VG Berlin hält BAföG-Satz für zu niedrig

"Aus­bil­dungs­be­zo­genes Exis­tenz­mi­nimum ver­fehlt"

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Eine Medizinstudentin klagt gleich zweimal auf höhere Ausbildungsförderung und bekommt nun vom VG Berlin Recht: Es sei verfassungswidrig, wenn BAföG-Leistungen niedriger bemessen sind als das Bürgergeld.

Studierende konnten im Jahr 2021 427 Euro nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz (BAföG) als Grundbedarf erhalten. 325 Euro stand ihnen als Unterkunftsbedarf zu. Das war "evident zu wenig", hat das VG Berlin kürzlich entschieden und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Sache nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zur Entscheidung vorgelegt (Vorlagebeschl. v. 05.06.2024, VG 18 K 342/22).

Die Begründung des Gerichts: Beide Beträge hätten signifikant unterhalb der Regelbedarfsstufe 1 des Arbeitslosengeldes II (umgangssprachlich "Hartz IV", seit 2023 "Bürgergeld") für das gleiche Jahr gelegen. Bürgergeldsätze orientieren sich dabei nach der Rechtsprechung des BVerfG am menschenwürdigen Existenzminimum. Wenn BAföG-Leistungen unter dem Bürgergeldniveau liegen, können sie das menschenwürdige Existenzminimum gerade nicht gewährleisten, so die Argumentation des Berliner Gerichts. Damit wären sie verfassungswidrig niedrig.

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Im zweiten Anlauf erfolgreich

Geklagt hatte eine Medizinstudentin, die davon überzeugt war, sie erhalte zu wenig Geld, um anständig leben und studieren zu können. Die mittlerweile 29 Jahre alte Frau hatte im Jahr 2016 ihr Medizinstudium angefangen und damals schon Klage beim VG erhoben. Weil ein Parallelverfahren beim Bundesverwaltungsgericht anhängig war (Az. 5 C 11.18), stellte das VG das Verfahren der Medizinstudentin zurück.

Im Jahr 2018 stellten Oppositionspolitiker bereits eine kleine Anfrage zur Verfassungswidrigkeit von BAföG-Sätzen, die unterhalb des Hartz-IV-Niveaus lagen. Die Antwort darauf war ernüchternd: Zwar seien die Beträge geringer als der Regelsatz nach dem Sozialgesetzbuch II, aber die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts zum Existenzminimum durch Sozialleistung sei auf Studierende nicht übertragbar. Die seien schließlich eine spezielle Gruppe, so die Antwort der damaligen Bundesregierung.

Der Fall vor dem BVerwG sollte den Verfassungsrichter:innen in Karlsruhe vorgelegt werden, weil auch die BAföG-Höhe für das Jahr 2014 für verfassungswidrig niedrig erachtet wurde. Nur hat das BVerfG bisher immer noch nicht zu diesem Fall entschieden. Deswegen hat die Medizinstudentin einen neuen Versuch gewagt und griff nun die Beitragshöhe für die Studienzeit von Oktober 2021 bis September 2022 an. Mit Erfolg, jedenfalls vor dem VG Berlin.

Unterkunftsbedarf zu niedrig und zu pauschal

Die 18. Kammer des VG hat die Sache dem BVerfG vorgelegt, weil die BAföG-Regelungen zum Grundbedarf für Studierende sowie zum Unterkunftsbedarf mit dem verfassungsrechtlichen Teilhaberecht auf gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Ausbildungsangeboten (Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) nicht vereinbar seien. Das gelte insbesondere für nicht bei den Eltern lebende Studierende. Der Unterkunftsbedarf wurde für den von der Studentin angegriffenen Zeitraum auf 325 Euro beziffert. Wer Universitätsstädte kennt, weiß, dass für diese Summe keine bewohnbare Unterkunft erhältlich ist. Das sah auch das VG Berlin so und hat Zahlen zusammengetragen, um seine Vorlage zu untermauern: Im Sommersemester 2021 zahlten knapp 53 Prozent der Studierenden 351 Euro und mehr. Knapp 20 Prozent der Studierenden zahlten sogar zwischen 400 und 500 Euro. Weitere 20 Prozent mussten sogar mehr als 500 Euro für ihre Studentenbude zahlen.

Das VG Berlin bemängelte aber nicht nur die Höhe, sondern auch die Berechnungsgrundlage des Unterkunftsbedarfs: Der dürfe nämlich nicht bundesweit einheitlich veranschlagt werden. Zulässig ist nach Auffassung des Gerichts "nur ein Durchschnittswert der Unterkunftskosten am Studienort der studierenden Person oder jedenfalls an vergleichbaren Studienorten". Die Differenz zwischen den verschiedenen Universitätsstädten sei nämlich zu groß: "Die Pauschalierungsbefugnis des Gesetzgebers finde bei der Gewährleistung des existenziellen und ausbildungsbezogenen Unterkunftsbedarfs von Studierenden jedenfalls dann eine verfassungsrechtliche Grenze, wenn – wie 2021 – die durchschnittlichen Unterkunftskosten Studierender im Vergleich der Bundesländer bis zu 140 Euro differieren (von 456 Euro in Hamburg bis 317 Euro in Thüringen), im Vergleich der einzelnen Hochschulorte sogar bis zu 230 Euro (von 495 Euro in München bis 266 Euro in Freiberg/Sachsen)."

Bedarfssatz falsch berechnet

Darüber hinaus enthält nach Auffassung des VG auch die Festlegung der Bedarfssätze "schwerwiegende methodische Fehler". Es seien die falschen Referenzgruppen unter Einbeziehung der falschen Studierendenhaushalte gebildet worden. So müsse beispielsweise zwischen verschiedenen Kosten differenziert und Nebenverdienste der Studierenden sowie Kindergeld dürften nicht verrechnet werden.

Zuletzt gibt das VG dem Gesetzgeber in seinem Vorlagebeschluss auch noch mitgibt: "Die Bedarfssätze müssten zeitnah an sich ändernde wirtschaftliche Verhältnisse angepasst werden." Diese Vorgaben seien hier nicht beachtet worden.

Zum Hintergrund: Nur das BVerfG kann die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes feststellen, daher hat die 18. Kammer das Verfahren ausgesetzt und die Frage dem BVerfG vorgelegt.

mka/LTO-Redaktion

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