Anspruchsvoller und flexibler Juristen ausbilden
Das klingt erst einmal alles sehr verlockend: "Chancengleichheit, Qualität, Attraktivität der Ausbildung, Zukunftsorientierung, Internationalität und Individualität - das sind die Leitlinien meiner Reform der Juristenausbildung", erklärte NRW-Landesjustizminister Peter Biesenbach auf LTO-Anfrage zur geplanten Reform des Juristenausbildungsgesetzes (JAG).
Diese Ansprüche an eine Neuregelung der Juristenausbildung haben aber auch handfeste Konsequenzen für Art und Umfang der abzulegenden Leistungen in Studium und Referendariat: Kein Abschichten mehr, veränderter Pflichtfachstoff, zusätzliche Hausarbeiten. Das sind Pläne, die – sollten sie Gesetz werden – die Juristenausbildung in NRW anspruchsvoller machen würden. Zudem soll in beiden Examen die Gewichtung der schriftlichen und mündlichen Prüfung verändert werden. Statt wie bisher mit 40 Prozent soll das Ergebnis der mündlichen Prüfung bald nur noch mit 35 Prozent in die Gesamtnote einfließen. Das würde die Bedeutung der Klausuren erhöhen, die seit jeher für ihre Härte und Intransparenz bei der Bewertung kritisiert werden.
Ausweislich des Gesetzentwurfs, der LTO vorliegt, sollen diese Maßnahmen aus Sicht des Justizministeriums (JM) für "Chancengleichheit, Qualität und Zukunftsorientierung" sorgen. Zusätzliche Hausarbeiten sollen die Jurastudierenden examensfester machen, mehr praxisrelevanter Pflichtfachstoff sie gerade im Hinblick auf das Europarecht besser auf die juristischen Berufe vorbereiten. Dass NRW mit der Abschaffung des Abschichtens auf eine landestypische Besonderheit verzichtet – sonst ist das Abschichten nur noch in Niedersachsen möglich –, soll den Abschluss mit denen aus anderen Bundesländern vergleichbarer machen. Das gilt auch für die Neugewichtung von mündlicher und schriftlicher Leistung für die Gesamtexamensnote: Laut Entwurf gehört NRW bisher zu den Bundesländern, die die mündliche Note vergleichsweise stark gewichten.
Mehr Aufwand - aber auch mehr Qualität?
Als das JM die ersten dieser Änderungen via Twitter ankündigte, gab es viel Kritik. Die Nutzer, darunter ausweislich ihrer Profile auch (angehende) Juristen vom Jurastudierenden bis hin zum Richter und Rechtsanwalt, monierten beispielsweise, dass die ohnehin schon aus der Zeit gefallene Juristenausbildung so noch unattraktiver werde. Überraschend kommt das nicht, ist der Ausbildungsweg zum Volljuristen ein viel diskutiertes und emotionales Thema, gerade wenn es mit Blick auf die Juristischen Prüfungen um die psychische Belastung geht.
Aktuell hat das JM den Entwurf, der Ergebnis eines "jahrelangen Abstimmungsprozesses, auch zwischen den einzelnen Bundesländern" sei, im Rahmen der Verbändeanhörung an Vereinigungen und Branchenexperten herausgegeben. Dass die Juristenausbildung in NRW anspruchsvoller werden soll, stößt nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch bei manchen der an der Anhörung beteiligten Gruppen auf Kritik.
So kritisiert etwa der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften (BRF), dass die geplanten Veränderungen "alles andere als studierendenfreundlich" seien. Mehr Prüfungsleistungen zu verlangen und beliebte Erleichterungen wie das Abschichten abzuschaffen, anstatt es bundesweit einzuführen, erhöhten "nicht automatisch auch die Qualität des Jurastudiums, sondern nur den Aufwand" dafür. Zudem würden keine frischen Ideen berücksichtigt, etwa ein in das rechtswissenschaftliche Studium integrierter Bachelor-Abschluss, den bisher nur die Jurafakultät in Mannheim anbietet.
Law Clinic, Moot Court & Co: Eigeninitiative soll belohnt werden
Die geplante Reform wird aber nicht nur Prüfungsmodalitäten verändern und damit den Anspruch der Juristenausbildung im Land erhöhen, sondern auch die Art und Weise beeinflussen, wie studiert bzw. der juristische Vorbereitungsdienst absolviert wird. Um die von Justizminister Biesenbach ausgegebenen Leitlinien "Attraktivität, Internationalität und Individualität" zu verwirklichen, sieht der Entwurf vor, Studium bzw. Referendariat zu flexibilisieren.
So sollen im Jurastudium Anreize für zusätzliches studentisches Engagement geschaffen werden. Wer in einem gewissen Mindestumfang bei einer studentischen Rechtsberatung (Law Clinic) mitmacht, darf seinen Freischuss um ein Semester nach hinten verschieben – eine Maßnahme, die schon länger gefordert wird. Wer an einer "Verfahrenssimulation" - besser bekannt als Moot Court – in fremder Sprache mitmacht, darf auf eine der geplanten zusätzlichen Hausarbeiten (s. o.) verzichten.
Außerdem sollen Jurastudierende ihre Praktika flexibler gestalten können, wenn sie das wollen. Statt der bisher zweimal sechs Wochen jeweils in der Rechtspflege oder Rechtsabteilung bzw. Verwaltung sollen sie ihre praktische Studienzeit auf drei Teile zu je vier Wochen aufteilen dürfen. Zwei Teile davon müssen sie dem Entwurf entsprechend nach wie vor in Rechtspflege oder Rechtsabteilung bzw. Verwaltung ableisten, für den dritten Teil können sie sich aber nach eigenen Interessen eine Praktikumsstation suchen, sofern dort eine "sachgerechte Ausbildung gewährleistet ist". Ob das der Fall ist, darüber wird im Zweifel das Prüfungsamt entscheiden.
Referendariat: auch bei Fachgerichten, mehr Zeit für Wahlstation
Sollte der Entwurf so umgesetzt werden, wird es auch mehr Optionen im juristischen Vorbereitungsdienst geben. Die Dauer der Anwaltsstation wird von zehn auf neun Monate gekürzt. Um den freigewordenen Monat wird die Wahlstation verlängert. Außerdem soll die Stage bei Gericht teilweise auch bei den Fachgerichten absolviert werden können. So sollen Referendare nicht zwingend fünf Monate an einem ordentlichen Gericht verbringen müssen, sondern – sofern sie es wollen – bis zu zwei Monate etwa an einem Arbeits-, Sozial- oder Finanzgericht Erfahrung sammeln dürfen.
Außerdem möchte man sich mehr um die Ausbildung der Referendare kümmern. So soll die Anzahl der Unterrichtsstunden in den Arbeitsgemeinschaften (AG) um zehn Prozent von aktuell 500 auf künftig 550 erhöht werden. Entsprechend soll es dann auch keinen "festen AG-Tag" in der Woche mehr geben, sondern eine flexiblere Zeitgestaltung, die sich nach den Vorgaben der Ausbilder richtet. Zudem soll der Ergänzungsvorbereitungsdienst – auch bekannt als Repetenten-AG – verlängert werden.
"Man braucht kein Staatsexamen, um mit Jura Geld zu verdienen"
Je nachdem, wie umfangreich das Feedback aus der Verbändeanhörung berücksichtigt wird, könnte schon im November oder Dezember ein Entwurf zur Debatte im NRW-Landtag landen. Unabhängig davon, wie man zu den geplanten Änderungen steht, stellt sich die Frage, ob die Juristenausbildung nicht eine grundlegende Generalüberholung nötig hätte: Das Bild vom juristischen Generalisten mit der Befähigung zum Richteramt als übergeordnetem Ziel der Juristenausbildung steht schon lange in der Kritik.
Entsprechend beobachtet etwa Prof. Dr. Matthias Kilian seit geraumer Zeit entsprechende Veränderungen in juristischen Lebensläufen. Kilian, der nicht nur in den Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln lehrt, sondern auch als Direktor des Soldan Instituts die beruflichen Entwicklungen auf dem Rechts(dienstleistungs)markt untersucht, sagt: "Die Prüfungsformate der 'klassischen' juristischen Ausbildung stehen mittlerweile im Wettbewerb mit juristischen Bachelor- und Masterstudiengängen, deren Studierendenzahlen stark zunehmen."
Der sich wandelnde Rechtsrahmen in Sachen Rechtsdienstleistungsrecht – man denke etwa an die Fälle Lexfox und Smartlaw - und Berufsrecht, insbesondere was die interprofessionelle Zusammenarbeit angeht, zeige außerdem, "dass das Bestehen von Staatsexamina nicht mehr notwendig ist, um mit Jura Geld zu verdienen." Es könne nicht schaden, "dieses 150 Jahre alte Prinzip der Juristenausbildung zumindest ein bisschen" aufzuweichen, so Kilian.
Eine Herausforderung, mit der sich über kurz oder lang auch die übrigen Bundesländer werden beschäftigen müssen.
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2020 M10 15
Jurastudium
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