Nicht nur Subsumtionsautomaten ausbilden
Seit 1877 gilt: Die Gerichtssprache ist deutsch. So steht es in § 184 S. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Allerdings gibt es von diesem Grundsatz mittlerweile auch Ausnahmen. Im Juli 2024 hat der Bundestag das sogenannte Justizstandort-Stärkungsgesetz beschlossen: So können die Länder englischsprachige Commercial Courts an einzelnen Oberlandesgerichten und Commercial Chambers an bestimmten Landgerichten einrichten. Vor dem neuen Einheitlichen Patentgericht werden mehr als die Hälfte der Verfahren auf Englisch geführt.
Englisch als Verfahrenssprache bis hin zu einem englischsprachigen Urteil – dies sollte zum Anlass genommen werden, die juristische Ausbildung in Sachen Fremdsprachen-Kompetenzen zu überdenken. Jeder Jurastudierende muss zwar grundsätzlich einen Fremdsprachenschein absolvieren. Wie das in der Praxis umgesetzt wird, unterscheidet sich aber je nach Universität deutlich.
Einerseits gibt es Sprachkurse mit geschenkten Noten, andererseits exzellente Sprachprogramme. Wie kann man hier für einen einheitlich hohen Standard sorgen?
Status quo: Einerseits Mondnoten und Sitzscheine
Die Rechtsgrundlage für die Fremdsprachen-Kompetenz im Studium ist § 5a Abs. 2 S. 2 Deutsches Richtergesetz (DRiG). Danach ist der Besuch "einer" fremdsprachigen rechtswissenschaftlichen Veranstaltung oder "eines" rechtswissenschaftlich ausgerichteten Sprachkurses Zulassungsvoraussetzung für das Examen. Da viele Fakultäten nicht eine einzige englischsprachige Vorlesung anbieten, absolvieren die meisten Jurastudierenden einen Sprachkurs, häufig verblockt in den Semesterferien und als Massenveranstaltung angeboten vom Sprachenzentrum der Universität.
Es ist ein offenes Geheimnis: Diese Sprachkurse werden zwar von Muttersprachlern unterrichtet. Es werden aber Mondnoten verteilt für Leistungen, die einem Sitzschein entsprechen. Darüber beschwert sich freilich niemand: Die Studierenden bekommen Traumnoten und Professor:innen müssen keinen Aufwand betreiben, um eine englischsprachige Vorlesung vorzubereiten.
Andererseits Elite-Programme
Neben diesem Extrem gibt es das andere: An einigen Universitäten existieren kleine, exzellente Programme, häufig in Kooperation mit ausländischen Universitäten: Für die französische Sprache stechen die Paris-Programme der LMU München und der Universität zu Köln mit ihren Doppelabschlüssen hervor; für Englisch beispielsweise die Humboldt-Universität zu Berlin.
Seit neustem werden auch englischsprachige Bachelor-Studiengänge angeboten, so etwa von der Universität Münster (LL.B. International and Comparative Law) und der EBS Wiesbaden (B.A. Law, Politics and Economics). Viele Universitäten betreuen die Teilnahme an einem internationalen Moot Court, der anrechenbare Lehrveranstaltung sein kann.
Diese Programme wenden sich aber an die Spitze, nicht die Breite der juristischen Ausbildung. Wie kann man das Fremdsprachen-Minimal-Programm, das jeder Jurastudierende durchlaufen muss, verbessern?
Das Problem nicht "outsourcen"
Jedenfalls kann man das Problem nicht outsourcen. Die meisten Universitäten bieten zwar eine sog. "fachspezifische Fremdsprachenausbildung" (FFA) an, meist in Form eines Zusatzzertifikats des Sprachenzentrums, so zum Beispiel mit langer Tradition die Universitäten Trier, Passau und Bayreuth. Den Prüflingen wird sie durch eine Freischussverlängerung attraktiv gemacht (z.B. in Bayern).
Allerdings ist "fachspezifische Fremdsprachenausbildung" eine Fehlbezeichnung: Unterrichtet werden Einführungen in ausländische Rechtssysteme, sozusagen ein Mini-LL.M. ohne die internationale Erfahrung. Sie ist eine sinnvolle Zusatzqualifikation, aber die hier geforderte Kompetenz, über deutsches bzw. europäisches Recht auf Englisch sprechen zu können, wird dort gerade nicht vermittelt.
Das gleiche gilt für die eigentlichen, im Ausland erworbenen LL.M.-Abschlüsse. Diese werden zudem immer teurer, ohne dass Stipendien mithalten (vergleiche zum Beispiel die zwei "Cambridges": 116.500 US-Dollar, davon 77.100 Studienbeiträge, an der Harvard Law School in Cambridge/MA, USA und 39.378 Pfund Studienbeiträge an der University of Cambridge/UK).
Vorschlag: Mehr Jura-Lehre auf Englisch
Die Lösung des Problems muss in der Einheit von Forschung und Lehre zu liegen: Professor:innen und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen sollten die Gebiete, auf denen sie auf Englisch forschen, auch auf Englisch unterrichten. Statt neue Sprachkurse und Zusatzqualifikationen zu schaffen, muss der vorhandene Stoff anders vermittelt werden, nämlich auf Englisch, dort, wo es angezeigt ist.
Sicherlich ist es nicht sinnvoll, demnächst Sachenrecht inklusive der forderungsentkleideten Hypothek oder den Trierer Weinversteigerungsfall im BGB AT auf Englisch zu unterrichten. Dann würden Präzision und deutsche Rechtskultur eingebüßt.
Im Pflichtfachbereich ließe sich aber das Europarecht friktionslos auf Englisch unterrichten. Gleiches gilt im Grundsatz auch für das examensrelevante Verbraucherschutzrecht (AGB-Kontrolle, Sachmängelgewährleistung, Produkthaftung), wobei hier auf Englisch eine sinnvolle Einbettung in vertrags- und deliktsrechtliche Grundlagen gefunden werden muss. Auch Teile der Grundlagenfächer ließen sich auf Englisch unterrichten, z.B. ökonomische Analyse, politische Ökonomie und viele weitere Rechtstheorien – abgesehen davon, dass die Grundlagenfächer allgemein marginalisiert sind.
In den Schwerpunktbereichen ist das Wirtschaftsrecht zu einem Großteil europarechtlich überformt, so dass es einen europäischen Diskurs gibt, an den man auch in der Lehre auf Englisch anknüpfen könnte – von Kartellrecht über den Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, Daten- und Datenschutzrecht bis zum Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht. Gleiches gilt für das internationale Recht – hier ist Deutsch häufig ohnehin nicht die authentische Sprache der Verträge – sowie für die Rechtsvergleichung and das Internationale Privatrecht.
Man könnte auch eine Vorlesung so gestalten, dass in jeder Einheit eine Zusammenfassung auf Englisch – in a nutshell – gegeben wird, um zumindest den Studierenden einen Minimaldiskurs über das Fach auf Englisch zu ermöglichen.
Nicht nur Sprache, sondern auch Methoden
Es geht aber nicht nur um die Sprache, sondern auch die Methoden: Vielleicht haben vorbereitende Readings und sokratische Fragemethode einen Platz an deutschen Jura-Fakultäten. Vielleicht muss die verpönte "Märchenklausur" Auferstehung feiern als Essay-Frage und die Vorstellung abgelegt werden, dass sich großartige deutsche Jurist:innen ausschließlich in der Falllösung bewähren.
Vielleicht sind die Irritationen, die durch die Rechtssprache Englisch erzeugt werden, produktiv. Susanne Baer hat einmal den didaktischen Mehrwert der Verunsicherung, die durch die Befassung mit Rechtsvergleichung entsteht, als "Rechtsvergleichungsschock" bezeichnet. Allein schon die Rechtssprache Englisch könnte ähnlich sein, so dass Studierende über die eigene Fachkultur, den Kanon und die Relevanz des Gelernten besser reflektieren.
Die Kehrseite: auch Prüfungsleistungen auf Englisch
Die Lehre auf Englisch ergibt aber nur dann Sinn, wenn auch Prüfungsleistungen in dieser Sprache abgenommen werden. Warum keine Seminararbeit im Schwerpunktbereich auf Englisch? Warum nicht sogar eine englische Examensklausur? Wiederum muss hier gelten, dass diese nicht zusätzlich hinzutreten, sondern bisherige Leistungen sinnvoll ersetzen sollen.
Hieran wurde aber nicht gedacht, wie ein Blick in die Ausbildungsgesetze und -ordnungen der Länder zeigt: Es wird nur § 5a Abs. 2 S. 2 DRiG umgesetzt und die "fachspezifische Fremdsprachenausbildung" geregelt. Der Ansatz stammt aus den 1990er Jahren und es muss in einer globalisierten Jura-Welt gefragt werden, ob es nicht eines Updates bedarf.
Soweit ersichtlich findet sich nur in den Bremer, Hamburger und Baden-Württembergischen Regelungen, dass Prüfungsleistungen im Schwerpunktbereich auch in englischer Sprache erbracht werden können.
Gleichwohl gibt es bereits rein englischsprachige Schwerpunktbereiche, wie z.B. seit 2023 Transnational Law an der Universität Bremen. Die Prüfungsordnung der Universität gibt sogar für alle Schwerpunktbereiche die Unterrichts- und Lektüresprache an.
Fremdsprachen spielen bisher keine Rolle in Reformdiskussionen
In den bisherigen Reformdiskussionen werden Fremdsprachen nicht behandelt. Vielleicht stöhnt angesichts der hier formulierten Vorschläge der ein oder andere Studierende oder auch Praktiker:in auf: Wer soll das alles leisten?
Im Gegenteil, wir können uns im Wettbewerb um kluge, zukunftsorientierte Studierende und im Wettbewerb der Rechtssysteme nicht mehr leisten, uns doppelt der Realität zu verweigern: einerseits perfektes Englisch zu unterstellen und andererseits die Notwendigkeit besserer Englischkompetenzen zu leugnen. Die Lösung liegt darin, forschungsorientierte Lehre auf Englisch anzubieten, statt Subsumtionsautomaten auszubilden.
Ass. jur. Diana Liebenau, LL.M. (Harvard) ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Recht des Geistigen Eigentums und Wettbewerbsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie unterrichtet den Kurs "CopyrightX: Comparing U.S. and European Copyright Law and Policy" und wurde im Juli 2024 mit dem Lehrinnovationspreis der LMU ausgezeichnet.
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