Themenwoche Semesterbeginn

Alles, was Recht ist

von Constantin Baron van LijndenLesedauer: 6 Minuten
Von der Immatrikulation bis zum zweiten Staatsexamen vergehen gut und gerne sieben Jahre. Da ist es allemal lohnenswert, sich vorher Klarheit zu verschaffen, worum genau es im Jurastudium eigentlich geht. Die Webseiten der Fakultäten bieten indes oft nur nichtssagende Umschreibungen und Gemeinplätze. Für alle Studieninteressierten versucht dieser Beitrag, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.

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Wenn man Jurastudenten nach ihrem Studium fragt, dann folgt die Erläuterung oft in Form einer Verneinung von Klischees: Jura ist gar nicht trocken, für die Klausuren muss man gar keine Gesetze auswendig lernen, befriedigend ist gar keine miese Note. Mit einer positiven Definition tun sich die (werdenden) Juristen weitaus schwerer, allenfalls erfährt man noch, dass die Auslegung von Recht und Gesetz im Mittelpunkt der Vorlesungen stehe – was sicher stimmt, doch genauso hilfreich ist wie die Angabe, dass es im Mathestudium um Zahlen und in der Anglistik um Sprache geht. Also einmal ganz von vorne: Das Jurastudium dauert in der Regel vier Jahre, sprich acht Semester und setzt sich aus drei Fachbereichen zusammen: Dem Öffentlichen, dem Zivil- und dem Strafrecht. Daneben gibt es, je nach Lehrangebot der einzelnen Uni, noch "Grundlagenfächer" wie etwa Rechtsphilosophie und -geschichte, die sich keinem Bereich eindeutig zuordnen lassen, allerdings auch keine große Rolle spielen. Die drei genannten Fachgebiete wiederum unterteilen sich jeweils in einen materiellen Part, in dem es um den eigentlichen Regelungsgehalt der Gesetze geht (Was dürfen deutsche Behörden? Wie funktioniert ein Kaufvertrag? Wann macht man sich strafbar?), und in einen prozessualen, der sich mit der gerichtlichen Geltendmachung von Rechten beschäftigt. Das Jurastudium wird von materiellen Fragestellungen dominiert, wohingegen die prozessualen Probleme im Referendariat in den Vordergrund rücken. Grundlegende prozessrechtliche Kenntnisse werden allerdings auch im Studium schon vermittelt.

Von A wie Allgemeiner Teil bis Z wie Zivilprozessordnung

Innerhalb des materiellen Rechts zergliedern sich die Fachgebiete in Sinneinheiten, die jeweils eine (mal mehr, mal weniger) isolierte Materie betreffen. So gibt es im materiellen Zivilrecht zum Beispiel das Allgemeine Zivilrecht, das Allgemeine und Besondere Schuldrecht, das Deliktsrecht, das Bereicherungsrecht, das Familien- und Erbrecht und das Sachenrecht. Das Öffentliche Recht besteht etwa aus dem Polizei- und Ordnungsrecht, dem Staatsorganisationsrecht und den Grundrechten. Am übersichtlichsten gerät in dieser Hinsicht das Strafrecht, welches lediglich in Allgemeinen und Besonderen Teil zerfällt. Diese Sinneinheiten korrespondieren in manchen Fällen relativ klar zu einzelnen Gesetzen: So ist etwa das Sachenrecht im dritten "Buch" (eine irreführende Bezeichnung, die nichts anderes als "Kapitel" meint) des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) weitgehend abschließend geregelt. Umgekehrt ist das Arbeitsrecht eine völlig diffuse Materie, die sich aus Vorschriften zahlloser einzelner Gesetze speist. Üblicherweise wird in den Vorlesungen je eine dieser Sinneinheiten über ein Semester hinweg behandelt. Zumindest zu Anfang gibt es auch durchaus so etwas wie eine notwendige, oder jedenfalls sinnvolle Reihenfolge der Lehrveranstaltungen. "Besonderes Schuldrecht 2" zu hören, wird wenig nützen, wenn man das Allgemeine Schuld- und Zivilrecht noch nicht kennt. Mit fortschreitender Semesterzahl wird diese Abfolge aber unbedeutender: Ob man zuerst Familien-, Erb- oder Handelsrecht (oder alle drei gleichzeitig) hört, dürfte relativ egal sein, was eine gewisse Freiheit bei der Gestaltung des eigenen Vorlesungsplans bedeutet.

Typisch Juristen: Es geht vor allem um Streitigkeiten

Damit ist die Eingangsfrage allerdings noch nicht abschließend beantwortet. Was also macht man in diesen Vorlesungen? Zunächst einmal werden dort die für das jeweilige Rechtsgebiet maßgeblichen Vorschriften vorgestellt und erläutert. Sodann dringt man zu den gängigsten Problemen vor: Situationen, in denen ein Gesetz seinem Wortlaut nach nicht anwendbar ist, obwohl es das dem Sinn nach sein müsste, oder Sachverhalte, die vom Wortlaut einer Norm erfasst werden, obwohl sie eigentlich nicht so recht zu ihr passen wollen. Hier stellt sich dann regelmäßig die Frage, ob und gegebenenfalls wie der empfundene Widerspruch aufgelöst werden kann: Durch eine sorgsame Auslegung des Gesetzes anhand des Wortlauts, des systematischen Zusammenhangs, der Entstehungsgeschichte und des Zwecks, durch die analoge Anwendung einer eigentlich nicht anwendbaren Vorschrift oder durch die teleologische Reduktion einer eigentlich anwendbaren Vorschrift. Manchmal liefern diese juristischen Instrumente ein klares und eindeutiges Ergebnis. Sehr viel häufiger allerdings lassen sich mehrere Lösungswege finden, woraus dann ein Herzstück der Rechtswissenschaft schlechthin resultiert: der Meinungsstreit. Dieser ist das zentrale Moment des gesamten Studiums und nicht unbedeutender Teile des Referendariats. Zu jeder Frage, die sich auch nur ansatzweise diskutieren lässt, gibt es einen Blumenstrauß an unterschiedlichen Auffassungen, von denen meist eine oder zwei aus der Rechtsprechung, die übrigen aus der juristischen Literatur stammen. Diese Auffassungen zu verinnerlichen, macht einen erheblichen Anteil des Lernaufwandes insbesondere im Studium aus, wo man – anders als im Referendariat – in den Klausuren nicht auf sogenannte Kommentare zurückgreifen darf.

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2/2: Gepaukt werden nicht Gesetze, sondern Meinungen

Diese Kommentare fassen die wesentlichen Streitstände übersichtlich zusammen und sind aus der juristischen Arbeitswelt nicht wegzudenken. Dass man sie in den universitären Klausuren nicht einsetzen darf, wird häufig kritisiert und trägt maßgeblich zum Ruf von Jura als "Paukerfach" bei. Aus Sicht der Professoren natürlich völlig zu Unrecht: Von ihnen wird die Losung ausgegeben, dass es für den Prüfungserfolg allein auf das Systemverständnis ankomme. Streitstände müsse man nicht auswendig lernen, da sich die Argumente der diversen Meinungen ja logisch herleiten ließen. Das ist im Prinzip zwar zutreffend, in der Praxis aber dennoch kaum praktikabel. Die teilweise komplexen und nicht immer naheliegenden Argumente, welche von zahlreichen Rechtswissenschaftlern und Gerichten im jahre- und jahrzehntelangen Diskurs entwickelt wurden, kann man sich als Student in einer Klausur – noch dazu unter erheblichem Zeitdruck – in aller Regel eben nicht einfach so herleiten, zumindest nicht in der gleichen Qualität und Ausführlichkeit, wie wenn man sie auswendig gelernt hätte. Ums Pauken kommt man also nicht herum, wobei der individuelle Lernaufwand in Abhängigkeit von Talent und Ambition stark schwankt. Wer nicht auf den Kopf gefallen ist und es in den (später sowieso weitgehend irrelevanten) Uni-Klausuren nicht unbedingt auf Bestnoten anlegt, der kann nebenher allemal ein entspanntes und ausuferndes Studentenleben führen.

Warum einfach, wenn's auch kompliziert geht: Der Gutachten-Stil

Unabhängig davon, wie viel Herzblut man in die Vorbereitung steckt: Irgendwann kommt es zur Klausur, in welcher das angehäufte Wissen abgespult werden muss. Die Klausuren sind beinahe immer anhand eines konkreten Sachverhaltes aufgebaut. So kann eine zivilrechtliche Klausur zum Beispiel schildern, dass der A vom B eine Wohnung gemietet hat, an welcher sich mit der Zeit jedoch diverse Mängel offenbaren, was der A aber zunächst nicht anzeigt. In einer öffentlich-rechtlichen Klausur mag es beispielsweise darum gehen, dass die Polizei eine Demonstration auflöst oder eine Behörde öffentlich vor einem bestimmten Produkt warnt. Im Strafrecht geht es stets um die Schilderung irgendwelcher Vergehen oder Verbrechen. Dieser Sachverhalt ist dann anhand einer Fallfrage ("Welche Ansprüche hat A?", "War die Auflösung der Versammlung rechtswidrig?", "Wonach hat A sich strafbar gemacht?") zu würdigen. Dabei kommt die zweite große Besonderheit des Studiums zu tragen: der Gutachten-Stil. Bei dieser etwas gewöhnungsbedürftigen Form des Aufbaus wird jeder nicht vollkommen unproblematische Gedankenschritt in Form eines Obersatzes, einer Definition und einer anschließenden Subsumtion dargestellt.

Das Staatsexamen

Nach acht Semestern (selten früher, häufig später) folgt dann das Staatsexamen, welches seinerseits aus sechs Klausuren, einer mündlichen Prüfung sowie einem universitären Teil besteht. Anders als in vielen anderen Studiengängen wird in Jura nicht am Anfang, sondern am Ende gesiebt. Während die Prüfungen an der Uni in aller Regel gut zu bewältigen sind, ist das Staatsexamen ungleich schwerer, was maßgeblich an der Notwendigkeit liegt, nicht nur einzelne Teilbereiche, sondern sämtliche Lehrinhalte aller Rechtsgebiete auf einmal gedanklich parat zu haben. Die Situation wird auch nicht dadurch besser, dass die Examensnote in der juristischen Arbeitswelt überragend wichtig ist und die Korrekturen oftmals weniger gewissenhaft ausfallen, als man sich das wünschen würde. Nach den Schrecken des ersten Staatsexamens ist die Sache übrigens keineswegs ausgestanden, vielmehr stehen nun zwei Jahre Referendariat und ein weiteres Examen an. Doch darüber kann man sich wirklich auch noch Sorgen machen, wenn es so weit ist.

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