Von der hohen Kunst des kaltblütigen Plagiats
Was ein Plagiat ist, steht nicht im Gesetz. Als näherungsweise Begriffsbestimmung genügt hier: Das Ausgeben fremder geistiger Leistung als eigene. Unerheblich ist dabei, ob es sich um ein nicht belegtes wörtliches Zitat von anderthalb Zeilen Länge in der Seminararbeit handelt oder um einen 30-seitigen umformulierten Textabschnitt in einer Doktorarbeit. Beides kommt vor – und alles dazwischen und jenseits dessen auch. Moralisch betrachtet sind Plagiate Katastrophen, aus dem Blickwinkel guter wissenschaftlicher Praxis und unter dem Aspekt des Erkenntnisfortschritts gleichfalls. Sie sind aber zugleich eine Alltäglichkeit – und ein alter Hut. Oft sind sie halbwegs wohlgelitten: Künstlern würden ohne die gern auch einmal unausgewiesene Aneignung fremden Materials bald die Ideen ausgehen. In der Wissenschaft wirken Plagiate dagegen ziemlich karriereschädlich. Das gilt schon im Studium. Das Thema ist nicht zuletzt deswegen interessant, weil Studenten in juristischen Prüfungsarbeiten im Allgemeinen die ganz großen geistigen eigenen Leistungen nicht abverlangt werden. Die "Lösung" eines "Falls"besteht, von gelegentlichen Ausnahmen abgesehen, im Anwenden des vorhandenen Bestands an Rechtsnormen und Dogmatik auf einen vorgegebenen Sachverhalt. Wer dabei sauber zitiert, verhält sich einwandfrei. Wer mit gleichen Argumenten zum selben Ergebnis kommt, aber die Fußnoten weglässt und/oder Text wortgleich anderswo abschreibt, arbeitet wissenschaftlich unsauber. Plagiat und Nicht-Plagiat liegen also nicht weit voneinander entfernt, wo die ständige Einarbeitung der Gedanken Anderer zum Arbeitsprinzip gehört. Von Plagiaten im akademischen Betrieb ist letzthin immer öfter die Rede. Das ist wenig erstaunlich in Zeiten des Internet einerseits und offensichtlich wachsender Unsicherheit über wissenschaftliche Mindeststandards andererseits.
Sanktionen prüfungsrechtlicher und zwischenmenschlicher Art
Das moralische Unwerturteil über die Plagiatrix als Diebin geistigen Eigentums setzt sich in mehreren rechtlichen Sanktionen fort. Wo das Plagiat mit einer Urheberrechtsverletzung zusammenfällt, drohen ordnungswidrigkeiten- und strafrechtliche Folgen (§§ 106 ff. des Urhebergesetzes). Bisher spielen diese aber eher eine Nebenrolle; vermutlich fehlt wenigstens bei akademischen Erst- und Einmaltätern der Verfolgungsdruck auf Staats- und Geschädigtenseite. Aus studentischer Sicht sind die prüfungs- und hochschulrechtlichen Sanktionen einschneidender. Regelmäßig wird die betreffende Arbeit mit "ungenügend" bewertet oder wegen eines Täuschungsversuchs unbewertet bleiben. Je nach Schwere des Verstoßes kann der Kandidat auch von der Wiederholung der Prüfung ausgeschlossen werden. Schlimmstenfalls droht die Exmatrikulation. Zudem kann der durch Täuschung erlangte Abschluss oder akademische Grad später wieder aberkannt werden. Die Einzelheiten regeln die Landeshochschulgesetze sowie die Prüfungsordnungen der Hochschulen und der jeweiligen Fachbereiche. Gerade Juristen müssen bedenken, dass ohne die beiden Staatsprüfungen der Zugang zu einer Vielzahl von Traumberufen gesetzich ausgeschlossen oder doch sehr erschwert ist. Vor einem ernstzunehmenden Plagiat muss daher immer die professionelle Recherche nach allen drohenden Rechtsfolgen stehen. Auf halbem Weg zwischen formeller und informeller Sanktion steht eine Plagiatsfolge, die sich als schwerwiegend erwieisen kann: In aller Regel sind die Prüfer auch menschlich enttäuscht vom Plagiator und stehen für eine neuerliche Betreuung und Prüfung nicht mehr zur Verfügung. Der Abschreibende muss sich daher nicht nur ein neues Thema suchen, sondern auch neue Betreuer. Das kostet Zeit und Nerven. Und bestenfalls landet man so beim zweitbesten Thema – ein Prüfungssemester später. Hochschulinterne oder gar übergreifende schwarze Listen gibt es entgegen anderslautenden Gerüchten nicht. Aber was die Prüfer untereinander beim Kaffeetrinken besprechen, erfahren die Geprüften nie. Die arbeits- und beamtenrechtlichen Konsequenzen für die Beschäftigten an Hochschulen sind nur vollständigkeitshalber erwähnt, weil sie Studenten in aller Regel noch nicht treffen.Zum erfolgreichen Plagiat in 10 Schritten
Gibt es denn nun erfolgreiche Plagiate? Ja, sicher. Aber ihre Anfertigung ist mühsamer als man auf den ersten Blick denkt. Es gilt einige eiserne Regeln zu beachten. Die kann ein Prüfer besser zusammenfassen als ein Geprüfter. Entgegen dem ersten Anschein handelt es sich dabei nicht um geheimes Herrschaftswissen. Man kann sie nachlesen: Eine ausführliche Anleitung für Anfänger in der hohen Kunst des kaltblütigen Plagiats ist erschienen in der Greifswalder Halbjahresschrift für Rechtswissenschaft (GreifRecht) 2009, 98 ff., hier online verfügbar. Aber auch der Verfasser – als Leser dilettantischer Plagiate verständlicherweise genervt – verspricht keine goldenen Regeln. Beim Abschreiben gibt es keine Erfolgsgarantie. Die Kurzfassung der Regeln lautet: 1. Erst planen, dann plagiieren! 2. Entscheiden, ob man es bei genau diesem Prüfer wagen kann. 3. Feststellen, ob die konkrete Arbeit für Plagiate geeignet ist. 4. Richtige Auswahl der Quelltexte. 5. Widersprüche beseitigen. 6. Fehler bereinigen. 7. Den Text gründlich aktualisieren. 8. Den Umfang anpassen. 9. Verräterische Formatierungen vereinheitlichen! 10. Das gesamte Plagiat so gut es geht kaschieren. Der Autor Roland Schimmel ist Rechtsanwalt und Professor an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Mehr auf LTO.de Wissenschaftlicher Ideenklau: "Ich würde nicht gerade in einer Doktorarbeit plagiieren" Wissenschaftsplagiate: Im Streit um Meinungen oder Tatsachen Wissenschaftsplagiate: Kein Versteckspiel vor den Medien Mehr im Internet: Nützliche Materialsammlung auf der Seite von Prof. Weber-Wulff Literaturtipp: Volker Rieble, Das Wissenschaftsplagiat, Frankfurt am Main 2010 (nach einem Rechtsstreit nur in 1. Auflage verfügbar)Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2011 M02 19
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