhmischen Theologen, der unter anderem – rund 100 Jahre vor Martin Luther – muttersprachliche Gottesdienste propagiert hatte, ein vermintes Gelände. Hus wurde spätestens im 19. Jahrhundert zu einer Symbolfigur des tschechischen Nationalismus und seiner deutsch-böhmisch-österreichischen Widersacher. Die nüchterne Rechtsfrage, wie weit die Zusage eines "freien Geleits" durch den römisch-deutschen König Sigismund gegenüber dem Superparlament des Konstanzer Konzils verbindlich sein konnte, geriet dabei schnell zum nationalistischen Streitthema: Verratspropaganda versus Rechtfertigungslehren.

Gerne erführe man, wie viele Anhänger des US-amerikanischen Geheimnisverkünders Edward Snowden durch pseudomittelalterliche Fantasy-Romane und Rollenspielwelten beim Rechtsinstitut "freies Geleit" einen allzu romantischen Beiklang im Ohr haben. Zum 600-Jahres-Andenken an Jan Hus lässt sich jedenfalls festhalten: Bei aller Romantik sollte man beim "freien Geleit" besser auch aufs positive Recht schauen, wenn es nicht brenzlig werden soll.

1514: Die erste höchstrichterlicher Entscheidungssammlung

Überwiegend auf das Jahr 1514 wird die Geburt eines Juristen datiert, für dessen Andenken die Freunde und Nutzer juristischer Entscheidungssammlungen eine Kerze anzünden sollten: Joachim Mynsinger von Frundeck (gest. 1588). Mynsinger von Frundeck lehrte nach dem Studium der Rechte zunächst an der Freiburger Universität, bevor er 1548 ans Reichskammergericht berufen wurde, dem höchsten Gericht des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, das zwischen 1495 und 1806 Recht sprach.

1563 veröffentlichte Mynsinger von Frundeck den "Singularium observationum Iudicii Imperialis Cameriae centuriae quattuor" – eine unsystematische Wiedergabe von Entscheidungen des Reichskammergerichts, das vielfach neu aufgelegt wurde.

Den Meinungsstand des höchsten Gerichts zu veröffentlichen, trug Mynsinger den Vorwurf ein, gegen die Geheimhaltungspflichten seines Amts verstoßen zu haben. Doch das Bedürfnis, sich über die höchstricherliche hM erkundigen zu können, überwog, zumal ihre Entschlüsselung im Zweifel stets juristisch Gebildeten vorbehalten und dem einfachen Volk verschlossen blieb.

1614: Die Blutgräfin

Im Sommer 1614 starb auf der Burg Cachtice (Schächtitz) in der heutigen Slowakei die ungarische Gräfin  Elisabeth Nádasdy aus dem Haus Báthory Erzsébet (geb. 1560). Der Dame von adeligem Geblüt wurde seit 1610 der Prozess wegen reichlich unübersichtlicher Vorwürfe gemacht: Zahllose Mädchen seien auf ihr Geheiß hin in die Burg entführt und dort grausam zu Tode gebracht worden.

Ein obskures Verfahren – mit Folter und ohne Verteidiger – führte zu Leib- und Todesstrafen gegen die Dienerschaft, die Gräfin selbst blieb bis zu ihrem Tod Gefangene. Bis heute geistert Elisabeth Nádasdy Báthory als "Blutgräfin" mehr durch die populäre als durch die rechtshistorische Literatur – kein Wunder, wurden die Tatvorwürfe über die Jahrhunderte hübsch obszön eingefärbt.

Ob die "Blutgräfin" ihren schlechten Nach-Ruf zu Recht erhielt, wird sich kaum klären lassen. Vielleicht ertrugen es, wie manche Historiker glauben, die ungarischen Fürsten nicht, dass eine exzentrische Frau als gräfliche Witwe Herrschaft ausübte.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Rechtsgeschichten aus 800 Jahren: . In: Legal Tribune Online, 01.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10485 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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