Abschlussball am Roten Platz
Das Gefühl, wenn Du Diplom-Kaufmann werden möchtest, aber plötzlich Gewährleistungsrecht anstelle von allgemeiner Betriebswirtschaftslehre auf dem Semesterplan steht – German Moyzhes kennt es. Heute kann sich der 30-Jährige über den falsch titulierten Studienabschluss in der Informationsbroschüre seiner ehemaligen Fachhochschule amüsieren, damals sei er gelinde gesagt "nicht gerade begeistert" gewesen. Verständlich, wenn Dipl.-Kfm. draufsteht, aber Dipl.-Wi.Jur. drin ist. Weil ein Wechsel ohne Zeitverlust aber nicht möglich war, blieb er seinem Studiengang zum Diplom-Wirtschaftsjuristen treu. Nicht zuletzt, weil er auch Spaß an der juristischen Materie hatte: "Das Studium war mit etwa 70 Prozent Jura-Anteil sehr rechtswissenschaftlich aufgebaut, was mir persönlich sehr entgegen kam. Denn nach dem Abitur stand für mich fest, dass ich etwas Wirtschaftliches mit Bezug zu Russland machen möchte" – und dabei sollten für ihn die Rechtskenntnisse hilfreicher werden als der rein wirtschaftliche Teil seines Studiums. Denn Moyzhes fand nach seinem Erststudium den Einstieg in die Unternehmensberatung – und dafür seien beispielsweise Module zum deutschen Verwaltungs-, Gesellschafts- und Haftungsrecht genau das Richtige gewesen. Beruflich berät er überwiegend russische Unternehmen beim Eintritt in den deutschen Markt, in die umgekehrte Richtung kommen seine Dienste aber auch zum Einsatz. Der Bezug zu Russland liegt dabei in seiner Herkunft: "Bis zu meinem zehnten Lebensjahr bin ich in Sankt Petersburg aufgewachsen. Ich spreche also gutes Russisch und kenne Land und Leute." Eine Zeit lang hat er deshalb auch die russische Region Altai in Deutschland offiziell vertreten.
Für den LL.M. zurück in die alte Heimat
Um sich beruflich weiterzubilden und seinem "alten" Diplom-Abschluss einen "modernen" Master-Titel hinzuzufügen, machte sich Moyzhes auf die Suche nach passenden Studiengängen. Fündig wurde er an der Freien Universität (FU) Berlin, die in Kooperation mit dem Moskauer Staatlichen Institut für internationale Beziehungen (MGIMO) einen LL.M.-Studiengang "Deutsches und Europäisches Wirtschaftsprivat- und Wirtschaftsverwaltungsrecht" anbietet – genau Moyzhes' beruflicher Schwerpunkt. Der Studiengang richtet sich an deutsche wie russische Juristen. Für Deutschmuttersprachler gibt es im Vorfeld einen Russisch-Sprachkurs, auch wenn die Vorlesungen allesamt auf Deutsch stattfinden. Allerdings in Moskau, nämlich am MGIMO, in Blockveranstaltungen zu je zehn Tagen. Zusätzlich zu den Grundlagenfächern im deutschen und europäischen Recht entscheiden sich die Teilnehmer dann für ein Wahlfach, in Moyzhes' Fall deutsches Gesellschaftsrecht. In der zweiten Hälfte des Studiums sind Wochen für Praktika vorgesehen, ebenso schreiben die Studierenden in diesem Zeitraum ihre Masterarbeit. Dem Unternehmensberater kam dieser relativ flexible Studienplan zugute: "Ich habe meine Aufenthalte in Russland dann immer mit Besuchen bei Kunden verknüpft. Verwandte und Freunde habe ich ab und an auch besucht." Wer frühzeitig bucht, bekommt Flüge nach Moskau und wieder zurück für etwa 150 Euro. Da man sich beim Angebot der FU Berlin nur modulweise in Russland aufhält, rät Moyzhes davon ab, sich eine feste und damit meist sehr teure Wohnung zu mieten: "Günstige Hostels oder ein Zimmer zur Untermiete für wenige Tage sind gute Alternativen dazu." Seiner Erfahrung nach findet man insbesondere für die Region Moskau entsprechende Facebook-Gruppen, in denen russische Studenten faire Angebote machten. Auch Airbnb funktioniere in Russland sehr gut. Zudem böten die Betreuer des LL.M.-Programms vor Ort ihre Hilfe an, doch wer selbst suche, werde schneller fündig und – besonders interessant während eines (Teil-)Studiums im Ausland – komme auch einfacher mit den Menschen im Land ins Gespräch.Visaprobleme und Doppel-Diplom
Erfahrungsgemäß ist es als Student mit deutscher Staatsbürgerschaft für ein Studium im Nicht-EU-Ausland eine der größten Herausforderungen, die Informationen zur Art des benötigten Visums zu bekommen und dieses dann korrekt zu beantragen. Dieser musste sich Moyzhes zwar nicht stellen, weil er neben seiner deutschen auch die russische Staatsbürgerschaft hat. Doch von Freunden und Kommilitonen weiß er, dass die russischen Behörden nicht mehr, aber auch nicht weniger kompliziert sein sollen als anderswo. Wichtig sei in jedem Fall, sich mit einigen Monaten Vorlaufzeit um das speziell benötigte Studentenvisum bei der russischen Botschaft zu kümmern. Als Kenner beider Länder erinnert sich Moyzhes gern an die Momente, in denen gerade zu Beginn des Studiums die zwei Kulturen aufeinander trafen. Als Beispiel nennt er die "differenzierte Einstellung zur Pünktlichkeit bei den russischen Studierenden und den deutschen Dozenten". So kamen die Studenten "manchmal spät oder auch gar nicht", doch wenn es beispielsweise um ein gemeinsames Abendessen ging, "fand sich immer Zeit und es wurde auch gern zu sich nach Hause eingeladen". Positiv blieb ihm auch die Abschlussveranstaltung am Ende des Studiums in Erinnerung: im berühmten Warenhaus GUM mitten in Moskau am Roten Platz. Zusätzlich zu seinem LL.M.-Titel der FU Berlin erhielten Moyzhes und die anderen Teilnehmer eine Art Diplom vom MGIMO. Laut einem mit ihm befreundeten Anwalt berechtigt dieses zum Antritt des russischen juristischen Vorbereitungsdiensts – zumindest formal. Aus seiner Zeit in Russland nimmt Moyzhes jedenfalls die Erfahrung eines universitären Abschlusses mit sowie eine Menge rechtliches Spezialwissen, das ihm in seinem Job sehr zugute kommt. Insofern sei er heute sehr froh über den kleinen Druckfehler mit so weitreichenden Konsequenzen.Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2016 M06 16
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