"Eine Zeit der wiederkehrenden Gefühlsschwankungen"
Im Normalfall, abseits von Plagiaten und anderen, mal mehr, mal weniger legalen Irrwegen, vollbringen Promovierende auf dem Weg zum juristischen Doktortitel eine enorme Denkleistung. Hans-Detlef Horn, Jura-Professor und Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg, unterteilt Dissertationen grundsätzlich in zwei Kategorien. Zum einen solche, die Grundsatzfragen wie etwa das Prinzip der Gewaltenteilung behandeln, zum anderen jene, die auf aktuell brisante Probleme wie etwa die europäische Bankenaufsicht eingehen. Bei letzteren ist es ratsam, die Dissertation zügig zu schreiben. Denn vieles ändert sich, ist im Fluss. Maximal zwei Jahre, und ein vormals aktuelles Thema ist vielleicht schon keines mehr. Promovieren eignet sich indes nicht, um Rekorde zu brechen, Bearbeitungsdauer und Seitenzahl sind nur begrenzt planbar. Vielleicht äußern sich Verantwortliche in den Hochschulen auch deswegen nicht zu Fragen wie: Wie lang war die kürzeste und wie lang die längste juristische Dissertation in Seiten? Und was war die kürzeste und längste Bearbeitungszeit bis zur Fertigstellung? "Allein die Zahl der Seiten ist für sich genommen kein Qualitätsmerkmal einer juristischen Dissertation", sagt Horn. Von 150 bis zu 500 und noch mehr ist alles drin.
Themensuche allein kann durchaus drei Monate dauern
Vielmehr geht es um Qualität. Die muss stimmen. Die Arbeit muss einen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn liefern. Und dafür ist eine entscheidende Voraussetzung, dass der Kandidat das Thema sorgfältig ausgewählt hat. Diese Suche und Vorrecherche kann durchaus drei Monate dauern. Im besten Falle geschehe das im Dialog mit dem Betreuer der Arbeit, erklärt Professor Horn. Und warum dieser Aufwand, der mit dem eigentlichen Schreiben doch nicht viel zu tun hat? Weil die sorgfältige Themenwahl das Fundament der gesamten Dissertation bildet. Auf ihr baut der Verfasser seine Arbeit auf. Mit diesem Thema beschäftigt er sich anschließend viele Monate, mehrere Jahre. "Manchmal ist man bei der Themensuche und auch später beim Schreiben auf Nebelpfaden unterwegs. Das gehört dazu", sagt Horn. Durchhalten wird zur Überlebensstrategie. Es ist eine Zeit der Extreme. Der promovierende Jurist forscht, liest, denkt, diskutiert, schreibt, korrigiert und schreibt erneut. Und diese jahrelange Promotion kann zehren. Horn hat kürzlich in seiner Rede anlässlich der Promotionsfeier am Marburger Fachbereich Rechtswissenschaften die Bedeutung der Zeit hervorgehoben. Schließlich geschieht das Verfassen der Dissertation nicht im Hau-Ruck-Verfahren. Vielmehr bezeichnete Horn die Zeit der Dissertation als eine "Zeit der wiederkehrenden Gefühlsschwankungen, mal himmelhoch-jauchzend, mal zu-Tode-betrübt, mal optimistisch-selbstsicher, mal frustriert-selbstzweifelnd, mal mehr, mal weniger überzeugt von der einst gefassten Idee, eine Promotion anzugehen". Schließlich sei wissenschaftliches Arbeiten immer ein allmähliches Vorwärtstasten, ein Vorgang von Versuch und Irrtum.Die Abschnitte, von Anmeldung bis zu Imprimatur
Dieser gesamte Prozess der Promotion besteht aus verschiedenen Teilen. Details regeln die Hochschulen in ihren jeweiligen Promotionsordnungen, deshalb hier nur ein allgemeiner Überblick: Das Prozedere beginnt in der Regel mit einem Antrag auf Annahme als Doktorand beim Dekanat. Von Interesse sind das Arbeitsthema und der Name des Doktorvaters oder der Doktormutter. Die erste Hürde besteht also darin, zum Promotionsverfahren überhaupt zugelassen zu werden. Dann fertigt der Kandidat seine Dissertationsschrift an. Anschließend beantragt er mit der Abgabe der Dissertation die Eröffnung des Promotionsverfahrens. Erst- und Zweitgutachter werden tätig, geben einen Bewertungsvorschlag ab. Die Arbeit kann auch innerhalb der Fakultät ausgelegt werden, damit andere Lehrstuhlinhaber Gelegenheit erhalten, sie kritisch zu prüfen. Letztlich geht es darum, ob die wissenschaftliche Arbeit angenommen wird – oder eben nicht. Dann erwartet den examensgebeutelten Juristen schon wieder ein Prüfung: eine mündliche. Auch deren Details regeln die jeweiligen Promotionsordnungen teils sehr unterschiedlich. Grundsätzlich gibt es zwei Arten von mündlichen Prüfungen, auf die sich ein künftiger Dr. jur. einstellen sollte: Im Rigorosum als einem eigentlichen Fachgespräch steht das gesamte Fach der Rechtswissenschaften im Zentrum, nicht nur das Thema der Dissertation. Die Disputation hingegen verengt den Fokus. Sie ist ein wissenschaftliches Streitgespräch über die Thesen der verfassten Arbeit und kann zum Beispiel mit einem Referat über das Thema beginnen. In einer anschließenden Diskussion mit den Prüfern verteidigt der Verfasser dann seine Arbeit. Imprimatur oder Druckreife – hinter den Begriffen steckt der Gedanke, dass, je nach Fakultät, sämtliche Änderungswünsche berücksichtigt sein müssen, bevor die Arbeit in der von der Promotionsordnung geforderten Form veröffentlicht werden darf. Nach der Veröffentlichung erhalten die Doktoren ihre Promotionsurkunde, womit das Promotionsverfahren abgeschlossen ist. Nun erst dürfen sie ihren Doktortitel führen.Wenn die schlechteste Note ein "genügend" ist
Durchfallen ist bei einem juristischen Promotionsvorhaben eigentlich nicht möglich. Das liegt sicher auch daran, dass die schriftliche Ausarbeitung im besten Fall das Ergebnis eines langen, gründlichen Abstimmungsprozesses zwischen Kandidat und Betreuer ist. Dieser kann immer wieder eingreifen, notfalls gegensteuern, wenn die Arbeit in eine falsche Richtung zu laufen droht. Am Fachbereich Rechtswissenschaften in Marburg etwa regelt die Promotionsordnung, dass nach der Disputation die Prüfungskommission in nichtöffentlicher Sitzung über das Ergebnis der mündlichen Leistung entscheidet. Erst wenn diese als bestanden gilt, wird das Gesamturteil der Promotion festgesetzt. Und diese Notenskala reicht nur bis zu einem genügend. Ein "nicht bestanden" ist darin nicht vorgesehen. 1,00: "summa cum laude" – ausgezeichnet1,1 bis 1,5: "magna cum laude" – sehr gut
1,6 bis 2,5: "cum laude" – gut
2,6 bis 4,0: "rite" – genügend. Die Note für eine juristische Promotion ist ein Gütekriterium. Sie honoriert nicht einfach das Herunterbeten von vormals abgespeichertem Wissen, sondern beschreibt, was jemand mit seiner Arbeit geleistet hat: für sich, die Wissenschaft und die Gesellschaft. Bei dieser Beurteilung wird zumeist ein weniger strenger Maßstab angelegt, als bei den juristischen Staatsexamina. "Ob ein Vergleich mit den Benotungen der Promotionen möglich ist, ist fraglich", heißt es etwa in vorsichtiger Formulierung von Seiten des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur. Wer sich in das Abenteuer einer juristischen Promotion stürzen möchte, kann natürlich auch scheitern. Aber vor dem Super-Gau "Abbruch der Arbeit" schützt sich zumindest, wer bereits viel Mühe auf die Themensuche verwendet. Dann sollte es im besten Falle so laufen, wie Horn es bildhaft beschreibt: "Die Arbeit an einer Dissertation muss natürlich auch Freude bereiten. Sie darf sich keinesfalls zu einer dunklen Wolke entwickeln, die über dem Kandidaten schwebt und ihn zu erdrücken droht."
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2013 M08 28
Wissenschaft
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