Innovative neue Lernsoftware

"Das Programm hilft Studierenden, Rechtsnormen zu verstehen"

von Jens KahrmannLesedauer: 3 Minuten
Lehrpersonen klagen häufig, dass Jurastudierende zwar über viel Wissen verfügen, aber ihnen oftmals das so essentielle Grundverständnis fehlt. Dieses Problem könnte womöglich mit dem Computer gelöst werden. Der Informatik- und Rechtsinformatikstudent Philipp Naumann stellt der LTO im Interview ein von ihm entwickeltes Programm vor, das Rechtsnormen veranschaulicht.

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LTO: Herr Naumann, womit beschäftigt sich eigentlich ein Rechtsinformatiker?

Naumann: Der beschäftigt sich im Grunde genommen mit der Anwendung  informationstechnischer Methoden und Instrumente auf rechtswissenschaftliche Problemstellungen. Daraus entstehen dann unter anderem Rechtsinformationssysteme wie zum Beispiel die bekannten Gesetzes- oder Entscheidungsdatenbanken. LTO: Sie haben eine sehr bewegte Studienkarriere hinter sich…

Naumann: Ja, die Geschichte ist etwas länger. Ich hatte mit Musikwissenschaften angefangen. Das Studium habe ich zwar nicht beendet, aber es hat sehr zu meiner persönlichen Entwicklung beigetragen. Das folgende Lehramtsstudium für Grundschulen habe ich abgeschlossen, aber ich habe alsbald bemerkt, dass ich in dem System Schule nicht auf Dauer arbeiten will. Der Schritt zur Informatik war dann eine logische Konsequenz, denn damit habe ich mich schon in sehr jungen Jahren befasst. Als ich mein Studium aufgenommen habe, hat mich Professor Herberger aus Saarbrücken nachhaltig für das Thema der Rechtsinformatik begeistert – so bin ich zu diesem Nebenfach gekommen.

"Man kann mit Hilfe des Programms komplexe Rechtsnormen abbilden"

LTO: Auf dem 21. EDV-Gerichtstag in der vergangenen Woche haben Sie unter anderem für das Programm Cerebro den Dieter Meurer Förderpreis für Rechtsinformatik gewonnen. Was steckt dahinter? Naumann: Abstrakt beschrieben ist es ein Evaluationswerkzeug für aussagenlogische Ausdrücke. Das heißt, man kann mit Hilfe des Programms komplexe Rechtsnormen und juristische Sachverhalte grafisch abbilden. Zum Beispiel können die einzelnen Voraussetzungen einer Rechtsnorm sichtbar gemacht werden. Auf diese Weise werden logische Schlussfolgerungen erleichtert. Foto: Universität des Saarlands LTO: Das heißt, Cerebro versteht die Struktur einer Norm und bildet sie ab? Naumann: Nein, das Programm kann keine semantische Analyse der abgebildeten Normen durchführen. Das Programm "versteht" die Rechtsnorm also nicht. Für ein automatisiertes Verständnis ist die Sprache einfach zu komplex – Sprache lässt sich nur näherungsweise algorithmisch strukturieren. LTO: Aber wie findet die Visualisierung statt, wenn das Programm die Norm nicht versteht? Naumann: Das geht nur, indem ein Jurist die Norm dem Programm verständlich macht – sie also gewissermaßen für ihn übersetzt. Cerebro bietet dafür ein intuitives grafisches Interface.

"Cerebro kann interaktiv evaluieren"

LTO: Ähnelt Cerebro also Software, mit der Mind Maps erstellt werden? Naumann: Ja. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied – Cerebro kann interaktiv evaluieren. Angenommen man setzt einen bestimmten Wert auf „wahr“ - also zum Beispiel wenn eine Voraussetzung einer Norm vorliegt. Dann sieht man direkt die Auswirkungen auf den Rest des Schemas. LTO: Kann das Programm auch mit einer Vielzahl von Normen gefüttert werden, sodass auch die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Normen sichtbar werden? Naumann: Das kann Cerebro im Moment noch nicht. Dafür müsste zunächst eine Schnittstelle geschaffen werden, in der dem Programm aufgezeigt wird, welche Norm in welcher Weise mit einer anderen in Verbindung steht. Diese Funktion ist in späteren Versionen vorgesehen.

"Das Programm könnte vor allem im Studium eingesetzt werden"

LTO: Welchen Anwendungsbereich sehen Sie für die Software? Naumann: Das Programm könnte vor allem im Studium eingesetzt werden. Es hilft Studierenden, Rechtsnormen zu verstehen. Denn wenn sich Studierende zum ersten Mal mit einer Norm beschäftigen, müssen sie die dahinterstehende Struktur verstehen. In dem Moment, in dem sie die Norm mit dem Programm korrekt modelliert haben, haben sie auch die Struktur verstanden. Später kann das erstellte Modell auch bei der Erarbeitung von Falllösungen behilflich sein. LTO: Wie sieht die Zukunft von Cerebro aus? Naumann: Das Programm wird nun weiterentwickelt und gegebenenfalls sogar veröffentlicht werden. Das wann und wie obliegt allerdings Professor Herberger. LTO: Könnten Sie sich rückblickend nach alledem ein Jurastudium vorstellen? Naumann: Die rechtswissenschaftliche Betrachtungsweise der ganzen Thematik interessiert mich durchaus. Aber der Schwerpunkt meines Interesses liegt doch in der Informatik. Ich habe es aber immer als angenehm empfunden, mit den Juristen des Lehrstuhls zusammenzuarbeiten. Und ich freue mich, dass ich einen kleinen Teil zur jungen Wissenschaft der Rechtsinformatik beitragen konnte. LTO: Herzlichen Dank für das Gespräch. Phillip Naumann studiert derzeit Informatik an der Universität Hamburg. Mit ihm sprach Jens Kahrmann.

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