Konstruktives Kritzeln
"Ich wünschte, ich hätte schon im Jurastudium Sketchnotes gekannt – das hätte für mich vieles einfacher gemacht." Katharina Kieseritzky hat 2015 ihr Erstes Staatsexamen gemacht und steht nun kurz vor der Vollendung ihrer Promotion zu einem rechtstheoretischen Thema. Dabei arbeitet die Juristin mit Notizen, die aus Text, Bild und Struktur bestehen – den sogenannten Sketchnotes. Der Begriff setzt sich zusammen aus den englischen Wörtern "sketch", also Skizze, und "note", Notiz. "Ich bin ein visueller Mensch und kann mir Inhalte viel leichter merken, wenn sie nicht nur aus Text bestehen, sondern meine Sinne auch auf anderen Ebenen ansprechen", erklärt die Promovendin aus Jena. "Dadurch erkenne ich Zusammenhänge und Strukturen besser."
Für ihre Aufzeichnungen nutzt sie neben dem Text einfache Symbole: Pfeile, Linien, Sprechblasen, kleine Icons. "Hätte ich Sketchnotes schon im Studium verwendet, hätte ich in meinen Vorlesungsnotizen zum Beispiel die herrschende Meinung und die Mindermeinung jeweils passend kennzeichnen können. In der Nachbearbeitung hätte ich durch die Zeichnungen die unterschiedlichen Meinungen in Beziehungen zueinander setzen können", nennt sie ein paar Anwendungsbeispiele.
Sktechnotes sind individuell, jeder nutzt sie anders. Natalie Anna Peter arbeitet etwa gern mit Zeichnungen von Personen und konkreten Dingen. "So kann man sich mit Sketchnotes einen Fall erschließen, indem man zum Beispiel zeichnet, wer was macht, und sich gleichzeitig entsprechende Paragraphen dazu notieren", erklärt sie. Die Juristin hat sich nach ihrem Studium in Bremen und einigen Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin als Sketchnote-Trainerin selbstständig gemacht.
"Durch die Kombination von Symbolen, Bildern und Texten lässt sich Wissen gut verankern", so ihre Erfahrung als Dozentin. "Vor allem im juristischen Umfeld ist die Bildsprache ein guter Mittler, um abstrakte Themen visuell aufzubereiten." Dabei müssten Studierende nicht von Beginn an mit Symbolen arbeiten. Anfangs reichten etwa auch Rahmen rund um zusammenhängende Inhalte, gemalte Stecknadeln und flächige Ausrufzeichen für besonders wichtige Aspekte oder Überschriften, die größer sind als der Rest des Textes. "Wer erst einmal mit dem Zeichnen angefangen hat, wird mit der Zeit ganz von allein mutiger und probiert neue Symbole aus", ist sie überzeugt.
"Zeichnen kann jeder, der in der Lage ist, einen Stift zu halten"
Die Ausrede "Ich kann aber gar nicht zeichnen" lässt Sketchnote-Trainer Ralf Appelt nicht gelten: "Zeichnen kann jeder, der in der Lage ist, einen Stift zu halten." In seinen Workshops sitzen häufig Juristen, die abstrakte Themen gern anschaulicher vermitteln möchten – beispielsweise für Mandanten, die keine juristischen Kenntnisse haben, oder für Juristen anderer Fachrichtungen.
"Häufig versteht das Gegenüber durch eine Zeichnung viel schneller als durch einen Text, was eigentlich gemeint ist", sagt Appelt. Wer sich erst einmal traue, einen Stift in die Hand zu nehmen, werde schnell merken, dass sich jedes erdenkliche Motiv aus Punkten, Linien, Dreiecken, Rechtecken und Kreisen zusammensetzen lässt – dem visuellen Alphabet. "Gerade wenn die Aufzeichnungen nur für einen selber erstellt werden, ist die Ästhetik völlig egal", betont Appelt.
Jurastudierenden rät er, die schriftlichen Notizen aus den Vorlesungen erneut durchzuarbeiten und sie zu visualisieren. "Dabei durchdenken sie noch einmal das Problem und bringen es bildlich auf den Punkt." Zehn bis 20 Icons, die man sich überlegt und übt, sollten seiner Ansicht nach für den Anfang ausreichen, um mit dem Kritzeln zu beginnen. "Diese kann man dann kombinieren", erklärt der Sketchnote-Trainer. Ein Beispiel: Ein Paragraph und ein Blatt stehen für ein Gesetzesblatt. Ein Paragraph und mehrere Blätter sind das Symbol für einen Gesetzestext. "Wichtig ist, dass man Freude daran hat, seine Gedanken zu visualisieren", sagt Appelt. "Durch das gezielte Zeichnen lassen sich selbst langweilige Vorlesungen sinnvoll nutzen."
"Wer gute Sketchnotes kritzelt, hat den Stoff verstanden"
Nicola Pridik erklärt, warum Sktechnotes gerade im Jurastudium so gut funktionieren: "Durch den visuellen Ansatz ist von vornherein klar, dass sich die Notizen auf wesentliche Inhalte und Grundstrukturen beschränken müssen. Und um diese herauszufiltern, muss man vorher verstehen, worum es geht. Deshalb hört man konzentrierter zu beziehungsweise liest fokussierter. Bei reinen Textnotizen erliegt man dagegen leicht der Versuchung, viel zu viel zu notieren und dabei das Mitdenken oder das Ordnen der Informationen im Kopf zu vergessen." Die Juristin hat das Strukturieren und Gestalten von Rechtsinformationen zu ihrem Beruf gemacht. Sie unterstützt Juristen und Unternehmen dabei, rechtliche Inhalte für die jeweiligen Zielgruppen verständlich aufzubereiten, indem sie unter anderem auch handgezeichnete juristische Strukturbilder und Übersichten erstellt.
"Rechtsvisualisierungen durch Sketchnotes helfen, Recht zu verstehen und anschaulich zu vermitteln. Denn beim Visualisieren von Recht beschränkt man sich auf die wesentlichen Inhalte und Strukturen und macht Zusammenhänge sichtbar", sagt Pridik. Die Konzentration auf das Wesentliche ist ihrer Ansicht nach im Recht deshalb so wichtig, weil man schnell die Orientierung verliert, wenn man sich mit den Ausnahmen und Details zu einer Regelung befasst, bevor man diese selbst verstanden hat.
Für das Studium hält sie Sketchnotes vor allem dann für hilfreich, wenn die Studierenden sich Rechtsbereiche, Strukturen, bestimmte Themen oder Problemfelder erschließen oder anderen erklären wollen. So lässt sich zum Beispiel mit Sketchnotes aus Lehrbuchtexten eine strukturierte Übersicht erstellen. In Arbeitsgruppen können Fälle visuell dargestellt werden. Oder Studierende überlegen sich zum Lernen von Definitionen für jeden Fachbegriff eine möglichst einfache Bildvokabel. "So denkt man intensiv darüber nach, was einen Begriff im Kern ausmacht und was ihn von anderen Begriffen unterscheidet", erklärt Pridik. "Das Ziel von Sketchnotes ist es, Ordnung zu schaffen – im eigenen Kopf und auf dem Papier."
"Man erinnert sich noch an viel mehr als das, was man gezeichnet hat"
Promovendin Kieseritzky bloggt mittleweile selbst zu juristischen Sketchnotes und hat ihre ersten Schritte hat sie mit dem Sketchnote-Arbeitsbuch von Mike Rohde gemacht, eines der Standardwerke zu dem Thema. Auch auf Youtube gibt es zahlreiche Videos mit Tipps zum Start. "Eine Sketchnote ist so etwas wie eine Landkarte im Kopf", sagt Kieseritzky. "Ich erinnere mich später noch an viel mehr als an das, was auf dem Papier steht. Zum Beispiel an Details, die gesagt wurden, oder an Fragen, die ich mir in der Situation gestellt habe."
Sketchnote-Trainerin Peter würde sich wünschen, dass Sketchnotes viel häufiger in der Ausbildungsliteratur und in der Lehre Anwendung finden: "Zeichnungen wirken für viele vielleicht erst einmal nicht exakt genug für juristische Feinheiten. Hilfreich können sie trotzdem sein. Vor allem Erstsemester-Studierenden, die Jura nicht selten als ernüchternd seriös und sachlich empfinden, könnten Sktechnotes helfen, einen Zugang zu dem komplexen Stoff zu finden."
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2020 M11 3
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