Die Notbremse auf der Abfahrt ins akademische Nirgendwo
"Die Verleihung eines Titels hebt den dadurch Ausgezeichneten in der allgemeinen Achtung bei Weitem nicht in dem Grade, wie ihn die Entziehung des Titels herabsetzt." Diese Beobachtung des Rechtsgelehrten Paul Laband bestätigt sich auch noch nach hundert Jahren beim Widerruf des Doktorgrades oder der Hochschullehrerprüfung (Habilitation) immer wieder erneut. Ex-Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg oder Ex-Bildungsministerin Annette Schavan sind lebende Beispiele für diese Katastrophe. Oder auch ein Ex-Wirtschaftsprofessor, der noch vor knapp zehn Jahren als Nachwuchs-Star gefeiert wurde und heute lieber inkognito bleibt. Wegen der unvermeidlichen Einbuße an beruflichem und sozialem Ansehen, die mit der akademischen Degradierung verbunden ist, haben sich die Fakultätentage aller Fächer und der Hochschulverband der Uniprofessoren vor jetzt genau fünf Jahren für die "Verankerung einer Verjährungsfrist" in den Promotionsordnungen ausgesprochen. Auch schwereres Unrecht als eine Täuschung von Prüfern könne ja verjähren, bemerkte der langjährige Ombudsman für die Wissenschaft, Rechtsprofessor Wolfgang Löwer. Schon aus praktischen Gründen plädiert er für eine Zehnjahresfrist: Danach müssen beispielsweise Primärdaten nicht länger aufbewahrt werden, sodass sich Fälschungen überhaupt nicht mehr nachweisen lassen. Wer oder was bis dahin in der Forschung nicht dumm aufgefallen ist, dürfte für sie auch später einfach belanglos oder zumindest unschädlich bleiben. Doch hat bislang kaum eine Fakultät diese empfohlene Verjährung eingeführt. Immerhin Münsteraner Juristen machen eine Ausnahme: Für sie ist der Doktortitel nach 15 Jahren unwiderruflich. Die Münchner Ludwig-Maximilians-Uni hat eine Fünfjahresfrist für die Rücknahme des Dr. phil. 2016 ersatzlos gestrichen. Demgegenüber zieht etwa die TU in der bayerischen Hauptstadt eine rote Linie um die Jahrtausendwende – entsprechend den damals veröffentlichten Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis.
Selbstjustiz nach Gutsherrenart
Altfälle aus der Zeit vor den DFG-Empfehlungen wurden in München, Göttingen und anderswo ganz im Sinne des Vertrauensschutzes für Doktoranden und Habilitanden erledigt. Andere Fakultäten zeigen sich hingegen heute ganz gnadenlos wie im Falle Schavan oder der Unternehmerin Margarita Mathiopoulos, die 1980 und '86 in Düsseldorf und Bonn ihren Doktor gemacht hatten. Mit oder ohne satzungsmäßige Ermächtigung beschreiten wieder andere Kollegien einen weiteren Weg: Statt ihre sündigen Doktoren wegen Zeitablauf zu begnadigen oder ohne Rücksicht darauf zu bestrafen, ahnden sie das akademische Fehlverhalten zum Beispiel in Heidelberg mit einer rechtlich folgenlosen Rüge im verschlossenen Briefumschlag. Wie auch immer Plagiatsvorfälle gehandhabt werden: Jede Fakultät inszeniert sich als eigene Gutsherrschaft. So kommen auch solche Lösungen zustande: Allein um ein Gerichtsurteil zu vermeiden, einigte sich die Bergische Universität Wuppertal per Verwaltungsvertrag, also auf gleiche Augenhöhe, mit einem Dr.-Ing. auf die Nachbesserung einer plagiatsverdächtigen Dissertation von 2010. Die anscheinend im X-Beliebigen gründenden Fakultätsentscheidungen sind symptomatisch für das Grundübel akademischer Selbstjustiz: Trotz großen öffentlichen Interesses, oft überhaupt erst nach öffentlichen Hinweisen, verhandelt sie doch stets im Geheimen. Bei der Urteilsfindung hat sie einen breiten Ermessensspielraum, dem Gerichte allenfalls mit dem Willkürverbot Einhalt gebieten können. Vor diesem dem Hintergrund wäre die flächendeckend eingeführte Verjährungsfrist die unerlässliche Notbremse auf der Fahrt des akademischen Sonderzugs ins Nirgendwo.Der Fall Dickhuth
Das Musterbeispiel für eine überlange Irrfahrt ist eine Freiburger Geschichte, die vor 35 Jahren begann, vor nun fünf erstmals sanktioniert wurde, aber neuerdings in die ganz entgegengesetzte Richtung verläuft. Die Medizinische Fakultät entzog 2013 dem weltweit renommierten Sportarzt Hans-Hermann Dickhuth die Hochschullehrerbefähigung wegen Plagiats in seiner Qualifikationsschrift von 1983. Er habe, so lautete eine Pressemitteilung, damals "eine Habilitationsschrift eingereicht, die zu großen Teilen mit Dissertationsschriften von mehreren von ihm betreuten Doktoranden wortidentisch sei, ohne dass dies kenntlich gemacht worden wäre. Obwohl er die Dissertationen teilweise sehr intensiv korrigiert habe, seien sie weiterhin geistiges Eigentum der Doktoranden geblieben." Dickhuth betrachtet den öffentlichen, medial zugespitzten Vorwurf des geistigen Diebstahls als Rufmord. Jedenfalls steht in den internen Fakultätsakten etwas anderes. Danach beruhte die Aberkennung der Habilitation vielmehr darauf, dass Dickhuth "Textidentitäten zwischen den Dissertationen und seiner Habilitationsschrift billigend in Kauf genommen" habe. "Billigend in Kauf nehmen" bedeutet bedingten Vorsatz, der in ähnlichen Fällen anderswo keineswegs zur akademischen Degradierung führte. Beim angeblich sorglosen Umgang mit Textidentitäten bleibt auch völlig offen, wer von wem abgeschrieben haben soll. Jetzt aktuell bestätigten ein Unisprecher und Fakultätsmitglieder, dass der Promotionsausschuss dem Verdacht nachgeht, dass zwei Doktoranden aus seiner Arbeitsgruppe bei Dickhuth abgekupfert haben – und eben nicht, wie früher behauptet, umgekehrt. Derselbe Ausschuss hat übrigens vor gut einem Jahr "umfängliche Textübereinstimmungen" zwischen einer preisgekrönten Doktorarbeit und einer Habilitationsschrift von 1990/91 festgestellt, sah sich aber "außerstande nachzuweisen, von welcher Seite das Fehlverhalten begangen wurde." Das Verfahren wurde "eingestellt", also ohne jedes Ergebnis abgebrochen – eine allseits gesichtswahrende Lösung und mögliche Alternative zur Verjährung. Professor Dickhuth kämpft indes weiter um seinen beschädigten Ruf.Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2018 M05 22
Verjährung
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