Plagiate in der Promotion

Rügen für Betrügen

von Hermann HorstkotteLesedauer: 4 Minuten
Nicht jeder Fehler wiegt gleich schwer, nicht jedes unsaubere Zitat ist ein gezielter Täuschungsversuch. Um dieser Abstufung gerecht zu werden, sprach die Universität Münster kürzlich eine "Rüge" aus, statt der Betroffenen ihren Doktortitel zu entziehen. Ob es dafür jedoch überhaupt eine Rechtsgrundlage gibt, ist äußerst fraglich.

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Nein, bewusst getäuscht habe die Autorin in ihrer Dissertation nicht, entschied kürzlich die juristische Fakultät der Universität Münster. Dennoch sei an der "wissenschaftlichen Darstellung und Zitierweise" der Doktorin manches zu bemängeln. Dafür erhielt sie eine schriftliche "Rüge". Die Betroffene nahm das klaglos hin: Zu der Hochschule hat sie ohnehin keine Verbindung mehr, und für ihren Beruf als Richterin hat der Tadel, der in keiner Personalakte auftaucht, keine Konsequenzen. Auch die Öffentlichkeit hätte von dem Fall wohl nichts mitbekommen, wenn nicht eine Medienanfrage gegenüber der Universität ein öffentliches Informationsinteresse an der hochschulrechtlichen Sanktionsweise geltend gemacht hätte. Im Kontext der Münsteraner Rüge kam ein ein anderer Fall ans Licht, der sich in den Jahren 2006/2007 an der Technischen Universität Dortmund zugetragen hat. Dort hatte eine Lehrerin in ihrer pädagogischen Doktorarbeit einen Aufsatz unterschlagen, den sie zusammen mit einem anderen Autor verfasst hatte. Dieser andere Autor reklamierte Jahre später plötzlich geistiges Eigentum an der Dissertation – ausgerechnet, als die Lehrerin gute Aussichten auf eine Professur für Fachdidaktik hatte. Aussage stand gegen Aussage. Der Promotionsausschuss entschied sich zur nachträglichen Rüge, was in diesem Fall jedoch empfindliche Konsequenzen für die Verfasserin mit sich brachte: Wegen des unter Kollegen und Mitbewerbern im Wissenschaftsbetrieb sofort bekannten Tadels zog sie ihre Kandidatur für die Professorenstelle zurück.

Der Rüge fehlt die Rechtsgrundlage

Heute können sich die Lehrerin und ihr Doktorvater nicht erinnern, je über die juristische Ermächtigungsgrundlage für eine Rüge belehrt worden zu sein. Kein Wunder, denn eine solche ist weder in der Dortmunder noch sonst einer bundesdeutschen Promotionsordnung oder einem Hochschulgesetz zu finden. Einhellig bestätigen dies Rechtsexperten, die es wissen müssen: der Bayreuther Professor und Vorsitzende der Kommission für gute und schlechte wissenschaftliche Praxis Stephan Rixen etwa, der sich wegen des  Plagiatfalls Guttenberg tief in die Materie eingearbeitet hat. Auch die Kollegen Volker Rieble und Klaus F. Gärditz, beide mit Plagiatsfragen bestens vertraut, pflichten ihm in dieser Einschätzung bei. Doch woher kommen die Rügen, wenn sie rechtlich gar nicht vorgesehen sind? Auf Nachfrage von LTO erklärte die Münsteraner Jurafakultät ihr Vorgehen als eine sogenannte "Minus-Maßnahme", analog zum Polizeirecht. So wie es dort etwa möglich sei, einzelne Personen zu isolieren, statt gleich eine ganze Versammlung aufzulösen, könne auch hier statt einer Entziehung des Doktorgrades die Rüge als milderes Mittel angewandt werden. Rieble und Gärditz empfinden diese Konstruktion jedoch als haltlos: Die akademische Rüge sei kein Minus zum Entzug des Doktorgrades, sondern ein Aliud, etwas Andersartiges, das aus dem Disziplinarrecht herrühre. Die Hochschule hat aber gegenüber ehemaligen Doktoranden keine Disziplinargewalt. Anders als für die Rüge gebe es für das Polizeibeispiel auch eine wirkliche Grundlage im Versammlungsgesetz.

Alles-oder-nichts-Prinzip führt zu ungerechten Ergebnissen

Das Anliegen, nicht jedes Plagiat gleich zu behandeln, findet Rixen im Kern jedoch berechtigt. Angesichts der Vielzahl der Fälle, von denen manche vielleicht auch grenzwertig seien, sei die traditionell übliche Ja-Nein-Entscheidung über eine Täuschung – und damit  über Fortbestand oder Entzug des Doktorgrades – unbefriedigend. Er plädiert für "einen differenzierten Umgang mit Plagiatsvorwürfen"; darüber werde derzeit auch an seiner Universität nachgedacht. Manche Promotionsordnungen, wie die der Philosophischen Fakultät in Bonn, sehen eine solche Differenzierung bereits vor, nämlich in Form einer Notensenkung. Das ist zwar ein echtes, aber recht schmerzfreies Minus, denn die Aussagekraft der Noten ist ohnehin recht schwach, da sie mal sehr großzügig, dann wieder äußerst engherzig ausfallen, stets abhängig vom gewählten Fach und der betreffenden Universität. Also vielleicht doch lieber eine nach den Regeln der Kunst im Hochschulrecht verankerte Rüge? Eine solche könnte laut Gärditz auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gestützt werden (v. 11.12.1996, Az. 6 C 5.95). Danach  darf  die Hochschule kraft ihrer korporativen Wissenschaftsfreiheit von Amts wegen wissenschaftliches Fehlverhalten aufklären. Mithin kann und muss sie das Ermittlungsergebnis gegenüber dem Betroffenen auch "amtlich feststellen", meint Gärditz. Ob das Schlagwort dann Rüge oder anders heiße, sei ziemlich egal. Wenn der Fall wegen seiner Prominenz ohnehin in den Medien sei, dürfe  die amtliche Feststellung wohl auch öffentlich gemacht werden. Dennoch rät Gärditz zur Vorsicht: Für eine solche Rüge neuen Typs gebe es bislang keine näheren Fachdiskussionen und auch keine gerichtlichen Entscheidungen. Ein Facebook-User, der die lateinische Vokabel für "rügen, bemängeln" kennt, schlägt indes schon mal einen Titel für den rechtskräftig gerügten Doktor vor: Dr. vit(uperatus). Der Autor Dr. Hermann Horstkotte arbeitet als selbständiger Journalist mit Schwerpunkt Hochschulthemen in Bonn. Er ist zugleich Privatdozent an der Technischen Hochschule Aachen.

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