Nachwuchskrise im Hauptprogramm
"Wie fändest du das denn, wenn man dir einfach dein Geld wegnimmt?", wird der kriminelle Banker von der jungen Richterin gefragt. Als langjährige Kita-Erzieherin weiß sie, wie man Konflikte entschärft. Den aufmüpfigen Strafverteidiger noch schnell in die "stille Ecke" gestellt, bevor dann Luisa aus der Seepferdchen-Gruppe den Platz auf der Richterbank übernimmt. Auf dem Pult steht eine Statue von Justitia und bleibt, wie gewohnt, völlig unbeeindruckt vom Geschehen. Im Hintergrund, gut ausgeleuchtet, hängt das Landeswappen von Nordrhein-Westfalen.
So stellt sich die heute-show die Zukunft unseres Rechtsstaats vor. Mit Schlagzeilen, Sketch und Kafka im Gepäck hat die Satire-Sendung in ihrer Ausgabe vom 11. Oktober 2024 den Zustand der deutschen Justiz thematisiert. Ein Witz über porschefahrende Anwälte und sich türmende Papierakten – auf den ersten Blick wirkt es wenig innovativ, was das ZDF-Format seinen circa vier Millionen Zuschauenden zu sagen hat. Dann aber setzen Oliver Welke & Co. eine Erzieherin auf die Richterbank und machen damit einen ebenso simplen wie entscheidenden Punkt: Wenn die juristische Nachwuchskrise nicht gelöst wird, reden auch wir in einigen Jahren über fachfremden Quereinstieg.
Die Krise ist bekannt und unbestritten. Wie überall gehen die "Babyboomer", gleichzeitig sind die Zahlen der Neueinschreibungen in der Rechtswissenschaft seit Jahren rückläufig. Ein steigender Anteil entfällt dabei auf grundständige Bachelorstudiengänge. Hohe Abbruchquoten auf dem Weg zur zweiten Staatsprüfung tun ihr Übriges. Justiz und Anwaltschaft wetteifern um den verbleibenden volljuristischen Nachwuchs. Wer sich durchsetzt, kann dahinstehen, da der Rechtsstaat als Ganzes sicher verliert.
Ohne Reform bleiben uns vier unangenehme Optionen
Die Krise konsequent zu Ende zu denken, ist allerdings sehr selten im Reformdiskurs um die juristische Ausbildung. Dabei braucht es nicht besonders viel Fantasie, um auf diese Perspektive zu kommen. Wenn der Gesetzgeber nämlich in einigen Jahren mit den Folgen des fehlenden Nachwuchses umgehen muss, verbleiben im Kern vier Optionen.
Erstens: Setzen wir auf Nachqualifizierung, könnte ein Flickenteppich aus Quereinstiegsmodellen entstehen, wie etwa aktuell bei den Lehrkräften.
Zweitens: Wo hingegen Gesetzesreformen ausbleiben, schafft die Praxis Fakten. In anderen Professionswissenschaften hat diese Entwicklung bereits begonnen, wie Stellungnahmen des Deutschen Ärztetages zeigen. In Abwesenheit einer einheitlichen Regelung werden immer mehr Tätigkeiten an sogenannte Physician Assistants delegiert, also akademisches Personal ohne Approbation. Deregulierung und fachfremde Delegation wären die zweite Option, um Personalbedarfe auch abseits der volljuristischen Ausbildung decken zu können.
Drittens: Man könnte Justiz und Rechtsdienstleistungsmarkt auch verstärkt für Künstliche Intelligenz öffnen und für deren fachgerechten Einsatz dann Personen vorsehen, welche nachweisbar über Daten- und Digitalkompetenzen verfügen.
Viertens: Der juristische Nachwuchs im Ausland wird fast ausschließlich nach Bologna-Vorgaben ausgebildet – eine Internationalisierung und generelle Umstellung auch in Deutschland wäre die vierte Möglichkeit.
Welche dieser vier Optionen im Falle der deutschen Rechtswissenschaft eintreten wird, bleibt für den Moment ungewiss. Fest steht aber: Da die klassische juristische Ausbildung in allen Fällen an Bedeutung verlieren würde, geht es längst nicht mehr um das "Ob" von Reformen, sondern nur noch um die Frage: Wie kann die juristische Ausbildung leistungs- und zukunftsfähig aufgestellt werden?
Der integrierte Bachelor wird uns nicht retten
Der in das Studium integrierte Bachelor wird sich flächendeckend durchsetzen. Er ist aber nicht die Lösung für ein attraktiveres Jurastudium, denn er bietet ja gerade ein Ausstiegsszenario aus der volljuristischen Laufbahn und tritt zudem in Konkurrenz zu spezialisierten Bachelor- und Master-Studiengängen, deren Absolventinnen und Absolventen einen stetig wachsenden Anteil am juristischen Nachwuchs stellen. Dank besonderer Kenntnisse sind diese oftmals nicht nur schneller, sondern sogar besser auf die Anforderungen ihrer Arbeitgeber in Unternehmen, Verwaltungen und auch Kanzleien vorbereitet.
Um eine echte Reform der juristischen Ausbildung zu besorgen, muss zunächst der ausufernde Stoff reorganisiert werden. Denn die aktuellen Vorschriften sind nicht besonders zielführend. Eine Vermittlung und Prüfung der Pflichtfächer, die quasi nebenbei auch deren europarechtliche Bezüge, rechtswissenschaftliche Methoden sowie philosophische, geschichtliche und gesellschaftliche Grundlagen vermittelt, ist theoretisch wunderbar, in der Praxis aber kaum anzutreffen.
Noch weniger bringt die Unterscheidung des Prüfungsstoffs nach "Grundzügen" und solchen Gebieten, in denen "darüber hinaus Kenntnisse der Rechtsprechung und Lehre zu theoretisch oder praktisch bedeutsamen Rechtsfragen erforderlich" sind. Das klingt zwar toll, ist aber in Wahrheit keine wirkliche Reduktion des Stoffumfangs, denn diese vermeintliche Abgrenzung ist nicht präzise und vor allem ohne vertiefte Beschäftigung mit einem Gebiet eine Beherrschung der Grundzüge kaum möglich. Das Schöne am Recht und seiner Wissenschaft ist ja gerade, dass irgendwie (fast) alles mit allem zusammenhängt.
Neuer Fokus: Was muss die juristische Ausbildung zwingend vermitteln?
Statt Detailstreits über einen gewachsenen Fächerkanon zu führen oder Kürzungsvorschläge zu bestimmten Teil-Rechtsgebieten zu machen, sollten wir nach dem Ziel der Ausbildung fragen: Welche Kenntnisse und Fertigkeiten sind so elementar für juristisches Handeln, dass kein Richter und keine Anwältin ohne sie auskommen kann? Mit der Antwort auf diese Frage lassen sich ökonomische und aussagekräftige Staatsprüfungen gestalten.
Daneben stünden viele Teilgebiete und Fertigkeiten, welche das juristische Handeln fördern, im Einzelfall aber weniger stark ausgeprägt sein dürfen. Diese gehören jeweils schon vor den Examina geprüft. Dadurch würde ein spezifischer und umfassender Einblick in die Qualifikation entstehen, welcher in der zusammenfassenden Leistungsbeurteilung zu berücksichtigen wäre. Gleichzeitig bliebe das endgültige Nichtbestehen der Staatsprüfungen final: Die abschließend geprüften Anforderungen wären so zentral, dass eben alle Volljuristinnen und Volljuristen sie erfüllen müssten.
Die Examina würden so Mindeststandards gewährleisten, darüber hinaus gehende Leistungsdiagnostik ließe sich stärker als bisher auf die Zeit davor stützen. Auf diese Weise wäre nicht mehr jedes Rechtsgebiet automatisch entwertet, das im Staatsexamen nicht geprüft wird. Im Gegenteil: Das Investment von Prüflingen und Prüfenden während Studium und Referendariat würde an Bedeutung gewinnen. Und wenn man eine gewisse Wahlmöglichkeit voraussetzt, dann hätte "studieren" (lat. für eifriges Streben, Lust, Begierde, Drang) nicht mehr nur die heutige Bedeutung von "sich prüfen lassen".
Entsprechend geringere Last läge auf den Staatsprüfungen, für Nachwuchs und Prüfungsämter gleichermaßen. Mit einem Kompetenzmodell an der Hand könnten letztere sogar moderne, digitale Prüfungsmethoden ergänzend einsetzen, die auf der sogenannten Item-Response-Theorie aufbauen. Solche Prüfungen sind besonders zuverlässig und bei entsprechender Skalierung sehr effizient. Eine bundesweit (weitgehend) abgestimmte Prüfungsinfrastruktur für diese Innovationen gäbe es mit den Justizprüfungsämtern ja bereits.
Wo wir falsch abgebogen sind
Über den Bedarf an Innovation war man sich bereits in den 1970er-Jahren einig – und zwar parteiübergreifend. Verschiedene einstufige Ausbildungsmodelle versuchten sich an mehr Methodenkenntnis, Interdisziplinarität und Praxisbezug, einige davon laut der empirischen Begleitung mit beachtlichem Erfolg. Daran wollte auch die 1985 wieder hergestellte Zweistufigkeit anknüpfen und die Vorteile beispielsweise durch studienbegleitende Praktika massentauglich machen.
Heute wissen wir aus großen Studierendenumfragen: In keinem Studium werden Praktika so schlecht bewertet wie im juristischen. Mehrere Evaluationen, auch im Auftrag des Koordinierungsausschusses für die Juristenausbildung, haben den Maßnahmen von 2003 ebenfalls ein schlechtes Zeugnis ausgestellt: Schlüsselqualifikationen und mehr Anwaltsorientierung hatten kaum Effekte, universitäre Schwerpunktbereiche kämpfen um ihre Anerkennung in der Praxis.
Auf parteiübergreifende Einigkeit zu Änderungsbedarf in der juristischen Ausbildung folgten also Versuche, welche die Probleme in der Summe nicht lösen konnten. Dabei kritisierte bereits der Aufklärer Christian Thomasius Ende des 17. Jahrhunderts:
"Es ist nicht zu läugnen daß die Studiosi Juris auf Universitäten nach der gemeinen Lehr-Art eines Theils von vielen Dingen nichts hören oder lernen, die ihnen doch zu wissen hochnöthig sind, anders Theils viel Dinge öfters mit grosser Mühe und Fleiß lernen, die ihnen hernach im gemeinen Leben wenig oder nichts nutze sind."
Die Aktualität dieser Aussage wäre erschreckend, hätte man sich nicht längst daran gewöhnt, dass es so ist.
Wird die juristische Ausbildung also weiter gegen jede Kritik immun bleiben? Nein, denn die Rahmenbedingungen sind grundlegend andere geworden: Durch Digitalisierung, Demografie und sinkende Absolventenzahlen im Verhältnis zu denjenigen, die das Studium aufnehmen, steht der Einheitsjurist im Wettbewerb um seine künftige Relevanz – eine Erkenntnis, die es selbst in das ZDF-Abendprogramm geschafft hat.
Den Sketch zum Quereinstieg jedenfalls moderierte Oliver Welke mit den Worten an: "Die haben zwar immerhin irgendwann mal Jura studiert – Stand heute –, aber auch diese Anforderung wird garantiert noch gesenkt."
Der Autor Quint Aly ist Sozialunternehmer in den Bereichen Demokratie und Rechtsstaat und forscht seit seinem Lehramtsstudium an der Universität Hamburg zur juristischen Ausbildung.
Die Autorin Prof. Dr. Susanne Hähnchen ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte an der Universität Potsdam und setzt sich für eine zugleich wissenschaftliche und praxisorientierte Ausbildung ein.
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2024 M11 16
Jurastudium
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