Per DSGVO ins Prüfungsamt?
Im Wesentlichen ist es immer der gleiche Stress: Wer Einsicht in seine Klausuren nehmen will, muss das vor Ort tun – oder für entsprechende Kopien bezahlen, sofern das Justizprüfungsamt (JPA) diesen (meist nicht gerade günstigen) Service überhaupt anbietet.
Dabei dürfte das eigentlich gar nicht mehr so sein: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied nämlich bereits 2017, dass Prüfungsarbeiten personenbezogene Daten sein und Examenskandidaten entsprechend einen Herausgabe- beziehungsweise Auskunftsanspruch haben können. Zumindest theoretisch sollten Gratiskopien ihrer Klausuren für Examenskandidaten damit an der Tagesordnung sein. In der Praxis sieht das aber anders aus.
So auch im Fall von Christian Peter. Der Münsteraner ist seit März Diplom-Jurist und führt ein Beschwerdeverfahren gegen das JPA Hamm, weil dieses ihm keine unentgeltlichen Kopien seiner Examensarbeiten zur Verfügung stellen will. Die Kopien hat er zwar noch nicht erhalten – wohl aber, wie er im Gespräch mit LTO sagt, trotzdem "einen Sieg errungen." Der könnte, zumindest für den Bezirk des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm, ein Umdenken in Sachen kostenlose Klausurkopien bewirken.
Dürfen Bundesländer das DSGVO-Auskunftsrecht der Prüflinge einschränken?
Das Besondere an Peters Fall: Die Landesdatenschutzbeauftragte Nordrhein-Westfalens (NRW) schlägt sich in dem noch nicht abgeschlossenen Verfahren auf seine Seite. Sie meint ebenfalls, dass das JPA entsprechende Anträge auf kostenlose Klausurkopien von Prüflingen nicht zurückweisen darf.
Der Streit rankt sich dabei um § 23 Abs. 2 Juristenausbildungsgesetz (JAG) NRW. Der sieht vor, dass Prüflinge Einsicht nehmen können – aber nur in den Räumlichkeiten des JPA. Basierend auf dem EuGH-Urteil argumentiert Peter hingegen, dass ihm nach Art. 15 Abs. 1 u. 3 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ein Auskunftsrecht über seine personenbezogenen Daten – hier seine Examensklausuren nebst Prüfervermerke – zustehe, die der Verantwortliche – in seinem Fall also das JPA – ihm überdies als Kopie zur Verfügung stellen müsse. Und zwar kostenfrei.
"Das JPA hält die DSGVO aber schon gar nicht für anwendbar. Für den Fall, dass sie es doch sein sollte, beruft sich das JPA darauf, dass § 23 JAG NRW Gebrauch von einer Öffnungsklausel mache, welche ein Abweichen vom Auskunftsanspruch gestatte", sagt Peter. Bei der besagten Öffnungsklausel handelt es sich um Art. 23 Abs. 1 lit. e) DSGVO. Danach dürfen die Mitgliedstaaten das Auskunftsrecht beschränken, wenn "sonstige wichtige Ziele des allgemeinen öffentlichen Interesses der Union oder eines Mitgliedstaats" dies rechtfertigen.
Landesdatenschutzbeauftragte: "Kostenersparnis rechtfertigt keine Beschränkung"
Als Antwort auf eine LTO-Anfrage betont die Landesdatenschutzbeauftragte NRW, dass das Thema landes- wie bundesweit hohe Relevanz habe und man vor einer endgültigen Entscheidung den verantwortlichen Stellen Gelegenheit zur Stellungnahme geben werde. Sie bestätigt in ihrer Antwort an LTO aber dennoch:
"Grundsätzlich sind für uns derzeit keine Gründe ersichtlich, die einem Auskunftsanspruch aus Art. 15 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 DSGVO entgegenstehen könnten, respektive einem Anspruch auf Übersendung einer unentgeltlichen, gegebenenfalls auch elektronischen Kopie der Prüfungsarbeiten der Ersten Juristischen Prüfung nebst Korrekturvermerken der Prüfer."
Die DSGVO sei, so heißt es in der Antwort, sehr wohl anwendbar, schließlich würden juristische Prüfungen in einem Dateisystem abgelegt, wo sie nach Name und/oder Prüfungsnummer geordnet und entsprechend jederzeit wieder auffindbar seien. § 23 JAG NRW sei dabei keine Regelung im Sinne der Öffnungsklausel aus Art. 23 Abs. 1 DSGVO, so die Landesdatenschutzbeauftragte. Und weiter: "Die Ersparnis von Aufwand und Kosten, die der unentgeltliche, gegebenenfalls elektronische Versand sämtlicher Prüfungsleistungen der Juristischen Prüfungen zweifelsfrei darstellt, dürfte kein wichtiges Ziel des öffentlichen Interesses sein."
Je nachdem, wie nun die Stellungnahme des JPA Hamm ausfällt, stehen der Landesdatenschutzbeauftragten – in diesem Fall mit Ausnahme von Geldbußen – die üblichen Abhilfebefugnisse zur Verfügung. Sie kann zum Beispiel Verwarnungen aussprechen oder die Verantwortlichen direkt anweisen, Peters Antrag auf Ausübung seiner Rechte nach der DSGVO zu entsprechen, sollte das JPA Hamm weiter eine ablehnende Haltung einnehmen.
Justizministerium NRW sieht keinen Änderungsbedarf
Das JPA Hamm werde die Ausführungen der Landesdatenschutzbeauftragten in dem laufenden Beschwerdeverfahren berücksichtigen, sagt ein Sprecher auf LTO-Anfrage. Die Stellungnahme werde aber noch einige Wochen auf sich warten lassen.
Das Landesjustizministerium bestätigt gegenüber LTO: "Ja, die Problematik ist dem Ministerium der Justiz bekannt. Sie ist Gegenstand anhängiger Gerichtsverfahren." Auf die Frage, ob es angesichts dessen Pläne gibt, das JAG zu ändern und so von seiten des Gesetzgebers für Klarheit zu sorgen, heißt es: "Die Regelung des § 23 Abs. 2 JAG NRW betrifft die Einsichtnahme in Aufsichtsarbeiten. Zur Zeit wird kein Handlungsbedarf gesehen, aus Rechtsgründen diese Regelung abzuändern."
Peter sieht dem Ausgang seines Beschwerdeverfahrens indes gelassen entgegen. Für den Fall, dass das JPA Hamm ablehnend entscheiden sollte, hat er nicht vor zu klagen. "Dass die Landesdatenschutzbauftragte und ich derselben Auffassung sind, ist doch schon ein toller Erfolg. Auch der Datenschutzbeauftragte des Oberlandesgerichts Hamm geht mit mir d'accord. Im schlimmsten Fall habe ich also etwas Praxiserfahrung im Öffentlichen und im Europarecht gesammelt", sagt der Diplom-Jurist, der sich während des Studiums für einen wirtschaftsrechtlichen Schwerpunkt entschieden und in diesem Bereich vor kurzem seine Promotion begonnen hat.
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2019 M08 12
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