Nach Studie von 2018

Mehr Frauen in Jura-Prü­fungs­kom­mis­sionen?

von Pauline Dietrich, LL.M.Lesedauer: 6 Minuten

Nachdem eine Studie im Jahr 2018 die Diskriminierungspotenziale von Frauen in mündlichen Staatsexamensprüfungen aufzeigte, bemühten sich die Bundesländer die Prüfungskommissionen mit mehr Frauen zu besetzen. Mit durchwachsenem Erfolg.

Vor allem in den mündlichen Prüfungen der juristischen Staatsexamina schneiden Frauen schlechter ab als Männer. Das ergab eine im Jahr 2018 veröffentlichte Studie, nach der es für Frauen um 1,3 Prozent weniger wahrscheinlich ist, eine der berühmten Notenschwellen zu erreichen, also zum Beispiel 6,5 oder 9 Punkte. Besonders stach dabei ins Auge: Sind alle Prüfer in der Prüfungskommission männlich, erhöht sich dieser Geschlechterunterschied sogar auf 2,3 Prozent. Am oberen Ende der Notenverteilung, also bei den Schwellen von 9 und 11,5 Punkten, liegt der Studie zufolge der Unterschied sogar bei sechs Prozent. Wenn nur eine Frau Mitglied der Prüfungskommission ist, dann verschwindet der Geschlechterunterschied. Diese Beobachtung spricht den Forschenden zufolge für eine möglicherweise unbewusste Diskriminierung seitens der Prüfer.

Diese Ergebnisse sind deshalb besorgniserregend, weil die mündliche Prüfung und deren Ergebnis große Auswirkungen auf die Gesamtnote im Staatsexamen hat – gerade da kann eine der relevanten Notenschwellen noch erreicht werden – oder eben nicht. Dass wiederum die Gesamtnote im Staatsexamen erhebliche Auswirkungen auf die Karriere insgesamt hat, erklärt sich von selbst.

Die Studie von 2018 ist seinerzeit im Auftrag vom Justizministerium NRW durchgeführt worden, doch ihre Ergebnisse ließen auch die anderen Bundesländer aufhorchen und sie versuchten Maßnahmen zu ergreifen, um ihre Prüfungskommissionen mit mehr Frauen zu besetzen. Das ist zwar gelungen, aber es prüfen immer noch zu viele rein männlich besetze Gremien.

Anzeige

Hamburger Regierungskoalition will höhere Vergütung

So möchten die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen in der kommenden Sitzungswoche einen Antrag in die Bürgerschaft einzubringen, in dem sie den Senat dazu auffordern, die Prüfungskommissionen im Ersten Staatsexamen mit mehr Frauen zu besetzen. Der Antrag, der LTO vorliegt, zeigt, dass zwar 60 Prozent der Jurastudierenden an der Uni Hamburg im Jahr 2020 weiblich waren, ihnen aber in den mündlichen Pflichtfachprüfungen des Ersten Staatsexamens eine Prüfungskommission gegenübersitzt, die hauptsächlich männlich ist. Nur 40 von 333 Prüfer:innen in Hamburg waren im Jahr 2021 Frauen – also nur zwölf Prozent. Zwar sei seit 2018 vorgesehen, dass nach Möglichkeit in jeder mündlichen Prüfungskommission mindestens eine Prüferin mitwirkt, die genannten Zahlen zeigen aber, dass noch Luft nach oben besteht.

"Dass   Studierende   fast   immer   rein   männlich   besetzten Prüfungskommissionen entgegentreten müssen, ist nicht mehr zeitgemäß und hat auch mit dem späteren beruflichen Alltag nicht mehr viel zu tun", sagt die stellvertretende Vorsitzende und Sprecherin für Justizpolitik der grünen Bürgerschaftsfraktion Lena Zagst. "Es ist schließlich von immenser Bedeutung, mit der Repräsentanz von Frauen in allen Bereichen und Stationen Vorbilder für Nachwuchsjuristinnen zu schaffen, insbesondere zu Beginn der beruflichen Laufbahn", so Zagst weiter. "Das kann etwa durch eine gezieltere Ansprache, eine veränderte Vergütung oder eine höhere Verbindlichkeit zur Durchführung von Prüfungen geschehen", meint ihr Kollege Urs Tabbert, justizpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion Hamburg.

Auch in den anderen Bundesländern bemüht man sich, Prüfungskommissionen mit mehr bzw. überhaupt mit Frauen zu besetzen. Das zeigt auch eine am Dienstag veröffentlichte Untersuchung des Deutschen Juristinnenbundes (djb). Dieser startete zudem gemeinsam mit dem Berliner Senat im Jahr 2019 einen Aufruf, um mehr Frauen für diese Aufgabe zu gewinnen. Das scheint Früchte getragen zu haben: "Es gelingt uns inzwischen rund Zweidrittel der Kommissionen so zu besetzen, dass mindestens eine Prüferin Mitglied der Kommission ist", teilt eine Sprecherin des Berliner Justizsenats der LTO mit. Der Ausgangswert vor 2019 habe in Berlin bei etwa 50 Prozent gelegen. Der Senat sei ständig darum bemüht, den Anteil an Frauen in den Kommissionen zu erhöhen, heißt es.

 "Frauenquote" gestiegen, aber nicht genug

Ähnliches passiert auch in Baden-Württemberg. Im Koalitionsvertrag für die Jahre 2021 bis 2026 haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die CDU darauf verständigt, "mehr Prüfungskommissionen auch mit Frauen zu besetzen". Nach Angaben der Pressestelle des Justizministeriumssei es 2021 gelungen, 46 Prozent der Prüfungskommissionen in der Staatsprüfung in der Ersten juristischen Prüfung und 58 Prozent der Prüfungskommissionen in der Zweiten Staatsprüfung mit mindestens einer Prüferin zu besetzen. Das soll sich zukünftig noch erhöhen.

Das bayerische Justizministerium kann gegenüber LTO zwar nach einer exemplarischen Auswertung der 2018er-Studie den für Frauen nachteiligen Effekt für die bayerischen Examensergebnisse nicht bestätigen. Dennoch unternehme auch das dortige Landesjustizprüfungsamt seit vielen Jahren große Anstrengungen, mehr weibliches Personal für die Prüfungstätigkeit zu gewinnen. Im Vergleich zu vor zehn Jahren habe sich die Gesamtzahl der Prüferinnen annähernd verdoppelt. Indes: Noch immer existieren im Freistaat erhebliche Unterschiede: Laut Ministerium gibt es für die Erste Juristische Staatsprüfung derzeit in Bayern (Stand 2. Mai 2022) 246 Prüferinnen und 568 Prüfer, für die Zweite Juristische Staatsprüfung sind es aktuell 157 Prüferinnen und 397 Prüfer.

Auch Hessen teilt mit, dass inzwischen gerade im Zweiten Staatsexamen in fast jeder Prüfung zumindest eine Frau sitzt. Im Ersten Staatsexamen gestalte sich das schwieriger, unter anderem weil dort auch Hochschulehrende prüfen – und davon gebe es immer noch deutlich mehr Männer als Frauen.

In NRW, so heißt es auf Nachfrage im Düsseldorfer Justizministerium, habe man nach Veröffentlichung der Studie von 2018 die Bemühungen verstärkt. Seither habe sich der Anteil von Frauen in den Prüfgremien konstant erhöht. So sei im Jahr 2021 im Zweiten Staatsexamen in rund 54 Prozent mindestens eine Frau in der Prüfungskommission gewesen. "Auf eine Prüfertätigkeit angesprochene Frauen begründen ihre Absage oftmals damit, dass sie sich nicht in der Lage sehen, die (zusätzliche) nebenamtliche Tätigkeit mit ihren beruflichen und familiären Verpflichtungen in Einklang zu bringen", ergänzt das Ministerium.

djb: Vorgespräche und Vornotenkenntnis abschaffen

Auch wenn sich in vielen Ländern der Frauenanteil in Prüfungskommissionen im Vergleich zu 2018 erhöht hat: Es gibt noch zu viele Prüfungskommissionen, in denen nur Männer sitzen.  Helfen, so der Juristinnenbund in seiner Untersuchung, könnte hier eine verbindliche Regelung. Allerdings, so räumt auch der djb ein, kann eine "Frauenquote" das Problem nicht allein lösen.

Vielmehr brauche es auch grundsätzlich andere Rahmenbedingungen der Prüfungstätigkeit. So müsse unter anderem die Vergütung geeignet sein, den erheblichen Zeitaufwand für die Vorbereitung und Durchführung einer Prüfung angemessen abzubilden. Außerdem sollte die prüfende Person aus dem öffentlichen Dienst für eine mündliche Prüfung für einen ausreichend langen Zeitraum von der Haupttätigkeit freigestellt werden. "Solange sich an der finanziellen und zeitlichen Kompensation für die Prüfenden nichts ändert, kann insbesondere Frauen keine mangelnde Prüfungs­bereitschaft vorgeworfen werden", heißt es in der Untersuchung des djb. "Es verwundert wenig, dass sie sich angesichts des auch in juristischen Berufen bestehenden Gender Pay Gaps eine schlecht bezahlte Prüfungstätigkeit weniger leisten können als ihre männlichen Kollegen“.  Außerdem könnten Frauen weniger zusätzliche Zeit für eine Prüfungstätigkeit aufbringen, wenn sie noch immer den überwiegenden Teil der Care-Arbeit leisten.

Des Weiteren könnten verpflichtende Schulungen von Prüfer:innen helfen, in denen ihnen auch das entsprechende Wissen und Handwerkszeug vermittelt wird, um unbewussten Diskriminierungen und Vorurteile entgegenzuwirken. Abgeschafft werden sollte hingegen das in allen Ländern bis auf Baden-Württemberg stattfindende Vorgespräch vor den mündlichen Prüfungen. Erstens gebe es nämlich keine empirische Forschung, die eine positive Wirkung des Vorgesprächs belegen würde. Zweitens biete das Vorgespräch den Prüfungsvorsitzenden die Möglichkeit, sich und den weiteren Prüfer:innen Wissen über die Kandidat:in­nen zu verschaffen, das für die Bewertung der Leistung keine Rolle spielen dürfe – und so unbewusst diskriminierend wirken könnte.

Für überflüssig erachtet der djb auch die Vornotenkenntnis, also das Wissen um die Noten aus dem schriftlichen Teil des Examens in der nachfolgenden mündlichen Prüfung. Diese Forderung verwundert nicht, schließlich können mit dieser Kenntnis die Prüfer:innen genau steuern, ob mit der mündlichen Prüfung noch eine Notenschwelle überschritten wird oder nicht – und genau hier scheint bei rein männlich besetzten Gremien für Frauen ein Nachteil zu bestehen, wie die Studie von 2018 zeigt. Der djb zeigt auf, dass so die mündliche Prüfung häufig nicht als solche bewertet wird, sondern mit Blick auf die in der Jurist:innenwelt so wichtige Gesamtnote. Unbewusste Diskriminierungen wirken sich daher nicht nur auf die Note der mündlichen Prüfung, sondern eben auf die Gesamtnote aus. Ohne Vornotenkenntnis würden die Gesamtnoten dann vermutlich absolut schlechter ausfallen, aber im Vergleich aller Kandidat:innen damit auch aussagekräftiger und gerechter.

Schließlich fehle es aus Sicht des djb an präzisen Maßstäben für die Bewertung des Prüfungsgesprächs. "Je vager die Kriterien zur Bewer­tung von Leistungen sind, desto diskriminierungsanfälliger wird die Notengebung", so der djb. Sich unter diesen Umständen dann gegen eine Note zu wehren, könne schwer werden. Wünschenswert sei daher die Einführung eines "Beschwerde- und Kontrollsystems".

Der djb diskutiert die Ergebnisse der Studie am Donnerstag, dem 5. Mai, um 18 Uhr. Die Teilnahme über Zoom ist möglich.

Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.

Thema:

Jurastudium

Verwandte Themen:
  • Jurastudium
  • Studium
  • Examen
  • Staatsexamen
  • Diskriminierung

Teilen

Ähnliche Artikel

Newsletter