Der "Loser-Bachelor"

Warum die Debatte uns Juristen schadet

Gastkommentar von Prof. Dr. Roland SchimmelLesedauer: 6 Minuten

Roland Schimmel hat im Examen geprüft, er bildet aber auch Bachelor im Wirtschaftsrecht aus. Als einer, der beide Abschlüsse bestens kennt, findet er: Die "Loser-Bachelor"-Debatte schadet. Wollen wir wirklich so miteinander diskutieren?

Ein unlängst in der FAZ erschienener Text über eine Detailfrage der Juristenausbildung in Deutschland hat von den sozialen Medien bis zu den einschlägigen Blogs und dem NJW-Editorial ein lebhaftes, teils deutlich irritiertes Echo gefunden. Kein Wunder, er ist pointiert, reicht aber auch bis zur Polemik – und er dreht sich um den integrierten Jura-Bachelor, ein ohnehin seit Jahren heiß diskutiertes Thema.

Wenn dann eine graue Eminenz der Juristenausbildungsreformdebatte - noch dazu mit der Autorität der Vorsitzenden des Deutschen Juristen-Fakultätentags - ihre Stimme erhebt, lauscht die Fachgemeinde ehrfürchtig. Garantiert zudem das Forum Seriosität - etwa die FAZ -, so erwartet der Leser Sachlichkeit, Argumente satt - und vielleicht auch eine gewisse Aufgeschlossenheit für abweichende Standpunkte. Wie so oft im Leben: Nicht alle unsere Erwartungen werden erfüllt.

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FH-Bachelor zittern doch auch nicht vor Volljuristen

Die meisten Argumente aus dem FAZ-Beitrag sind nicht unwidersprochen geblieben. Über alle kann man reden, aber bei Weitem nicht alle sind überzeugend.

Ich greife an dieser Stelle nur eines heraus, nämlich das letzte im Beitrag. Unbedingt zu vermeiden sei, dass Uni-Bachelor in Konkurrenz träten zu den Bachelors der Fachhochschulen (heute meist Universities of Applied Sciences). Warum das zu vermeiden sei, bleibt unbegründet.

Aber mal mit aller Vorsicht gefragt: Werden die Absolventen gründlich konzipierter und regelmäßig akkreditierter (und bei dieser Gelegenheit modernisierter und dem Marktbedarf angepasster) Studiengänge wirklich zittern müssen vor den Kollegen aus der Uni, die einen Bachelor-Abschluss als Trostpreis bekommen haben? Sie zittern doch auch nicht vor den Volljuristen. Und die Fachhochschulen (FH) nehmen seit Jahrzehnten Studenten auf, die aus irgendeinem Grund nicht bis zum Staatsexamen gelangt sind. Kurz: Um die Bachelor- und Master-Studenten an den Fachhochschulen muss sich der Deutsche Juristen-Fakultätentag nicht so viele Sorgen machen.

Interessanter als die mehr oder weniger starke Überzeugungskraft der Argumente ist aber womöglich, wie sie vor dem Leser entfaltet werden.

Nur Juristen trauen sich, zu sagen: "Das sind Loser"

Man kommt beim Lesen des Beitrags nämlich nicht umhin, sich immer wieder die Augen zu reiben. Betrachten wir aus kollegialer Solidarität nicht die grammatikalischen Schwächen, sondern die Sprache und die Bilder, die verwendet werden. 

Normalerweise höre ich mit dem Lesen auf, wenn zum ersten Mal das Wort "Narrativ" fällt. Spätestens ab dort steigt die Blabla-Quote im jeweiligen Text regelmäßig auf ein Maß, das ich nicht mehr gut aushalte. Bis zum "Narrativ" wäre ich aber gar nicht gekommen, wenn ich schon - gut vertretbar - bei der Überschrift die Notbremse gezogen hätte: Ist der "Loser-Abschluss" noch ein Teaser? Oder schon eine Provokation? Vielleicht sogar eine verletzende Provokation?  

Andere sprechen verschämt von low performers, underachievers oder sonstigen Problemkandidaten. Wir Juristen bringen es dagegen gleich auf den Punkt: Das sind "Loser". (Wenn meine Kinder so über ihre Mitmenschen redeten, würde ich ihnen die Ohren langziehen; vermutlich wäre das wirkungslos.) 

Im ersten Satz geht es dann auch gleich munter weiter: "Entgegen kursierender Legendenbildung seitens selbst ernannter Reformer der juristischen Ausbildung ist diese ständig, seit den 1960er-Jahren, Gegenstand von Anpassungen und Reformen gewesen."

Was eine "kursierende Legendenbildung" ist, habe ich gar nicht erst verstanden (trotz zweier juristischer Staatsexamina). Und "selbst ernannt" ist eines der Wörter, die man ad hominem zur Diskreditierung des Gegenstandpunkts benutzt, wenn die Argumente ad rem knapp zu werden drohen. Funktioniert schlecht, wird aber trotzdem immer gern genommen: selbst ernannte Umweltschützer, Frauenversteher, Plagiatsjäger, Virologen, you name it.

Juristen verschlafen gesellschaftliche Entwicklung nicht zum ersten Mal

Wer beim "Loser" schon die menschliche Wärme vermisste, wird beim "Jodel-Diplom" doppelt nachdenklich. Als solches bezeichnet die Verfasserin nämlich den Bachelor-Grad, der nach den Plänen zweier Bundesländer als Trostpreis in die Mühen des Jurastudiums integriert werden soll, wovon vor allem diejenigen profitierten, die das Examen nicht bestehen.

Das "Jodel-Diplom" steht seit Loriot für einen wertlosen oder gekauften Titel oder Grad. Kann man so sehen, muss man aber nicht. Man könnte auch mal nachschauen, wie viele Wirtschaftsjuristen mit Bachelor- und Masterabschlüssen in den letzten 25 Jahren ihren Weg in juristische Berufe gefunden haben. Muss man aber nicht. Man kann auch stur auf die klassischen Berufsbilder wie Richter und Rechtsanwalt blicken.

Dann muss man Themen wie zum Beispiel die Steuerberatung nämlich gar nicht erst betrachten: Erinnert sich noch jemand, dass das Steuerrecht mal eine Materie für Juristen war? Seit Jahrzehnten haben sich das die Wirtschaftswissenschaftler unter den Nagel gerissen, vermutlich unumkehrbar. Im geschickten Ignorieren wichtiger gesellschaftlicher Entwicklungen sind die juristischen Kollegen nicht erst seit Neuestem recht gut.

Der strenge Blick der Verfasserin auf die vielen, angeblich für das Jurastudium in Wirklichkeit ungeeigneten Studenten offenbart eine Nur-die-Harten-kommen-in-den-Garten-Haltung, die Zweifel an der Qualität der juristischen Ausbildung und der Aussagekraft der Prüfungen erst gar nicht aufkommen lässt. Ein guter Jurist ist, wer gute Prüfungsnoten erzielt. Naja.

Die Loser-Legionen kommen

Ein so simples wie schnöseliges pyramidales Weltbild (Gott - (ggf. der Papst) - ganz lange nichts - Menschen mit Befähigung zum Richteramt nach dem DRiG - ganz lange nichts - (fast) alle anderen Menschen - alle Leute mit Jura-Bachelor-Abschluss - Mikroben) findet man heute nur noch selten. Unter diesem Aspekt ist es geradezu bedauerlich, dass sich der FAZ-Beitrag mittlerweile wieder hinter einer Bezahlschranke befindet. Jeder sollte ihn lesen können, der wissen will, wie noch im 20. Jahrhundert die juristischen Kollegen sich für ein Geschenk an die Menschheit gehalten haben.

Dass der Bachelor außerdem eine "Gefahr für das Staatsexamenssystem" sei, klingt bedrohlich, vom "Einstieg in den Ausstieg" ganz zu schweigen - wer dächte da nicht an die Kernenergie, bei der der Ausstieg bekanntlich ein Jahrtausendfehler war? Aber mal so unter uns: Könnte das Staatsexamenssystem nicht mal so langsam die eine oder andere Reform oder sogar Gefahr vertragen oder ertragen? So alle paar hundert Jahre?

Am einfachsten lässt sich die besondere rhetorische Qualität des Texts an folgendem Zitat zeigen: "Somit wird in wenigen Jahren die Legion derjenigen, die einen Loser-Bachelor haben, größer; sie wird dann gerade in die Rechtsberatung drängen."

Welches Fest der Metaphern! Eine "Legion" zombiegleicher "Loser" wird in die Rechtsberatung "drängen". Eigentlich vermisst man nur noch das Bild von der "Flut" oder der "Schwemme", das auf Juristen zu anderen Zeiten gern angewendet wurde, in den vergangenen Jahren aber hauptsächlich Flüchtlingen vorbehalten war. Man würde gern ausrufen: Das Boot ist voll! Wenn man nicht wüsste, dass in halbwegs absehbarer Zukunft die Juristen knapp werden, die guten zumal. Vielleicht wäre es da ja mal eine gute Idee, sich um die Ausbildung guter Juristen zu kümmern, anstatt auf den angeblichen Losern herumzuhacken.

Wie reden wir eigentlich miteinander?

Dieser kleine Spaziergang durch den Text ersetzt gewiss nicht eine gründliche Analyse durch einen ausgewiesenen Rhetoriker. Aber er genügt schon, um eine ernsthafte Frage aufzuwerfen, denn - als Teil der juristischen Debattenkultur interpretiert - hinterlässt der Beitrag den Leser einigermaßen nachdenklich.

Ist das die Art, auf die wir miteinander streiten wollen, wenn es was zu streiten gibt? Echt jetzt? Anders gefragt: Wenn jemand ein Juristenvorurteil hätte (zum Beispiel, dass alle Juristen arrogant und abgehoben seien) - würde sich durch das Lesen dieses Texts daran etwas ändern?

Wer sich juristische Argumentation bisher eher wie die elegante Kunst der Führung eines feinen Floretts vorgestellt haben sollte, lese den FAZ-Beitrag, um zu erfahren, dass auch eine breitschultrige Rugby-Mannschaft ihren rhetorischen Charme haben kann.

Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel lehrt an der Frankfurt University of Applied Sciences Wirtschaftsprivatrecht und Bürgerliches Recht und hat regelmäßig im Examen geprüft. Mit der juristischen Ausbildung befasst er sich schon seit Jahren, unter anderem in zahlreichen Publikationen, auch in der LTO.

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