Strategie statt Aktivismus

Was es braucht, damit die Reform des Jura­stu­diums gelingt

von Ingke Goeckenjan und Julian KrüperLesedauer: 5 Minuten

Wieder einmal ist die Diskussion um die Reform der Juristenausbildung in vollem Gange – und wieder einmal wird sich kaum etwas verändern, meinen Ingke Goeckenjan und Julian Krüper. Sie kritisieren: Ohne Plan können wir noch ewig debattieren.

Die Strukturen des rechtswissenschaftlichen Studiums haben eine lange Tradition – im Guten wie im Schlechten. Als Kaderschmiede für das Personal in Verwaltung und Justiz konzipiert und bis heute stark staatlich und wenig universitär geprägt, bot es immer schon Anlass zu Kritik und Reformbemühungen. Und wenn sich auch über die Jahrhunderte manches geändert hat, bleiben doch viele Parameter gleich: So ist der Stoffdruck unverändert hoch, Elemente vertiefter wissenschaftlicher Reflexion sind selten, soziale Selektionseffekte bleiben stark und kommerzielle Repetitorien reüssieren, weil das staatliche Examen noch immer gefürchtet ist.

Zugleich bringt das Jurastudium immer wieder hoch qualifizierten und leistungsfähigen Nachwuchs hervor, der nicht nur in klassischen Rechtsberufen konkurrenzfähig ist. Doch erweckt es den Eindruck, als wachse die Unzufriedenheit mit dem status quo – wieder einmal, wie man in historischer Rückschau sagen muss. Initiativen, Tagungen, Arbeitsgruppen, Foren und Projekte, die sich dem einen oder anderen Reformaspekt widmen, haben seit geraumer Zeit und gerade in den letzten Jahren Konjunktur. Und doch erreichen sie wenig. Dafür gibt es mehrere Gründe.

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Einzelne Initiativen, kein Gesamtkontext

Auffällig ist, wie viele der Initiativen und Projekte sich weder in einem historischen noch in einem aktuellen wissenschaftlichen Diskussionszusammenhang verorten. Verstehen kann man das, beschert es doch allen hier Engagierten ein echtes Neil-Armstrong-Gefühl, den Fuß dahin zu setzen, wo nie zuvor ein Mensch gewesen ist. So wird dann auch der mehr oder weniger große Aplomb erklärlich, mit denen Projekte lanciert und Forderungen formuliert werden. Wer sich allein an der Front wähnt, muss nicht zur Seite und schon gar nicht nach hinten schauen.

Dabei bleibt vieles auf der Strecke, das der Befassung wert wäre. Konzeptionelle Arbeiten oder Begleitforschung zur einstufigen Juristenausbildung etwa oder bis heute gültige soziologische Studien, wie sie Rüdiger Lautmann oder Wolfgang Schütte über den "Rechtsstab" und seine Eigenheiten einst vorgelegt haben, verstauben in den Seminarbibliotheken. Aktuelle Arbeiten zum Thema werden regelmäßig überhaupt nur dann zur Kenntnis genommen, wenn sie einen weiteren Skandalbefund über die juristische Staatsprüfung ans Licht bringen, etwa die gut belegte Benachteiligung von Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund in der mündlichen Prüfung.

Zu viel Fokus aufs Examen

Dabei ist die hohe und nicht selten ins Folkloristische tendierende Fixierung auf das Staatsexamen ein weiterer Grund, dass es nicht vorangeht mit einer Reform des rechtswissenschaftlichen Studiums. Denn die Monopolisierung des Examens bei den Ministerien und staatlichen Prüfungsämtern entzieht es dem gestaltenden Zugriff der akademischen Rechtswissenschaft, die sich damit allerdings auch gut arrangiert zu haben scheint: Wozu diskutieren, wenn man es eh nicht ändern kann?

Zugleich führt die starke Fixierung der Reformdiskussion auf das Examen dazu, das Pferd vom Schwanz her aufzuzäumen. Sicher: Reformen im Prüfungswesen sind nötig. Bis heute ist etwa die seit Jahrzehnten angemahnte Straffung des Stoffs nicht einmal im Ansatz gelungen. Auch die letzte Reform hat bestenfalls kosmetische Effekte gehabt. Die strukturellen Probleme des Rechtsstudiums in seiner Gänze werden aber nicht dadurch behoben, dass man allein vom Ende darauf schaut.

Natürlich kann man etwa die oft erhobene Forderung nach der Zulassung von Kommentaren im ersten Staatsexamen verstehen, auch wenn deren Entlastungseffekte überaus fraglich sind, wie jeder bestätigen wird, der sie im zweiten Examen nutzen durfte. Auch den Wunsch nach Ruhetagen zwischen den Klausuren kann jeder aus eigener Erinnerung an die Strapazen der Klausurwochen gut nachvollziehen. Und das sogenannte E-Examen kann man als technologischen Fortschritt und Entlastung nicht nur bei der Anfertigung, sondern auch bei der Korrektur von Examensklausuren begrüßen.

Und doch: Themen wie diese scheinen angesichts des großen Reformbedarfs wie Details einer Diskussion, die reformerisch tut, es aber nicht ist. Dabei besteht die Gefahr, dass bloße Beruhigungsmittel und Schmerzpflaster verabreicht werden, wo eine Therapie der Ursachen angezeigt wäre. Gleiches gilt im Übrigen auch für den integrierten juristischen Bachelor, der unter den gegebenen Umständen eine sinnvolle Entlastung und Ergänzung schafft, aber in Wahrheit nur Ausdruck der institutionellen Unfähigkeit ist, die eigentlich drängenden Fragen anzugehen. Eine mutige Studien- und Prüfungsreform an Kopf und Händen würde die Diskussion um den Bachelor überflüssig machen.

Kein Konsens: Wo wollen wir mit der Juristenausbildung hin?

Am Grunde all dessen liegt das Problem, dass es einen überlappenden Konsens über die Ziele, die Anforderungen und die Kriterien für die Gestaltung des Jurastudiums und seines Examens nicht gibt und seine Herstellung auch nicht mit hinreichendem Nachdruck betrieben wird. Warum aber ist das so?

Zum einen führt die institutionelle Zuständigkeitsverteilung zwischen staatlichen Prüfungsämtern und Rechtsfakultäten dazu, dass es weder eine strukturierte Zusammenarbeit noch – soweit erkennbar – überhaupt mehr als bloß gelegentliche Austauschformate gibt. Hier liegt die Initiativlast bei den Ministerien und Prüfungsämtern.

Zum anderen fehlt es an einer im Fach etablierten Wertschätzung echten ausbildungs- und prüfungsbezogenen Wissens, das Voraussetzung dafür wäre, sinnvolle Reformen an-zugehen. Wer von Juristenausbildung, gar von Didaktik spricht, die als rechtswissenschaftliche Selbstreflexionsdisziplin mehr zu bieten hat als Methoden-Kleinklein und Folien-Blingbling, macht sich immer noch verdächtig.

Und schließlich mag der Herausbildung eines gemeinsamen pädagogisch-didaktischen Konsenses auch entgegenstehen, dass die für Reformen und Verbesserungen ehrlich Engagierten zu wenig über den Tellerrand der eigenen Begeisterung schauen und die Mühen der didaktischen Ebene scheuen. Mit kurzfristigen, auf studentische Akklamation oder populäre Gegenwartsthemen ausgerichteten Forderungen und Projekten ist dabei nur wenig gewonnen. Vielmehr werden so diskursive Leerstellen perpetuiert, die zwar nicht benannt, aber doch empfunden werden, nur um sie dann hektisch zu füllen: Wo Empirie nötig wäre, herrscht das Anekdotische. Wo Strategie verlangt ist, greift Aktivismus um sich.

Die Mediziner reformieren richtig

Wie es anders sein kann, zeigt die Medizin, die seit Jahren unter breiter Beteiligung in einer großen Fachgesellschaft einen professionellen Reform- und Ausbildungsdiskurs führt, mit überaus respektablen Ergebnissen wie etwa einem Nationalen kompetenzorientierten Lernzielkatalog Medizin.

Wollte man Ähnliches auch für das Jurastudium erreichen, setzte dies ein strategisches Zusammenwirken der akademischen Rechtswissenschaft, Kooperationsformen mit den staatlichen Prüfungsämtern und der Praxis und vor allem die informierte Entwicklung gemeinsamer sachlicher Referenzpunkte und didaktischer Standards voraus. Solange dies nicht gelingt, wird sich die Reformdebatte dauerhaft im Kreise drehen, egal wie engagiert sie auch geführt werden mag.

Die Autorin Ingke Goeckenjan ist Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Ruhr-Universität Bochum und Richterin am Oberlandesgericht Hamm. Sie ist Mitherausgeberin der Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft.

Der Autor Julian Krüper ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Verfassungstheorie und in-terdisziplinäre Rechtsforschung an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist Herausgeber des Handbuchs "Rechtswissenschaft lehren" und Mitherausgeber der Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft.

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Thema:

Jurastudium

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